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Meisterin des Wiener Schmähs

Ihr Ruhm ist von Anfeindungen, Verachtung, Erniedrigungen oder auch kaltem Hass durchzogen. Angespornt hat die Gegner von Elfriede Jelinek dabei immer auch ihr Wiener Schmäh, der ihren Texten eigen ist. Verena Mayer und Roland Koberg haben eine Biografie über die Nobelpreisträgerin vorgelegt.

Von Antje Ravic-Strubel | 28.02.2006
    Endlich hat mir ein Buch begreifbar gemacht, was der berühmte Wiener Schmäh eigentlich genau ist. Roland Koberg und Verena Mayer, die Autoren des ersten ausführlichen Porträts von Elfriede Jelinek, definieren diesen Schmäh als den "Wiener Walzer der Sprache, sein Sinn ist es, sich möglichst elegant um sich selbst zu drehen. Verachtung drückt sich dabei in Komplimenten aus, Angriffe werden durch Selbsterniedrigung unterlaufen".

    Elfriede Jelinek beherrscht diese Kulturtechnik des Sich-Unangreifbar-Machens perfekt, was ihr Glück sein dürfte, aber auch ihr Kreuz. In Kobergs und Mayers Porträt über die Nobelpreisträgerin wird deutlich, wie sehr ihr Ruhm von Anfeindungen, Verachtung, Erniedrigungen oder auch kaltem Hass durchzogen ist, das dürfte so keiner anderen zeitgenössischen Schriftstellerin widerfahren sein, den Herren noch weniger. Der Schmäh, der in Form von radikaler Zuspitzung, parodistischer Übertreibung oder satirischer Verzerrung ihren Texten eigen ist, hat die Kritik oft zu ausgefallenen Reaktionen angestachelt. Dass Jelinek diesen Schmäh auch persönlich und besonders im Umgang mit der Presse beherrscht, hat sie einerseits gerettet. Andererseits hat es die Aufschreier immer noch heftiger angespornt.

    Dieses Dilemma zwischen Wagnis und Fall, zwischen Vorpreschen und Rückzug charakterisiert ihre gesamte Karriere. Nach einem den sprachkritischen Arbeiten der Wiener Gruppe angelehnten Hörroman mit dem Titel "bukolit" und ihrem ersten, international beachteten Roman "wir sind lockvögel, baby" galt sie bereits mit 25 als erfolgreiche Jungautorin. Dann schrieb Jelinek "Die Liebhaberinnen". In dieser formal strengen Geschichte stellt sie exemplarisch zwei Frauen in ihrer Verwahrlosung in den österreichischen Kleinbürgerzellen und der an sie gekoppelten Wahrnehmungsverengung dar. Geschrieben ist das Buch im Stil von Heftchenromanen, deren Strickmuster nachgeahmt und parodiert wird. In der kontroversen Reaktion auf dieses Buch deutet sich an, was sich künftig immer weiter zuspitzen sollte: kleine Skandale, Lob, Verachtung und ein Ruhm, der immer irgendwie schief hing.

    Nicht nur für ihren Roman "Lust" wurde sie auch schon mal als Schriftstellerin diskreditiert. Auch der Nobelpreis wurde durch dämliche Missgunstbezeigungen von Kolleginnen kommentiert. Aber nicht nur das: Man liest aber vor allem auch jede Menge Altherren-Abfälligkeiten, die ob ihrer Unangemessenheit äußerst überraschend sind und einiges über die Besatzung deutscher Zeitschriftenredaktionen erzählen, speziell der Kulturredaktion beim "Spiegel".

    Heftige, widersprüchliche Reaktionen sind dem Ruhm meistens dienlich. Was die Reaktionen auf Jelineks Rebellion von der auf die Rebellion ihrer männlichen Kollegen unterscheidet, ist, dass sie die einen zu mythischen Gestalten macht, zu heimlich oder offen bewunderten Helden, egal, wie pubertär sie rebellieren, die andere aber ganz unheldisch eher zur Hysterikerin, moralisch und - was schmerzhafter ist - intellektuell indiskutabel. Ihre Attacken aufs System scheinen tatsächlich noch existenzgefährdend zu sein: Während die Kollegen jahrhundertelang geprüfte Rollen des Rebellen zur Auswahl haben und so noch in der schärfsten Auflehnung Teil der gesellschaftlichen Gepflogenheiten sind, was wiederum eine ganz andere Tragödie ist, gibt es für die rebellierende Autorin kein Vorbild. Sie steht außen. Sie hängt sich tatsächlich aus dem Fenster, und muss dafür einiges einstecken.

