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Meister der Reiseschriftsteller

Es ist schon merkwürdig unter Frangipaniblüten echten holländischen Pannekoeken mit einer dicken Schicht Puderzucker zu essen, am Strand zwischen Palmen eine englische Teatime zu genießen oder frische französische Baguettes in den Händen schwarzer Schönheiten welken zu sehen.

Von Liane Dirks | 19.02.2010
    Und wenn man dann noch weiß, dass man eigentlich auf einem Vulkan sitzt oder auf weiter nichts als einem großen Haufen toter Korallen, dann kann man schon ins Staunen kommen. Dort auf jenen Inseln, die der Wind einteilt in: "unter", "über" und "vor" dem Wind.

    Hurican hieß dieser Wind bei den Ureinwohnern und war natürlich ein Gott und zwar einer von der ungemütlichen Sorte. Das Staunen lehrt er uns heute noch, auch wenn seine Söhne und Töchter jetzt so freundliche Namen wie Felix, Ike, Dennis, Rita und Katrina tragen.

    Diese Inseln, die je nach Betrachter mal Westindien, mal Kleine und Große Antillen oder einfach nur Karibik heißen, diese Inseln, über die der europäische Kolonialismus tausendmal schärfer hinwegfegte als es der Windgott je vermochte - und das will was heißen -, diese Inseln hat der englische Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor vor mehr als einem halben Jahrhundert besucht. Er nahm das Schiff wie einst Columbus, und wie dieser war er voller Neugier und Forscherdrang. Doch anders als Amerikas Entdecker sah Fermor sich jede Perle dieses Inselarmbands einzeln an. Es zog ihn nicht weiter. Fermor blieb, Tage, Wochen, Monate, am Ende ein halbes Jahr. Damit tat er das einzig Richtige. Denn wer die Karibik entdecken will, der muss sich Zeit nehmen. Und wer Fermors Reisebericht lesen will, der muss das ebenfalls. Satte 640 Seiten umfasst das kostbare leinengebundene Werk, da sollte sich bei der Lektüre der eine oder andere Rum-Punsch hinzugesellen.

    "Der Baum des Reisenden", das ist jene Palme, mit deren Blattwedeln man Hütten und Dächer bauen und aus deren Blatttaschen man Regenwasser trinken kann. Schutz und Nahrung also und Schönheit oben drauf: Die Blütenknospen platzen bei Berührung und verspritzen roten Blütenstaub. Und natürlich, wie alles in der Karibik, ist dieser Baum Importware. Die Palme kommt aus Madagaskar. Was kommt dort nicht von irgendwo anders her.

    640 Seiten dieses Meisters der Reiseschriftsteller, das ist nicht nur akribische Beobachtung gepaart mit poetischer Sprache, das sind nicht nur Berichte aus einer fernen Inselwelt mit klangvollen Namen wie Trinidad, Barbados, Guadeloupe, Antigua, das sind auch ebenso viele Seiten Kolonialgeschichte. Auch wenn der Verfasser schreibt, er habe politische Fragen "ausgespart", sie begegnen uns ständig. Fermors Schiff heißt "Colombie", von ihm aus sieht er die "blaßgrünen Inseln backbords vorbeischweben", wie er schreibt.

    "Es war kaum mehr als eine Ahnung der wogenden schwarzen Vegetation und der Nebelseen zwischen den Baumkronen. In Minutenschnelle wechselte der Sonnenaufgang von Violett zu Bernstein, von Bernstein zu Scharlachrot, von Scharlachrot zu Zinkgrau und von Zinkgrau zu Safran."

    Das sind die Farben der Karibik. Doch kaum hat sich Fermor mit seinen Gefährten den Weg durch die Mangrovenwälder gebahnt, um in Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe an Land zu gehen, gibt es auch schon Marschmusik und auf den gestärkten französischen Kolonialuniformen Schärpen in den Farben der Trikolore.
    Und auch wenn es 60 Jahre her ist, jene Mischung aus verheißungsvoller Ahnung, jene Bilder von üppiger Vegetation, Farbenrausch, Leichtigkeit und Hitze bestimmen noch heute unseren karibischen Traum und immer wieder platzt er, wenn die Eroberer kommen. Freilich gehen heute keine Generäle mehr an Land, wie damals bei Fermor, jedenfalls in der Regel nicht, aber dafür 3000 Touristen gleichzeitig von einem der Kreuzfahrtschiffe, die eben dort ankern, wo einst die Mangrovenwälder das Ankern verhinderten.

    Vieles von dem, das Fermor damals begegnete, gibt es heute nicht mehr. Die Regenwälder sind durchforstet, die Pfade der Eselskarren sind Autobahnen gewichen, das geheime Wissen der Voodoopriester hat sich im Dunst der omnipräsenten Rastafari-Ganya-Raucher aufgelöst.
    Gegen die ersten englischen Siedler haben sich die Kariben seinerzeit mit dem Rauch von brennenden, roten Pfefferschoten gewehrt. Naiv und harmlos. Damit kann man sie dem Spott preisgeben und das Klischee des Kariben pflegen. Ganz frei von dieser Sicht ist auch Fermor nicht, dessen "Rassen"-Beschreibungen uns heute befremden. Ethnologie und Zoologie scheinen da manchmal eng beisammen zu liegen, aber so ist das eben, nicht nur das bereiste Land entblößt sich, sondern auch der Reisende selbst.
    Dennoch, wer die Karibik entdecken will, dem sei der "Baum des Reisenden" ans Herz gelegt. Der Traum des Reisenden wird diese Region der Erde immer bleiben.

    Patrick Leigh Fermor: Der Baum des Reisenden, Eine Fahrt durch die Karibik. Deutsch von Manfred und Gabriele Allié, Dörlemann Verlag, 640 Seiten, 33 Euro.