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Meister der Täuschung

Stillleben, deren Blumen so naturgetreu sind, dass Schmetterlinge sich auf ihnen niederlassen, ein gemalter Himmelsprospekt, der wie ein Blick ins echte Firmament wirkt - uralte Träume in der Kunst. Schon auf antiken Mosaiken und Fresken kann man die Kunst des Täuschens begutachten. Im Tromp-l'oeil - der barocken Kunst der Augentäuschung - erlebte sie Triumphe. Einer der virtuosesten Täuscher war der Italiener Andrea Pozzo, der am 31. August 1709 gestorben ist.

Von Rainer Berthold Schossig | 31.08.2009
    Die antike Anekdote vom Wettstreit der Maler Zeuxis und Parrhasios erzählt, dass des Zeuxis' Trauben so echt wirkten, dass die Vögel nach ihnen pickten. Doch des Parrhasios' gemalter Vorhang täuschte seinen Kollegen Zeuxis dergestalt, dass er danach griff, um ihn beiseite zu ziehen. Die Kunst strebte auch Jahrhunderte später noch nach dieser Tugend: vollständige Nachahmung der Natur und größtmögliche Augentäuschung. Als der Maler und Architekt Andrea Pozzo am 31. August des Jahres 1709 in Wien starb, hatte er dies zur Perfektion gebracht.

    Wer die römische Jesuitenkirche Sant Ignazio betritt, ist beeindruckt von ihrer Pracht und Herrlichkeit. Sie gehört zu den größten Gotteshäusern Roms. Die vergoldeten Inkrustationen im Altarraum funkeln im Kerzenlicht, marmorne Doppelpilaster führen den Blick himmelwärts. Über Langhaus und Chor erhebt sich ein mächtiges Tonnengewölbe, reich geschmückt mit frommen Bildern. Die Ausmalung von Sant Ignazio zählt zu den Meisterwerken Andrea Pozzos. Unmerklich gehen die echten Pilaster oben in gemalte über, verlieren sich in einem Labyrinth von Bogen, Simsen und Gewölk. Allerlei heiliges Personal flattert hier, pausbäckige Putten, trompetende Heroen. Und wer nicht genau hinsieht, der glaubt, das Sant Ignazio von einer riesigen Kuppel mit Laterne gekrönt sei. Auch dies ist Tromp-l'oeil, Augentäuschung aus Malerei und Perspektive. Zeitgenossen sahen darin höchste Meisterschaft, Nachgeborene fühlten sich getäuscht und reagierten ablehnend. In seinem berühmten, 1855 erschienenen Standardwerk "Der Cicerone" tadelte der Kunsthistoriker Jacob Burckhardt die spätbarocke Gewölbemalerei als "Tummelplatz aller Gewissenlosigkeit":

    "In Erwägung, dass selten jemand die physischen Kräfte habe, ein Deckenbild genau und lange zu prüfen, richten sich die mehr dekorativ als ernstlich gemeinten Gewölbemalereien nach demjenigen Eindruck, den das vom Gedanken verlassene, müßig irrende Auge am meisten wünscht."

    In Andrea Pozzos Jugend gilt genau dies als chic. 1642 in Trient geboren, erlernt er früh das Mal-Handwerk und ebenso die Grundlagen der Baukunst. Als junger Mann tritt er dem Jesuitenorden bei, und mit seinen Fresken für die Kirche Santi Martiri im piemontesischen Mondovi legt er sein Gesellenstück ab. Pozzo steht im Schatten seiner Vorgänger Mantegna, Caravaggio oder Carraci; er ist ein zu spät geborener Manierist. Doch er steigert die reine Licht-Schatten-Dramatik dieser Maler zu einem komplexen Gesamtkunstwerk, einem Hyper-Raum-System aus Gewölben, Lünetten und Stukkaturen, zu einer weich gemalten, grandiosen Illusion. Als typisches Kind des Barock fasziniert Pozzo gerade wegen seiner extremen Virtuosität: Er macht die Kirche zum Theater, den Chorraum zur Bühne.

    Der Wunsch, irdische und himmlische Sphären zum jubelnden Lobe Gottes künstlerisch zu verschmelzen, durchzog alle Projekte Pozzos, sei es in Rom und Modena, Triest und Ljubljana, oder schließlich in Wien, wohin er 1702 von Kaiser Leopold I. gerufen wurde, um die Universitätskirche zu modernisieren: Außen eine repräsentative Fassade, innen geschraubte Säulen aus Stuckmarmor und natürlich eine opulente Ausmalung. Gerade diesen jesuitischen Pomp sah Jacob Burckhardt aus dem reformierten Basel kritisch:

    "Die Gegenreformation drängt dem Gewölbe und dem Wandzierrath eine Menge erzählender Darstellungen und sachlicher Beziehungen auf, welche nicht frei in Schönheit sich auflösen lassen. Die naturalistische Auffassung der Scenen macht das schöne, leichte Dasein im decorierten Raum unmöglich."

    Doch gerade wegen solchen Überschwangs war Andrea Pozzos Nachruhm groß. Sein theoretischer Traktat "Perspectiva pictorum et architectorum" - ein Hauptlehrbuch des 18. Jahrhunderts - beginnt mit einem Ratschlag, den auch heutige Architekten beherzigen sollten:

    "Perspectivische Risse von Gebäuden können weder Schönheit noch Proportion haben, wenn sie solche nicht von der Baukunst hernehmen. Dahero dann eine Nothwendigkeit seyn will, daß man sich im Zeichnen üben und solcher Kunst dermaßen mächtig werde, daß man aus einer jeden Aufziehung den Grundriß zu formieren wie auch das Profil aufzurichten wisse."