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Meisterhandwerk
Ausstellung über den letzten Notenstechermeister Berlins

1991 wurde in Berlin die letzte Werkstatt eines Notenstechers aufgelöst. Zuvor hatte der Fotograf Clemens Kirchner diese aussterbende Handwerkskunst dokumentiert. Im Deutschen Technikmuseum werden diese Bilder nun ausgestellt.

Von Christiane Kort | 30.07.2018
    Aufgeschalgendes Notenheft von der Seite fotografiert.
    Acht Stunden brauchte früher ein Notenstecher für ein Notenblatt (imago/McPHOTO )
    "Das sind verschiedene Stempel und Stichel, Rastrale und Zirkel, und die wurden alle benutzt, um auf einer Weichbleiplatte spiegelverkehrt ein Notenstück abzubilden."
    Die junge Kuratorin Isabel Wanger weist auf die vielen mit lateinischen und römischen Zahlen bezeichneten Holzkästen auf den Fotos, in denen hunderte von Metallstempeln geordnet sind. Zunächst wurden mit einem speziellem Werkzeug Notenlinien ausgehoben, dann mit einem Stahlstift die Noten skizziert: die Notenhälse mit dem Lineal, die Notenköpfe mit kleinen Einschlägen eines speziellen Stempels. Sind Notenwerte, Taktlängen und die Aufteilung der Seite korrekt eingetragen, beginnt der Notenstecher die Skizze auszufüllen. Dafür wählt er passende Stempel, auch für die kleinen Bögen, die größeren werden von Hand gezogen. Ein Videofilm des Musikverlags Henle veranschaulicht in der Ausstellung die einzelnen Arbeitsgänge. Acht Stunden waren für ein Notenblatt erforderlich. 1991 fand der Fotograf Clemens Kirchner das gesamte Inventar in der Kopenhagener Str. 16, in Berlin, vor:
    "Das war eine große Wohnung damals im Hinterhof, wo diese Werkstatt eingerichtet war, es haben ja wohl auch anfangs mehrere Leute da gearbeitet."
    Am 2. Januar 1950 waren es genau acht Angestellte, davon vier mit dem Namen Paris, darunter eine Frau. Eine Namensliste, die im Nachlass erhalten ist, bestätigt dem "Ernährungsamt Prenzlauer Berg", dass "alle Beschäftigten in Bleidampf und Bleistaub arbeiten, 192 Stunden monatlich". Knapp fünf Jahre nach Kriegsende war dies eine Voraussetzung dafür, Milch zu erhalten.
    Dokumentation durch Fotografien
    Ein halbes Jahr nach dem Tod des letzten Inhabers war der Fotograf allein in den Räumen. Er hatte, 1991, den Auftrag, die Werkstatt so zu dokumentieren, dass sie ganz oder teilweise im Museum wieder aufgebaut werden könnte.
    "Wenn ich manchmal Vorgespräche mit den Angehörigen habe, dann kriegt man auch oft die Frage: 'Ja, soll ich vorher aufräumen?'', oder: 'Das sieht noch ganz unordentlich aus'. Dann sag ich: 'Nichts machen, alles so lassen wie es ist, ich möchte es so dokumentieren, wie es hinterlassen wurde'."
    Ein Tisch mit mehreren Arbeitsplätzen zieht sich die Fensterfront entlang, auf dem Tisch liegen Werkzeuge.
    "Irgendwo sieht man noch 'ne Bierdose hier stehen, die Putzlappen liegen irgendwo noch auf den Tischen rum, also, das war halt eben wirklich ja auch selten, dass man es dann so vorfindet."
    Durch die großen Fenster blickt man auf die Gleise des S-Bahnhofs Schönhauser Allee. Mehrere Paar Filzschuhe in einer Ecke deuten daraufhin, dass es in der Werkstatt im Winter kalt war, trotz der Öfen. Und die sind im Museum direkt ausgestellt, neben einigen Stempeln und einer Druckplatte: ein einfacher Kanonenofen und ein sogenannter Revolverplättofen aus einer Wäscherei, in den seitlich vier Bügeleisen eingesteckt wurden. Ein solches Bügeleisen benutzte Paris, um in den gestochenen Bleiplatten Fehler auszubessern, sie buchstäblich 'auszubügeln'. Steckdosen und Schalter in den Räumen könnten aus den 30er-Jahren stammen, und die Form der manuellen Werkzeuge hat sich über Jahrhunderte wohl kaum verändert. Der Fotograf Clemens Kirchner:
    "Das war halt eben auch eine spannende Zeit so kurz nach der Wende. Und das war ja in Ost-Berlin, diese Werkstatt, da hat man viele so alte Werkstätten gehabt, die noch mit ganz altem Mobiliar und auch Gerätschaften gearbeitet haben."
    Fotografien voller Details
    Wichtig sind dem Fotografen neben dem Gesamteindruck auch die Details, zum Beispiel war ihm die gebrauchte Abwaschbürste neben einem Schlüssel an einem verzierten hölzernen Schlüsselbrett eine Aufnahme wert:
    "Das spiegelt irgendwo diese Gemütlichkeit, diese Arbeit, die früher so da war, wo nicht dieser Zeitdruck hinter war, wo jeder vor dem gleichen Monitor sitzt und vor der Tastatur, sondern jeder hatte was anderes, er hat mit den Händen gearbeitet, er musste improvisieren bei ganz vielen Sachen, weil es wahrscheinlich auch Mangelware war, das macht die Sache so spannend."
    Inzwischen wird das Handwerk des Notenstechens von Computerprogrammen übernommen, sie erstellen die Grafik für die Druckvorlagen von Liedern, Klavierauszügen und Partituren. Der Inhalt jedoch, das heißt, wie die Noten für ein Werk gesetzt werden, wird häufig immer noch von Hand gestaltet. Taktlänge, Mehrstimmigkeit und Interpretationshinweise in einer Komposition stellen so individuelle Anforderungen, dass der Computer dies bisher nicht leisten kann. Werner Wolff, Notengrafiker in Berlin, hat sich auf zeitgenössische Musik spezialisiert. Er gibt Manuskripte manuell in den Computer ein und arrangiert das Notenbild solange bis es für Musiker übersichtlich und gut spielbar ist:
    "Ganz simples Beispiel: Wenn ich Geige spiele und keine Hand freihabe, kann ich nicht umblättern."
    Wichtig sind in der Notenschrift neben vielem anderen Pausen am Seitenende. Werner Wolff muss deshalb wissen:
    "Wie schnell ist das Stück, wie lang ist die Pause, die ich brauche zum Blättern. Die ist natürlich für 'ne Flöte 'ne andere als für einen Kontrabass oder für eine Harfe, das kann ein Kriterium sein, aber ich kann natürlich keine Pause erfinden. Wenn sie in der Komposition nicht vorhanden ist, kann ich sie nicht einsetzen."
    Noten zu setzen und Druckvorlagen zu erstellen, bleibt also eine anspruchsvolle Tätigkeit, auch im Computerzeitalter. Die Ausstellung im Deutschen Technikmuseum über die letzte Notenstecherwerkstatt der Familie Paris in Berlin führt noch einmal zum traditionellen Handwerk zurück. Die atmosphärischen Fotografien sind sehenswert, weil man durch sie besser versteht, wie sich Notenbilder entwickelt haben. Und auch, wie vor nicht allzu langer Zeit gearbeitet.