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Meister der Abendkonzerte

Während die Kompositionen des Lübecker Organisten Dietrich Buxtehude lediglich lokalen Ruhm erlangten, wurde sein Orgelspiel im so genannten fantastischen Stil weit über die Grenzen der Hansestadt bekannt. Aus ganz Deutschland kamen seine Anhänger, unter ihnen auch Johann Sebastian Bach.

Von Xaver Frühbeis | 09.05.2007
    "In sechs Tagen schuf Gott die Welt. Er spielt auf sechs Registern der Weltorgel. Der Luftstrom aus den Orgelpfeifen haucht der Welt das Leben ein. So entstehen das Licht und die Sterne, das Land und das Wasser, die Pflanzen, die Tiere und die Menschen. Die Orgel vereint sie alle in Harmonie."

    Die Welt als große Orgel, und Gott ihr Organist - so sieht das Anfang des 17. Jahrhunderts der Jesuit und Naturwissenschaftler Athanasius Kircher. Wer auf Erden den Dienst an der Orgel in der Kirche versieht, ist Repräsentant Gottes in kleinem Maßstab, ein Stifter von Harmonie und Mehrer seines Ruhms, und die Leitung einer angesehenen Kirchengemeinde prüfte genau, wen sie auf diesen Posten berief.

    Im April 1668 holte man einen Musiker von der damals dänischen Halbinsel Schonen an die Marienkirche nach Lübeck. Der junge Mann hieß Dietrich Buxtehude, stammte aus einer holsteinischen Organistenfamilie und war von seinem Lübecker Vorgänger auf dessen Sterbebett empfohlen worden. Kaum hatte Buxtehude seinen Dienst angetreten, fing er auch schon an, die Kirche umzubauen. Im Hauptschiff ließ er neue Emporen hochziehen, Buxtehude brauchte Platz für mehr Musiker, denn er hatte Großes vor.

    Buxtehudes Vorgänger hatte an Sankt Marien ein paar Jahre zuvor so genannte Abendmusiken eingeführt, Konzerte mit geistlicher Musik außerhalb der Gottesdienste. Buxtehude griff diese Idee auf und machte mehr daraus. Nun durften sich die Gläubigen Lübecks an fünf Abenden der Adventszeit an einem ganzen Orchester samt Chor und Solisten ergötzen, und Buxtehude komponierte eigens Werke dafür. Die Veranstaltungen waren von den Zünften der Stadt gesponsert und der Eintritt kostenlos, was leider auch viel rüpelhaftes Volk in die Kirche lockte, die Ratswache musste für einen geordneten Ablauf sorgen.

    "Der abscheuliche Lärm der mutwilligen Jugend und das unbändige Laufen, Rennen und Toben hinter dem Chor will einem fast alle Anmut, die man von der Musik haben könnte, benehmen. Zu geschweigen der Sünden und Gottlosigkeiten, die unter der Gunst der Dunkelheit und des schwachen Lichtes ausgeübet werden."

    Obwohl viele sich nicht zu benehmen wussten: Die Abendmusiken Buxtehudes waren ein großer Erfolg. Mit ihnen beginnt die Tradition der Geistlichen Konzerte in Deutschland, sie existieren als sommerliche Konzertreihe in Lübeck noch heute. Während Buxtehudes Kompositionen - Kammermusik, Orgelwerke und vor allem über hundert große geistliche Vokalwerke - eher lokalen Ruhm fanden und nur wenig gedruckt wurden, war sein Orgelspiel im so genannten fantastischen Stil, einer modernen und leidenschaftlichen Art zu improvisieren, weit über die Grenzen der Hansestadt bekannt. Aus ganz Deutschland pilgerten die jungen Musiker nach Lübeck, ihn zu hören. Einer kam gar 400 Kilometer weit zu Fuß, sein Name war Johann Sebastian Bach.

    Bach wollte Buxtehudes Musik studieren, aber er machte sich auch Hoffnungen auf die Stelle des alternden Organisten. Doch wer an Sankt Marien Organist werden wollte, der musste zuvor des dortigen Organisten Töchterlein heiraten. Das war Zunftbrauch, auch Buxtehude hatte das seinerzeit so gehalten, hier jedoch gab es ein Problem. Die einzige noch unverheiratete Tochter Buxtehudes war dick und hässlich. Bach ging lieber unverheiratet nach Hause. Erst im Jahr darauf fand Buxtehude in einem vergleichsweise wenig bekannt gewordenen Menschen namens Schieferdecker einen Schwiegersohn und Nachfolger.

    Am 9. Mai 1707, im Alter von ungefähr 70 Jahren, starb Dietrich Buxtehude, der berühmte Meister der Abendkonzerte und Mehrer des Ruhms Gottes an der Orgel. Zu Grabe getragen hat man ihn in jener Kirche, deren Musik er sein Leben lang prägen durfte, in Sankt Marien zu Lübeck.