Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Meinungsfreiheit und rechte Akteure
PEN Deutschland: Autoren werden unter Druck gesetzt

Die Schriftstellervereinigung PEN beobachtet mit Sorge, dass rechte Kräfte unbequeme Autorinnen und Autoren mit juristischen Mitteln einzuschüchtern versuchen. Ralf Nestmeyer vom PEN Deutschland befürchtete im Dlf, Berichterstatter könnten sich daraufhin selbst zensieren, um Klagen zu vermeiden.

Ralf Nestmeyer im Gespräch mit Michael Köhler | 22.10.2019
Der Vize-Präsident des PEN Deutschland Ralf Nestmeyer
Der Schriftsteller Ralf Nestmeyer ist Vizepräsent des PEN Deutschland (privat)
Michael Köhler: Wüste Beschimpfungen von Amtsträgern und Politikern, Hate Speech und eine gewisse Verrohung und Verschiebung im öffentlichen Meinungskampf sind unübersehbar. Die grundrechtlich großzügig gesicherte Meinungsfreiheit wird teils auch von rechten Kreisen gegen ihre Kritiker in Stellung gebracht. Das geht soweit, dass durch Androhung und juristischen Druck in Form von Klagen oder Unterlassungserklärungen die Autoren beeinträchtigt werden. Mehr noch, dass es zu einer Art Selbstzensur kommt.
Das sagt Ralf Nestmeyer, Vizepräsident des deutschen Zweigs der Schriftstellervereinigung PEN. Akteure aus dem rechten Spektrum würden viel unternehmen, die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Ich habe ihn gefragt, wie und wo geschieht das?
Ralf Nestmeyer: Der konkrete Fall war jetzt ein Buch aus dem Christoph Links Verlag mit dem Titel "Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos", das im Juni 2019 erschienen ist. Und die Autoren dieses Buches, Andrea Röpke und Andreas Speit, die haben zahlreiche Recherchen unternommen, um aufzudecken, inwieweit in den letzten Jahren eine nationalistisch gesinnte, stille Unterwanderung im ländlichen Raum stattgefunden hat. Die Ergebnisse ihrer Studie haben sie anschließend veröffentlicht. Und darin sind natürlich Namen genannt worden von rechten Akteuren, die sich in dem Spektrum bewegen und agieren.
Erstmal wurde das Buch relativ gut publik. Dadurch wurde es dann auch in diesen rechten Kreisen zur Kenntnis genommen. Das Ganze hatte die Folge, dass gegen den Christoph Links Verlag wie auch gegen die Autoren Abmahnungen erfolgten mit Unterlassungserklärungen. Man hat Schadensersatzforderungen angedroht. Die konnten der Verlag und die Autoren abwenden. Aber sie mussten jedes Mal einen Rechtsanwalt einschalten und mussten dagegen vorgehen, mussten sich erwehren, was natürlich auch mit Kosten für diese freien Autoren und den Verlag verbunden ist.
"Will ich mir das antun? Kann ich mir das leisten?"
Köhler: Die bislang unausgesprochene These von Ihnen lautet, dass das mit einer Form von Selbstzensur einhergeht? Deute ich das so richtig?
Nestmeyer: Ja, in einer gewissen Weise schon. Weil man sich überlegen muss als Autor: Wenn ich über solche Sachen berichte, dann werde ich überzogen mit Klagen. Will ich mir das antun? Kann ich mir das eventuell wirtschaftlich gar nicht leisten, dagegen vorzugehen, oder auch dagegenzuhalten, wenn das mehrfach vorkommt?
Das ist ja auch das Ziel dieser Kanzleien, das dahintersteckt. Da kamen allein fünf Abmahnungen von einer Kölner Kanzlei namens Höcker. Das ist übrigens auch die Kanzlei, in die vor kurzem erst der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen als projektbezogener Mitarbeiter eingetreten ist. Und diese Kanzlei Höcker versendet dann also diese Abmahnungen an die Autoren. Und sobald eine Autorin dann bei Lesungen oder bei Diskussionen nochmals dazu Stellung genommen hat und ein Name wiederum genannt war, kam erneut eine Abmahnung.
Köhler: Nun wird es, wenn man journalistisch arbeitet oder Bücher verfasst, heikel, wenn man sich mit großen Nahrungsmittelkonzernen anlegt, mit der Mineralölindustrie oder mit anderen großen Playern. Das kennt man. Was ist das spezifische Rechte daran?
Nestmeyer: Es wird versucht, gegen ihn vorzugehen, dass er vielleicht über solche Themen nicht mehr berichtet, weil man im Verborgenen agieren will und nicht mit seinen Handlungen in der Öffentlichkeit stehen möchte. Das steckt dahinter. Damit versucht man auch, die Leute indirekt zu bewegen, sich eventuell selbst zu zensieren oder über manche Themen nicht mehr zu berichten.
Studie mit erschreckenden Ergebnissen
Köhler: Sind Ihnen Fälle von Selbstzensur bekannt? Wenn Autoren vielleicht die Finger von einem Thema lassen aus Furcht, dass das freie Wort nicht ausreichend geschützt ist?
Nestmeyer: Da sind uns Fälle bekannt. Wir hatten auch eine Studie in Auftrag gegeben. Die haben wir letztes Jahr zusammen gemacht mit der Universität Rostock. Und da ging es um Übergriffe und Selbstzensur. An der Studie haben sich 526 Schriftstellerinnen und Autoren beteiligt, die erschreckende Daten zutage gefördert haben. Das ist eine relativ breite Basis mit über 500 Teilnehmern. Und da hat sich ein großer Teil besorgt gezeigt. Und jeder zweite hatte bereits Übergriffe auf seine Person erlebt – Übergriffe nicht tätlicher Art, sondern Hate Speech im Netz, Angriffe, Hetze im Netz, Shitstorms.
Angriffe, derer man sich erwehren musste, wie es jetzt unlängst auch publik wurde im Fall der Politikerin Künast in Berlin. Es wird dann schon sehr heftig im Netz, teilweise unter Klarnamen, teilweise mit Pseudonymen, wo Autoren und Journalisten für ihre Berichterstattung angegangen werden.
Köhler: Einschüchterungen und Versuche, Meinungsfreiheit einzugrenzen, sagen Sie, ist ein Prinzip, rechtsagitatorisch auf das freie Wort einzuwirken und den Artikel 5 ein bisschen zu verschieben?
Nestmeyer: Genau. So in dieser Art würde ich das interpretieren. Ich habe es ja gerade dargelegt. Und der PEN versucht, darauf aufmerksam zu machen, damit das nicht weiter gehen kann. Also versuchen wir, im Namen aller Autoren unser Wort zu erheben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.