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"Meiner Stimme kann man die Ausbildung natürlich noch anhören"

Die Frontfrau der Band Austra hat eine klassische Gesangsausbildung und ist Opernfan. Dem Synthie-Pop-Sound ihrer Band hört man die Opernbegeisterung jedoch nicht an. Im Corsogespräch spricht Katie Stelmanis auch über ihren Zusammenbruch nach dem großen Erfolg ihrer Band vor zwei Jahren.

Mit Florian Fricke | 17.06.2013
    Katie Stelmanis: Es gab viele Gründe für meinen Zusammenbruch nach der Tour. Einer war Stress. Ich war mein eigener Manager, und sogar mein eigener Tourmanager. Das heißt, ich musste mich ständig mit den fünf anderen Bandmitgliedern kurzschließen. Ich war kaum zu Hause, und in meinem Privatleben lief es auch nicht rund. Irgendwann war mir einfach alles zu viel, und ich bekam richtig schlechte Laune. Also habe ich mir eine Auszeit gegönnt. Ich musste einfach durchatmen und runterkommen. Und das musste ich überhaupt erst mal lernen: mir Zeit für mich zu nehmen und zu entspannen.

    Fricke: Wollten sie denn irgendetwas verändern gegenüber dem letzten Album?

    Stelmanis: Ich wollte eine ganz andere Produktion haben. Das erste Album war so eine typische Schlafzimmerproduktion mit imitierten Instrumenten und Software-Synths. Das klang schon ziemlich unterkühlt. Das neue Album sollte dagegen einen warmen Grundton bekommen. Und das hieß: alles mit analogem Equipment und akustisch aufnehmen. Auf meiner Stimme liegen kaum Effekte, sie wurde kaum komprimiert. Wir wollten den Klängen ihren natürlichen Raum geben. Wir haben auch nichts quantisiert, also die Geschwindigkeit künstlich reguliert, sondern haben alles im natürlichen Tempo belassen.

    Florian Fricke: Gab es denn neue musikalische Einflüsse von außen? Wie lange waren sie eigentlich für das erste Album auf Tour?

    Stelmanis: Fast drei Jahre.

    Fricke: Konnten sie da andere Musik hören?

    Stelmanis: Ja, eine ganze Menge. Ein weiterer großer Unterschied zum ersten Album ist auch, dass ich mich seitdem sehr intensiv mit Clubmusik beschäftigt habe.

    Fricke: Sie wohnen in Toronto. Wie kann man sich die elektronische Szene dort vorstellen? Ist das mit Europa vergleichbar?

    Stelmanis: Auf gar keinen Fall. Es gibt eine kleine Szene, und die wächst stetig. Aber das lässt sich mit Europa überhaupt nicht vergleichen. DJs wie Juan Atkins spielen hier vielleicht vor 150 Leuten. Und hier wären es wohl Tausende, oder? Das "Berghain" wäre voll.

    Fricke: Gibt es denn einen elektronischen Stil, auf den Sie besonders stehen?

    Stelmanis: Absolut. Ich habe auch angefangen aufzulegen, aber das muss nicht die Musik sein, die vor allem das Album beeinflusst hat. Das war vor allem früher House und früher Techno. Darum haben wir auch all diese analogen Synthesizer verwendet. Vor allem hat mich diese eine House-Hymne beeindruckt: "Move your Body" von Marshall Jefferson. Die wurde mit einer kompletten Band eingespielt, mit echten Instrumenten und echtem Gesang. Handgemachte Housemusik eben. Ich liebe dieses Stück.

    Fricke: Sie sind also richtig tief in die Geschichte von Housemusik eingetaucht?

    Stelmanis: Ja, ich habe sogar ein Buch darüber gelesen.

    Fricke: In ihrer Musik steckt eine gehörige Portion Synthie-Sound der 80er-Jahre, wie in vielen anderen aktuellen Bands auch. Ich bin mit dieser Musik aufgewachsen, aber Sie nicht. Haben sie da selber recherchiert und so erst Bands, wie zum Beispiel Soft Cell entdeckt? Fühlt sich diese Musik für sie bereits historisch an oder wie Musik der Gegenwart?

