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Meister der Spannung

Alfred Hitchcock, der Meister des Spannungskinos, Schöpfer poetischer Angstbilder und Zauberkünstler der filmischen Illusion, hat keinen einzigen Oscar bekommen. Während Hollywood seine Kunst lange nicht begriffen hat, stand er in Europa für eine eigene, unerreichte Art des Filmemachens. Der geheimnisvolle Einzelgänger, starb 1980 im Alter von 79 Jahren.

Von Josef Schnelle | 29.04.2005
    Kaum zu glauben: Einen Oscar hat Alfred Hitchcock tatsächlich nie bekommen - für keinen seiner 53 Filme, von denen mindestens ein gutes Dutzend zu den Klassikern des Kinos gerechnet werden muss. Erst kurz vor seinem Tod regnete es Auszeichnungen - mit dem "Life Achievment Award" des American Film Institutes 1979 als Höhepunkt. Ingrid Bergman, Star dreier seiner Filme, fungierte als Zeremonienmeisterin des Abends im Ballsaal des Beverley Hilton Hotels. Cary Grant saß neben Hitchcock und seiner Frau Alma. James Stewart war da und mit ihm der britische Botschafter und 1500 Ehrengäste. Viele Filmausschnitte, viel Beifall: eine gut getimte Fernsehshow lief ab. Hitchcock bemühte sich, würdevoll da zu sitzen.

    Doch seine Grußbotschaft kam vom Magnetband. "Guten Abend, herzlich willkommen im finstersten Hollywood." begann sie. Ein Live-Auftritt des schwerkranken "Master of Suspense" war den Fernsehleuten als zu großes Risiko erschienen. Und tatsächlich schwankte Alfred Hitchcock ein wenig später quälend langsam auf die Bühne, um die Huldigungen entgegen zu nehmen. Und einmal - nach dem raschen Schwenk einer Fernsehkamera - da schaute er so traurig, wie nur einer schauen kann, der sich auf einer verspäteten Ehrenveranstaltung so unwohl fühlt, als sei sie sein vorgezogenes Begräbnis. Die Ehrung durch die Hollywoodbranche überlebte er kaum mehr als ein trauriges und von körperlichem Verfall gekennzeichnetes Jahr. Hollywood hatte sowieso nie begriffen, was für ein großartiger Künstler er war. Eher Europa, wo Hitchcock für eine ganze Generation der Inbegriff des Filmemachers mit einer eigenen Handschrift wurde. Was, so fragte man sich, kennzeichnet eigentlich einen typischen Hitchcock-Film.

    Hitchcock:
    "Für mich in einem Film müssen die Leute Angst um die Charaktere haben."

    Besonders bohrend waren die Fragen von Francois Truffaut. Aus vielen Stunden seiner Interviews entstand "Wie haben sie das gemacht Mr. Hitchcock" - eine Anleitung für das Kino so wie Hitchcock es sah und außerdem als eine Art Gründungsdokument der "Nouvelle Vague" gilt, des französischen Autorenkinos, das zumindest für einige Zeit als Gegenkraft zu Hollywood die Welt eroberte. Was Truffaut und Co an Hitchcock bewunderten: Er hatte es geschafft, selbst in der knallharten Traumfabrik, in der der Regisseur nichts galt, seinen persönlichen Stil durchzusetzen. Schon 1939 mit seinem ersten Hollywoodfilm "Rebecca" nach dem Roman von Daphne du Maurier. Eine jungfräulich-schüchterne Frau verliebt sich in einen "Ritter Blaubart" und sieht sich den geheimnisvollen Angstmythen um ein einsames Haus ausgesetzt: Gehen sie weg aus Manderley fordert die Haushälterin, und wir ahnen all die tatsächlichen und möglichen Morde und Schrecken des Ortes.

    Hitchcock gilt als Meister der Spannungsdramaturgie, die es mit kleinsten Andeutungen schafft, dass sich die Nackenhaare der Zuschauer sträuben. Man kann das Werk des Alfred Hitchcock aber auch als Kompendium neurotisch-entgleisender Beziehungen zwischen Mann und Frau sehen. Zum Beispiel Marnie:

    "Mann könnte Marnie ein Sex-Mysterium nennen, falls es diese Bezeichnung gäbe. Unser Held wendet die Mund-zu-Mund Wiederbelebungsmethode an. Das hinterlässt jetzt vielleicht den Eindruck, dieser Film handelt nur vom Sex und zeigt kein Kriminalstück. Doch das stimmt nicht."

    Vielleicht wurzelte ja alle Kunst Hitchcocks in der rastlosen Suche nach einer idealen Frauengestalt - als perfekte Ikone für den fetten, düsteren Einzelgänger, der er immer blieb. Als man ihn einmal fragte, wie er denn denke, dass man sich nach einem Hitchcock-Film fühlen müsse, antwortete er: Ohnmächtig natürlich. Ich hoffe, sie haben da immer jemand, der die Leute aufsammelt.