    Das Porträt der Journalistin Verena Mayer und des Dramaturgen Roland Koberg erhellt Jelineks Literatur auf dem Hintergrund ihrer Biografie. Der biografische Bogen wird bis zur Geschichte der Großeltern zurückgespannt.

    Die Autoren zeichnen Jelineks Kindheit nach, sie zeichnen eindrücklich das Bild eines Mädchens, das am offenen Fenster Klavier üben muss, damit die Leute auf der Straße von der Begabung erfahren, die die Mutter Ilona Jelinek da heranzüchtet. Sie erzählen von Elfriedes Versuchen, mit hartnäckiger Disziplin als Schülerin und später als Musikstudentin einer Mutter gerecht zu werden, die ausschließlich für ihr Kind zu leben beginnt und wie daraus eine lebenslange wechselseitige Abhängigkeit entsteht. Hier sind Einblicke ins Private ohne Voyerismus möglich, mit Wertung und Deutungen halten sich die Autoren angenehm zurück. Entscheidende Fragen bleiben trotzdem nicht unbeantwortet, etwa wie die Reaktion der Mutter auf das Buch "Die Klavierspielerin" ausgefallen ist. Jelinek hat das Buch ihrer eigenen Beziehung zur Mutter angelehnt, mit der sie bis zu deren Tod im selben Haus wohnte. Sie überreichte den Roman wie jedes ihrer Bücher mit Widmung. Festgehalten sind auch die exaltierten ersten Auftritte in österreichischen Schriftstellerkreisen, Jelineks zwiespältiges Verhältnis zur Frauenbewegung, ihre Fernbeziehung zum Informatiker Hüngsberg in München.

    Das Porträt über sie ist wie ein Faltplan geschrieben; kaum chronologisch fächert es eher die Themen in Jelineks Leben auf. Es folgt den Themen ihrer Bücher und Stücke, es zeigt, wie sie motivisch miteinander verbunden sind, und es folgt ihren Lebensthemen: die österreichische Tagespolitik und die faschistische Vergangenheit Österreichs, Jelineks Engagement gegen soziale Ungerechtigkeiten, ihr Faible für Mode, die sie von Kindheit an verfolgenden Angstzustände. Die Autoren zeigen, wie sich beides, Leben und Werk, permanent miteinander verschränkt. Da ist die Mutter, die so oft in Gestalt verschiedenster literarischer Figuren erscheint, Vaterfiguren gibt es dagegen kaum. Der erst unter dem Ehrgeiz seiner Frau, später unter Demenz leidende Vater bleibt bis heute in Jelineks Texten ausgespart, ins Schweigen gesperrt.

    Gegenstand ihres Schmähs ist Jelinek sich auch selbst. Ihren Selbstaussagen und ihren Auskünften zu dem, was sie schreibt, ist selten zu trauen. Sie macht sich zur Literatur, sie überhöht und radikalisiert, sie benutzt die Sprache, um sich zu erfinden oder um sich selbst überhaupt erst sichtbar zu sein. Wie Sprache zum einzigen Lebenszweck wird, zum Instrument der Lebenserhaltung, davon sprach Jelinek in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Nobelpreises 2004.

    Neben all dem erzählt "Elfriede Jelinek. Ein Porträt" unaufdringlich und sachlich aber eben auch die Geschichte einer Rebellion, die keine Heldin hat. Die politischen Auseinandersetzungen, die Hetzkampagnen der konservativen Kronenzeitung und der FPÖ gegen Jelinek spielen da fast eine untergeordnete Rolle. Aus der politischen Ecke war nichts anderes zu erwarten, da sie unermüdlich gegen erstarrte Altnazi-Strukturen ansprach, in die Kommunistische Partei Österreichs eintrat, sich gegen den Rechtspopulisten Jörg Haider engagierte. Einer der Höhepunkte der Karriere ihrer Anfeindungen auf künstlerischer Ebene dürfte allerdings umso verletzender gewesen sein. Sie hatte ihr Stück "Raststätte oder sie machen's alle" Frank Castorf anvertraut, der ließ bei seiner Vermurksung des Stückes im Deutschen Schauspielhaus Hamburg eine Sexpuppe in Gestalt von Jelinek über die Bühne staksen. Die reagierte darauf mit Wiener Schmäh:

    "Herr Castorf, so einen tollen Körper habe ich doch gar nicht!"

    Verena Mayer/Roland Koberg: Elfriede Jelinek. Ein Porträt.
    Rowohlt Verlag, Reinbek