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Meisterhafte Mischung aus altmodischem Soul und modernem R&B

Der US-amerikanische Musiker John Legend hat für sein viertes Album "Love In The Future" fünf Jahre gebraucht. Ideen haben ihm nicht gefehlt, aber er musste auf seinen Produzenten Kanye West warten. Doch er hat die Zeit genutzt und unter anderem Filmmusik komponiert.

Von Marcel Anders | 31.08.2013
    "Ein passendes Zeitfenster in seinem und meinem Terminplan zu finden, war eine echte Herausforderung. Denn bei ihm passiert ja wahnsinnig viel. Er entwirft Modelinien, arbeitet an seiner Musik und hat eine Familie. Aber das Warten hat sich gelohnt. Denn er hatte mehr Einfluss auf dieses Album als auf alles, was ich je gemacht habe. Also was die Produktion, die Auswahl der Stücke, aber auch das Songwriting betrifft."

    John Legend gibt sich diplomatisch und bescheiden. Schließlich ist Kanye West, der als schwierig und aufbrausend gilt, auch noch sein Labelboss. Jemand, mit dem man sich besser nicht anlegt, sondern sich schon mal auf weit reichende Zugeständnisse einlässt. Doch John Legend hat die Wartezeit nicht sinnlos verstreichen lassen. Der studierte Pianist hat ein Album mit den Roots aufgenommen, sich als Schauspieler versucht und Hollywood-Blockbuster wie "Django" vertont.

    "Ich liebe Tarantino, der wirklich toll ist. Genau wie Terrence Malick oder Spike Lee – um nur einige zu nennen. Und ich schreibe oft für Soundtracks. Wie 'Tonight', das ein großer Hit in den USA war und in dem Film 'Think Like A Man' auftauchte. Ich hatte ein paar wirklich gute Songs, die eigens für Filme entstanden sind. Einfach, weil ich es liebe, den Regisseuren dabei zu helfen, ihre Botschaft noch besser rüberzubringen."

    Denselben Ehrgeiz wie in der Filmwelt verfolgt John Legend auch mit seinem neuen Album, dessen Titel Bände spricht: "Love In The Future" hat etwas von einer Mission zur Rettung der Liebe in einer gefühlsarmen Welt – und der klassischen "black music" in einer Zeit der Massenproduktion und Dutzendware. Ein hoher Anspruch, den er mit einer Mischung aus altmodischem Soul und modernem R&B umsetzt. Wobei man Kanye West nicht wirklich heraushört, wohl aber verspielte Arrangements, handwerkliches Können und viele kleine Überraschungen. Wie Industrial- und Techno-Elemente, die gleichberechtigt neben Bläsern und Streichern stehen. Eine mutige Mischung.

    "Wir sind von Motown und anderen Klassikern beeinflusst. Aber wir wollen auch etwas Neues schaffen. Was sich allein in der Produktion äußert. Aber auch in der Art, wie wir die Melodien und Texte anlegen. Denn die sind sehr modern und kommen ohne große Zitate aus. Zudem haben wir nur Samples verwendet, wenn wir es für unbedingt nötig hielten, haben unterschiedliche Einflüsse und Sounds einfließen lassen und etwas zu schaffen versucht, das es in dieser Form wirklich noch nicht gegeben hat."

    Wobei Legend nicht nur der große Erneuerer ist, sondern auch eine sehr traditionelle Seite hat. In diesem Sommer ist er bei renommierten Jazzfestivals aufgetreten, trägt auf der Bühne vorzugsweise schicke Zweireiher und bezieht sich als Sänger wie Songwriter auf eine echte Ikone des Soul: Mr. Marvin Gaye, den "Trouble Man" der 60er- und 70er-Jahre.

    "Er ist definitiv ein Vorbild. Einfach, weil er im Anzug eine ähnlich gute Figur gemacht hat wie im Blaumann. Und wahnsinnig viel Ausstrahlung und Charme besaß, womit er eine besonders intensive Beziehung zu seinem Publikum aufbauen konnte. Es ist toll, sich alte Aufnahmen von seinen Konzerten anzusehen und zu beobachten, wie er die Leute in seinen Bann gezogen hat. Er war ein unglaublicher Performer."

    Und wie Marvin Gaye ist auch Legend ein echter Wolf im Schafspelz. Etwa als Politaktivist, der sich 2008 und 2012 als Wahlhelfer von Barack Obama engagiert hat, kein gutes Haar an der Boykott-Haltung der Republikaner und dem Nationalismus der Tea Party lässt, und sich in Grund und Boden schämt, wenn man ihn auf die wütende Kritik an Obamas Reformen im Gesundheitswesen anspricht. Da ist der Musik-Revoluzzer, der schon jetzt eines der besten Alben 2013 vorlegt, genauso hilflos wie viele seiner Kollegen.

    "Für Europäer muss es sehr verwirrend sein, das alles zu hören. Was daran liegt, dass in den USA immer noch ein ausgeprägter Libertarismus herrscht. Nämlich, dass es jeder Bürger es allein schaffen kann und muss. Und wir keine Regierung in unserem Leben brauchen. Was gleichzeitig dafür sorgt, dass die Gesundheitsversorgung unglaublich teuer und der Kreislauf der Armut nur schwer zu durchbrechen ist. Weshalb wir ruhig ein bisschen Sozialismus vertragen könnten. Leider gilt der Begriff als schmutziges Wort."