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Meine Wohnung spricht mit mir

Eine Wohnung ist eine organisatorische und administrative Herausforderung: Von der Vorratshaltung bis zur Reinigung muss man an vieles denken. Sogenannte intelligente Häuser helfen dabei mit Sensor- und Computertechnik - erforscht wird das unter anderen an der Universität Ulm im Rahmen einer europäischen Kooperation.

Von Thomas Wagner | 09.02.2011
    "Hallo Thomas!"

    Endlich zuhause angekommen! Meine Wohnung begrüßt mich freundlich - wie schön.

    "Was möchtest du heute Abend kochen?"

    Richtig, da war doch was. Ich habe Gäste eingeladen. Wenn man doch nur wüsste, was denen munden mag?

    "Klaus ist Vegetarier. Wir könnten ein Fischgericht zubereiten."

    "Fisch ist aber momentan nicht da, das ist bekannt. Das System weiß das eben aus den aktuellen Vorratslisten, die der Kühlschrank und die Speisekammer digital zur Verfügung stellen. Das System wird also fragen: Möchtest du noch einkaufen gehen, wir bräuchten Fisch? Der Nutzer sagt aber: Nee, nach der Arbeit nochmals los in die Stadt, das mach ich nicht. Können wir etwas kochen für alle, das wir hier haben?"

    Tobias Heinroth, Informatiker am Institut für Informationstechnik der Universität Ulm, entwickelt ein zukunftsträchtiges Projekt: Die Wohnung, die mitdenkt - ein europäisches Forschungsprojekt, bei dem die Informatiker der Universität Ulm an der Entwicklung intelligenter, auf gesprochener Sprache basierender Dialogsysteme zwischen Bewohner und Wohnung arbeiten; der Dialog über die Zusammenstellung des Abendessens ist dafür nur ein Beispiel von vielen.

    "Das System könnte beispielsweise dem Nutzer direkt sagen: Oh Moment einmal - du musst dich beeilen. Möglicherweise hat es den Wecker sogar früher gestellt, um zu verhindern, dass der Nutzer in Hektik kommt, weil das System weiß, dass auf dem Weg zur Arbeit Stau ist. Also hat das System den Wecker fünf Minuten früher gestellt, um sicherzustellen, dass der Nutzer pünktlich zur Arbeit kommt."

    Der Nutzer befindet sich damit im ständigen Dialog mit seiner Wohnung - und das kraft seiner Sprache: Will er Licht anschalten, reicht ein einfacher Befehl.

    Und möchte er Radio hören, reicht ebenfalls ein einfacher Befehl. Genau diese Interaktion zwischen Nutzer und Wohnung ist der Forschungsgegenstand der Experten am Institut für Informationstechnik der Universität Ulm. Und dabei geht es nicht nur um die Fortentwicklung herkömmlicher Spracherkennungssysteme, betont Tobias Heinroth:

    "Da ist ein ganz wichtiges Faktum, dass das System ein Sprachverständnis erhält, also nicht nur die Sprache erkennen kann, die dem System etwas sagt, sondern dass es auch das, was gesagt wird, verstehen kann."

    Und nicht nur das: Das System muss auch in der Lage sein, situationsbedingte Dialoge mit dem Nutzer zu führen. Was die Aufgabe für die Ulmer Forscher zusätzlich verkompliziert: Es geht dabei um eine Fülle von Nutzungsszenarien.

    "Das ist die eigentliche Schwierigkeit aus Forschungssicht, dass wir einen unglaublichen Berg an Daten haben: Der Kühlschrank, der seine Daten preisgibt, diverse Kochrezepte, die ganzen Profile von den Nutzern."

    Um beim Eingangsbeispiel zu bleiben: Werden Gäste zum Essen erwartet, gibt der Gastgeber die Namen an seine ‚intelligente Wohnung weiter. Und die schaut sich automatisch im Internet nach möglicherweise vorhandenen Facebook-Profilen der Gäste um. Finden sich dort Hinweise auf Ernährungsvorlieben, arbeitet die intelligente Wohnung diese Vorlieben automatisch in den Vorschlag des Speiseplanes ein. Daneben ist, so Tobias Heinroth, noch ein weiteres Szenario denkbar. Beispiel: Einer der Gäste ist Antialkoholiker.

    "Ja, die Idee ist beispielsweise, das Mobiltelefon von dem Besucher könnte auch Informationen über den Besucher zur Verfügung stellen, eine Art erweitertes Nutzerprofil. Also zum Beispiel: Ich trinke auf keinen Fall Alkohol, ich bin Moslem beispielsweise, das geht wegen meiner Religion gar nicht. Dann könnte das System so etwas auf jeden Fall publik machen, schlicht und ergreifend in Form eines Profils."

    Das der Gast auf seinem Mobiltelefon zuvor gespeichert hat und das bei der Ankunft per Bluetooth auf den Server der intelligenten Wohnung übertragen wird. Und statt eines kräftigen Pinot Noir steht dann Apfelsaft auf dem Tisch. Bei dem Beitrag der Ulmer Forscher am europäischen Forschungsprojekt Atraco - die intelligente Wohnung geht es darum, im Bereich der sprachbasierten Dialogsysteme vorhandene, bisher isoliert genutzte Entwicklungen wie Spracherkennung und intelligentes Lebensmittel-Management miteinander zu verknüpfen. Dabei soll ein intelligentes, dialogfähiges Ganzes entstehen. Wenn Projektleiter Professor Wolfgang Minker mit seinen Kollegen über die Wohnung der Zukunft spricht, ist dann auch häufig von einer "digitalen Wohnblase" die Rede:

    "Gerade in solchen intelligenten Umgebungen geht es ja hochgradig darum, Informationen zu verknüpfen, Informationen zu sammeln, um adäquat mit dem Benutzer zu interagieren. Und deshalb müssen wir hier auf dem Gebiet der 'semantischen Analyse', wie dieses Forschungsfeld genannt wird, und der Dialogmodellierung noch Beiträge leisten."

    Im britischen Sussex wurde bereits der Prototyp der 'intelligenten Wohnung' eingerichtet. Dort kommen nicht nur die Ulmer Technologien zum Zuge, sondern auch die Komponenten der übrigen europäischen Forschungspartner. Selbst in eine solche intelligente Wohnung einziehen würde der Ulmer Informatiker Tobias Heinroth zum derzeitigen Zeitpunkt aber, allen Vorzügen zum Trotz, dennoch nicht.

    "Stellen wir uns mal vor, die intelligente Umgebung, die das komplette Haus steuert und überwacht, wird gehackt. Und man kommt nach Hause. Und sein Haus ist plötzlich ein Feind. Das Haus würde ja alles steuern. Es könnte Türen zumachen. Es könnte einen einsperren. Es könnte die Heizung, die Luftzufuhr beeinflussen, unterbinden unter Umständen. Es könnte alles Mögliche machen. Es könnte sogar Feuer auslösen, beispielsweise über die Steuerung des Herdes. Sicherheitstechnisch ist so etwas auf jeden Fall bedenklich, ganz klar."

    Deshalb müssen parallel zum Ulmer Forschungsprojekt der intelligenten Dialogsysteme enorme Sicherheitsanstrengungen unternommen werden. Insofern ist das Forschungsprojekt intelligente Wohnung kein Szenario für morgen, wohl aber eines für übermorgen.