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Meister im Jagen

Paläoanthropologie. – Warum der Neandertaler vom Erdboden verschwand, ist seit der Entdeckung seiner Überreste vor 150 Jahren ein heiß umstrittenes Thema. Je mehr die Wissenschaft über den nächsten Verwandten des modernen Menschen lernt, desto mysteriöser wird sein Verschwinden vor rund 30.000 Jahren.

Von Michael Stang | 31.03.2006
    "”Unsere Arbeiten belegen deutlich, dass die Neandertaler exzellente Jäger waren","

    sagt Daniel Adler von der Universität von Connecticut in Storrs. Der Anthropologe leitet seit Jahren Ausgrabungen im südlichen Kaukasus. Dort hat er in 40.000 Jahre alten Schichten Tausende Knochen und Werkzeuge von Neandertalern gefunden, die das Bild unseres zurückgebliebenen Vetters nicht bestätigen können, im Gegenteil. Die kaukasischen Neandertaler standen an der Spitze der damaligen Nahrungskette.

    "”Sie waren in der Lage, jederzeit zu jagen was sie wollten, weil sie - und das der Kernpunkt - im Einklang mit der Umwelt und den jahreszeitlichen Bedingungen gelebt haben. Wir konnten im Kaukasus nachweisen, dass sie ihre Wanderungen geplant haben und zum Beispiel im späten Herbst an einer bestimmten Stelle Bergziegen abgepasst haben, wenn diese in ihr Winterquartier in niedrige Gefilde zogen. Dadurch konnten die Neandertaler eine große Anzahl an Tieren jagen.""

    Daniel Adler und seine Kollegen untersuchten die Knochen der Ziegen und stellten fest, dass die Neandertaler keine alten, schwachen oder jungen Bergziegen gejagt haben, sondern gesunde, ausgewachsene Tiere. Um diese zu fangen, benötigten die Neandertaler gute Waffen und eine entsprechende Taktik. Adler:

    "”Indirekte Beweise deuten darauf hin, dass die Neandertaler mit Holzspeeren gejagt haben, auf denen sie Steinspitzen befestigt hatten. Diese Speere waren aber zu groß zum Werfen. Das bedeutet, dass sie sich anschleichen mussten, um die Tiere aus kurzer Distanz aufzuspießen. Dies kann ein einzelner Neandertaler kaum geschafft haben.”"

    Demnach haben die Neandertaler als Gruppe gejagt, was ein hohes Maß an Kommunikation erfordert. Die Speerspitzen und die Abschläge, die bei der Herstellung entstehen, konnten die Anthropologen an vielen Fundstellen nachweisen. Fred Smith vom Institut für Anthropologie der Universität von Chicago sieht in den Neandertalern ebenfalls geschickte Jäger und dies nicht nur aufgrund der Waffen- und Werkzeugfunde.

    "”Sie konnten effektiv viele verschiedene Tiere jagen. Wir wissen, dass ihre Jagdstrategien äußerst komplex waren. Einerseits belegen dies Tierknochenfunde, vor allem aber stabile Isotopenanalysen an den Neandertalerknochen. Aus diesen geht hervor, dass der Großteil ihrer Nahrung aus Fleisch bestanden. Sie müssen einfach gute Jäger gewesen sein, anders kann man diesen hohen Fleischkonsum nicht erklären.”"

    Demnach waren die Neandertaler vor rund 40.000 Jahren ähnlich gut wie die modernen Menschen organisiert und nicht oder zumindest nicht ausschließlich auf zufällige Fleischfunde wie Aas angewiesen, was ihnen von vielen Forschern weiterhin unterstellt wird, sagt Daniel Adler.

    ""Es gibt paradoxerweise keine Anzeichen dafür, dass die modernen Menschen bessere Jäger waren als die Neandertaler.”"

    Die Frage aller Frage können beide Wissenschaftler trotz der riesigen Fundmenge im Kaukasus aber immer noch nicht beantworten. Adler:

    "”Warum sie ausgestorben sind, weiß ich nicht. Fest steht nur, dass es nicht an nur einer Sache lag.”"

    Ebenbürtige Jäger waren die Neandertaler den modernen Menschen in dieser Gegend auf jeden Fall. Wahrscheinlich sind sie sich dort aber nicht begegnet, obwohl Daniel Adler eine zeitliche Überlappung nicht ausschließen kann. Die Ausgrabungen weisen eine Fundlücke von etwa 1000 Jahren zwischen dem letzten Neandertalerfund und den ersten Überresten des modernen Menschen im südlichen Kaukasus auf. Damit scheidet auch eine weitere beliebte, aber nunmehr veraltete, Hypothese aus, die zum Aussterben des Neandertalers geführt hat: dass der moderne Mensch seinen Vetter ausgerottet hat.