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Meister der Intuition

Attila Zoller gelang, wovon andere europäische Musiker ein Leben lang träumen: Er wurde ein anerkanntes Mitglied der US-amerikanischen Jazzszene. Zoller suchte das Abenteuer auf seinem Instrument. Und er fand Brillanz.

Von Günther Huesmann | 13.06.2007
    Sein Lieblingswort war "immens". Attila Zoller war ein höchst eigenwilliger Musiker. Er sprach eine eigene Sprache, man nannte sie "Zollerese", ein skurriles Sprach-Misch-Masch aus Englisch, Wiener Schmäh, ungarischen Sprachbrocken und Jazz-Slang.

    Wahrscheinlich war der Ungar der erste Gitarrist, der ohne das Gerüst festgelegter Harmoniefolgen improvisierte. Von der strengen Akkordschule der Jazzgitarre hat er sich mit bewundernswerter Fantasie gelöst. Er suchte das Abenteuer auf seinem Instrument. Und er fand Brillanz: mit mutigen Intervallen, mit überraschenden Harmonien und mit Pausen, die mehr sagten als tausend Noten.

    Zoller hatte großen Respekt vor der afroamerikanischen Jazztradition. Aber er weigerte sich, in seinen Soli einfach nur zu kopieren.

    "Was heißt das immer, Blues ist Jazz? Wer hat gesagt, dass nur Blues, wenn man Jazz spielt, man muss Blues spielen? Das ist nicht wahr. Da gibt es viele andere Techniken auszudrücken."

    Geboren am 13. Juni 1927 in Visegrad nahe Budapest, wächst er in einer Musikerfamilie auf. Der Vater, Dirigent, sorgt dafür, dass der junge Attila Geige spielt. Mit Sechs wechselt er zur Trompete, nach dem Krieg spielt er Gitarre, musiziert in Budapester Clubs.

    Das Wort "Heimat" kannte er nur in der Vielzahl. Seine Wanderung nach Westen führt ihn zunächst 1948 nach Wien, wo er zum ersten Mal den Klängen des Cool-Jazz begegnet. Die kristallklaren Stimmgeflechte dieses Stils faszinieren ihn, vor allem Lennie Tristano und Chet Baker.

    1954 kommt er in die Bundesrepublik. Den deutschen Nachkriegsjazz hat Zoller mitgeprägt wie kein anderer Gitarrist. In den Bands von Jutta Hipp und Hans Koller schuf er mit seinen ideenfunkelnden Linien Meilensteine des europäischen Jazz.

    Zoller war ein Meister der Einfühlung und der Intuition. Hier war ein Könner feiner, delikater Gitarren-Linien am Werk. Kein Hau-Ruck-Improvisator, Zollers Jazz hatte eine alles umfassende Ruhe und Eleganz.

    Er sprach vom Glück, und das hatte er auch, 1959, als er, ausgestattet mit einem Stipendium für die John-Lewis-Schule in Lennox in die USA übersiedelte. Er teilte ein Zimmer mit zwei anderen Studenten: Ornette Coleman und Don Cherry, zwei Avantgardisten, die sich anschickten, das Free-Jazz-Beben auszulösen:

    "Das hat mich umgeworfen, die ganze freie Sache: ohne Taktlinien, nur Ausdruck. Von Ornette habe ich dann gehört, er sagte mir: 'Du klingst wie, du möchtest spielen wie ein amerikanischer Gitarrist. But you have to play where you come from.'"

    Attila Zoller spielte Swing mit Benny Goodman, Cool Jazz mit Chico Hamilton, Free Jazz mit Ornette Coleman. Er war ein liebenswert chaotischer Mensch, hatte ein Häuschen in der waldigen Hügellandschaft von Vermont. Hier lebte er unterbrochen von vielen Tourneen 40 Jahre lang. Hier auch leitete er eine kleine, exquisite Gitarrenschule, in der ein Spieler lernte, der Zoller später an Berühmtheit weit übertreffen sollte - Pat Metheny:

    "Dank Attila wurde ich Jazzmusiker."

    Die Gefühlsmusik des ungarischen Czardas, erzählt Zoller, sei ganz nah dran an der Gefühlsmusik des Blues. Es sei nicht nur amerikanischer, schwarzer Blues, den er spiele, es sei auch ungarischer Blues. Als in den 70er Jahren die Welle der Fusion-Musik losbrach, wurde es schwer für den Meister der subtilen Linien. Doch die Fähigkeit, sich selbst und seine Hörer zu überraschen, hatte er nicht verloren:

    "Weißt, ich bin immer wieder verwundert, was aus der Scheiß-Gitarr' alles so rauskommt."

    Die Tresen in den New Yorker Jazzclubs umrundete er gelegentlich im Handstand. Er lachte gerne über sich selber. Wenn es aber ums Musizieren ging, wurde Attila Zoller sehr ernst. Zoller war Jazzer durch und durch, am 25. Januar 1998 ist er in Vermont gestorben.

    "Jazz soll ausdrücken: heute. Die ganzen Gefühle von Leute, von deine eigenen Gefühle und von die ganze Szene. Wie man lebt."