    Stelmanis: Die hört sich schon gegenwärtig für mich an. Als ich angefangen habe Musik zu machen, hatte ich von diesen ganzen 80er-Synthie-Bands überhaupt keine Ahnung. Ich denke, dass das alles in einem ganz natürlichen Kreislauf miteinander zusammenhängt. Gitarrenrock war in den 90ern sehr populär. Aber mit dem Durchbruch von Grunge in den Mainstream hat sich dieser Rockgestus total abgenutzt. Viele Musiker haben sich in der Folge wieder den Synthesizern zugewandt. In den 60ern und 70ern waren auch Gitarrenbands dominierend, bis sie in den 80ern von den Synthie-Bands abgelöst wurden. So wiederholt sich alles immer wieder.

    Fricke: Sie sind klassisch ausgebildete Sängerin, und in ihrer Jugend waren sie großer Opernfan. Wo kann ich diese Begeisterung heute noch in ihrer Musik finden?

    Stelmanis: Die hat sich ein meine Persönlichkeit integriert, so würde ich das vielleicht ausdrücken. Ich versuche eigentlich nicht mehr, Operneinflüsse in meine Musik zu integrieren. Aber meiner Stimme kann man die Ausbildung natürlich noch anhören.

    Fricke: Brezeln sie sich denn gerne auf auf der Bühne? Mögen sie noch diese ganze Opern-Dramatik?

    Stelmanis: Das Drama schon, ich setze auch gerne visuelle Akzente auf der Bühne, aber nicht unbedingt das Melodrama. Zu Beginn meiner Karriere habe ich viel auf Melodramatik gesetzt. Aber auf "Olympia", dem neuen Album, wollte ich mich absichtlich beschränken. Die Musik sollte der Stimme vorgeben, wo es langgeht, und nicht umgekehrt.

    Fricke: Ihre Popkarriere begann in einer Riot-Girl-Band, was man sich heutzutage kaum noch vorstellen kann. Haben sie sich in einer reinen Rockband denn wohlgefühlt?

    Stelmanis: Für mich war das eine sehr wichtige Erfahrung. Die Rockmusik hat mir geholfen, aus der klassischen Musik auszubrechen. Ich bin quasi direkt vom Konzertsaal in den Proberaum gefallen, wo ich erst einmal wieder alles verlernt habe. Rockmusik hat mir geholfen, Musik von einer ganz anderen Warte zu betrachten. Ich war total festgefahren in meinem klassischen Ausdruck. Aber dann habe ich Gitarre gelernt, aber eher "Learning by Doing". Das war essenziell für alles Weitere.

    Fricke: Austra sind eine der wenigen Bands, in denen Frauen die Mehrheit stellen. Wie sind da ihre Erfahrungen in der Branche? Spüren sie noch Hindernisse speziell für Frauen?

    Stelmanis: Absolut. Am problematischsten finde ich die weitverbreitete Annahme, dass Frauen im Musikgeschäft auch automatisch "Fashion Icons" sein sollen. So viele Interviews sind über Mode, dazu die ganzen Fotoshootings. Gut, das ist Teil des Jobs. Aber dahin wollte ich nie, ich habe mit Mode einfach nichts am Hut. Und Männer müssen das ja auch nicht in dem Ausmaß machen, oder?

    Fricke: Glauben sie, sie wären an derselben Stelle ihrer Karriere, wenn sie sich nicht als homosexuell geoutet hätten?

    Stelmanis: Wahrscheinlich nicht. Einer der Hauptgründe, warum ich nicht nach Montreal gezogen bin, um Operngesang zu studieren, war die Entdeckung der queeren Szene in Toronto. Da wollte ich hin, und die hat mich letztendlich aus der Welt der Klassik befreit.

    Fricke:Und wie wichtig ist es Ihnen, heute als queere Künstlerin wahrgenommen zu werden? Können sie sich vorstellen, in eine ähnliche Vorbildrolle wie Beth Ditto von The Gossip gedrängt zu werden?

    Stelmanis: Die Wahrnehmung ist mir schon wichtig. Ich möchte, dass den Leuten bewusst wird, was es mit queerer Kultur auf sich hat, und dass es Grundrechte für Homosexuelle gibt. Mir ist klar, dass ich eine gewisse privilegierte Stellung innehabe. Ich bin bekannt in der alternativen Musikszene, also hat meine Stimme dort Gewicht. Und das will ich gerne ausnutzen – denn viele andere in der Szene machen ihren Mund eben nicht auf.