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Meister des leuchtenden Dunkels

Zu Lebzeiten gefeiert und vielfach kopiert, später gemieden und vergessen. Und doch ist der Maler Rembrandt Harmenszoon van Rijn bei Kunstfreunden hoch verehrt. Bis heute ist der genaue Umfang seines Werkes nicht endgültig bekannt: Die Wissenschaft streitet weiter um Zu- und Abschreibungen des Malers, Zeichners und Radierers. In diesem Jahr wird der Meister des verlöschenden Lichts aus dem "Goldenen Jahrhundert" der holländischen Malerei mit vielen Sonderausstellungen international geehrt.

Von Rainer Berthold Schossig | 15.07.2006
    Der da am 15. Juli des Jahres 1606, als Sohn einer Bäckerstochter und eines Müllers, im holländischen Leiden geboren wurde, gehört zu den berühmtesten und zugleich rätselhaftesten Künstlern des so genannten Abendlandes. Rembrandt, wer war das, wer ist das? Vor allem die Deutschen grübelten immer wieder darüber:

    "Rembrandt ist ein echter Nibelunge, ein Held aus dem Nebelland. Seine Werke machen den Eindruck, als ob der Nebel sich zu mystischen Bildern verdichtet habe, durch die Einwirkung eines Sonnenstrahls, der in ihn fällt. Dieser Sonnenstrahl ist der Geist der höchsten Individualität!"

    So raunte es in dem von Julius Langbehn unter dem Pseudonym "Von einem Deutschen" geschriebenen Buch "Rembrandt als Erzieher": Bestseller und Bibel der Kunsterzieher- und Wandervogel-Bewegung. Rembrandt, der niederländische Meister des leuchtenden Dunkels, als Stammvater teutonischer Verschwommenheit, als großer Regelloser, der alle Schablonen der Klassik gesprengt habe!

    Umso tiefer konnte man ihn in die Schublade allgermanischer Blut- und Bodenkunst stecken. Dies war der Gipfel des Missverstehens, mit dem das 19. Jahrhundert den zuvor fast Vergessenen feierte. Kurzerhand wurden alle in seinem Namen gefälschten oder seiner "Manier" nachempfundenen Werke, Rembrandts Oeuvre eingemeindet - wodurch man es bis zur Unkenntlichkeit entstellte. Befriedigt registrierte man, dass er nie in Italien war, sein Genie sich also ganz nordisch, jenseits aller mediterranen Überlieferung von Maß und Form entfaltet habe.

    "Ein Ungeschickter, ein Gezeichneter, der nie die elastische Fülle einer Frauenbrust, die kühle Schlankheit eines Körpers spürte. Der seine Leute anziehen muss, um sie erträglich zu machen. Ein Aufrichtiger aus Plumpheit, zu ungelehrt, um zu lügen, ein Geknechteter, schwer keuchend bei der Arbeit."

    Solche Rembrandt-Schelte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts süffig niedergeschrieben vom Großkritiker der "Belle Epoque", Julius Meier-Graefe, enthält schon einen Schuss jener Desillusionierung, die schließlich den angeschwollenen Rembrandt-Korpus wieder auf ein begreifbares Maß zurückschmolz. Dutzende populärer Werke, wie "Der Mann mit dem Goldhelm" oder "Der barmherzige Samariter", mussten abgeschrieben werden.

    Der Rest ist umso beeindruckender: Rembrandts Bilder entführen ins Halbdunkel des 17. Jahrhunderts, ins "Goldene Zeitalter" der Malerei, und zugleich in den 30-jährigen Krieg, wo Leben und Glauben dermaßen eng geführt wurden, dass sie umso schmerzhafter auseinander fielen.

    Das gnadenlos-wissenschaftlich sezierende Bild der "Anatomie des Dr. Tulp" öffnete Rembrandt die Türen der Amsterdamer Kaufleute. Kein Zufall, dass seine Werkstatt zunächst so blühte, seine Kunst Schule machte. Fuhr doch der Wind des Aufbruchs durch die kleine Welt Hollands. Der Mensch war nicht mehr Ebenbild Gottes, nur noch sein hässlicher Widergänger, auf dem ein Rest göttlicher Abendsonne lag. Jacob Burckhardt, der große Kenner der Renaissance, kritisierte Rembrandts Frevel am edlen Menschenbild der Antike und am biblischen Personal:

    "Die Göttin Diana stellt er als Bauerndirne da. Er radiert Adam und Eva mit Gorillaköpfen von namenloser Hässlichkeit. Es ist nicht wahr, dass die Gegenstände der Malerei ein bloßer Vorwand sein dürfen, damit eine einzige Eigenschaft ein souveränes Gaukelspiel daran aufführe."

    War es eben dies, was auch die Mitglieder der Amsterdamer Schützengilde 1642 die "Nachtwache" ablehnen ließ? Rembrandt distanzierte sich zunehmend von seinen bürgerlichen Auftraggebern. Der gefragte Meister geriet in Gegensatz zur besseren Gesellschaft. Der reife Rembrandt nahm die weltlichen und heiligen Geschichten dergestalt beim Wort, das sie ihm antastbar wurden. Er verwandelte sie in reine Gegenwart, in Malerei, die nichts Bleibendes mehr schaffen mag. Bilder, die nicht im Augenblick des Schönen verweilen, sondern faustisch zerrieseln, verrinnen. Spätere Rembrandt-Interpreten schwanken zwischen Bewunderung und Ratlosigkeit, wie der russische Materialist Alexander Lunatscharski:

    "Mit genialer Feinfühligkeit hat Rembrandt die hereingebrochene Bürgerwelt aufgenommen. Er konnte sie so vollständig nur darum erfassen, weil er gleichzeitig Bürger war und aus dem Bürgertum fort ging, zum reinen Ideologen des Bürgertums wurde und deshalb darüber hinauswuchs."

    Als Rembrandt im Herbst 1669 starb, folgten seinem Sarg nur wenige Amsterdamer Bürger. Der Trauerzug bewegte sich gleichsam im Krebsgang seines Lebens: Aus der Rozengracht im Armenviertel zur prächtigen Westerkerk im Zentrum. Der französische Dramatiker Jean Genet schrieb über Rembrandts späte Vollendung:

    "Auf seinem letzten Portrait lacht er sanft. Sanft. Er weiß alles, was ein Maler lernen kann: Dass der Maler sich vollkommen in dem Blick befindet, der vom Objekt zur Leinwand geht, vor allem aber in der Bewegung der Hand, die von der kleinen Farblache zur Leinwand führt. Dort sammelt sich der Maler. Auf der Welt ist nur noch eins: dieses ruhige, bebende Hin-und-Her, in das sich all der Prunk, die Prächtigkeiten, alle Ängste verwandeln. Er stirbt, noch bevor er in Versuchung kommt, den Hanswurst zu spielen."