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Meisterschüler mit Verletzungsrisiko

39 Sporteliteschulen in Deutschland sollen herkömmliche Lernziele und Leistungssport optimal verbinden. Die jüngste Kaderschmiede steht in Hamburg. Doch vor Verletzungen sind auch ihre rundum betreuten Schüler nicht gefeit.

Von Axel Schröder | 17.05.2012
    Sina Namat steht ganz am Rand der Turnhalle. Die 18-Jährige besucht die Elitesportschule Alter Teichweg in Hamburg:

    "Ich spiele Handball. Und ich bin hierher gekommen, weil ich nach einer Schule gesucht habe, die meinen Sport unterstützt. Weil ich ganz schön viel in der Schule fehle, weil ich auch in der Nationalmannschaft spiele. Und dadurch konnte ich nicht auf meiner Schule bleiben und musste mir eine Schule suchen, wo ich hingehen kann."

    Der Weg in die Sportklassen der Schule steht nicht allen Jugendlichen offen. Grundsätzlich entschieden die jeweiligen Landesverbände, wer auf ihre Empfehlung hin einen Platz bekommt. Für Sina war das kein Problem, von ihrem Talent war der Handballverband gleich überzeugt. Zwei Stunden ist sie nun jeden Tag unterwegs. Aber dafür kann sie Sport und Schule unter einen Hut bringen:

    "Na ja, wenn ich ehrlich bin: Auf meiner alten Schule, da hatte ich viel mehr zu tun, als ich hier zu tun hab. Es ist zwar jetzt ein längerer Weg und länger zur Schule, aber dadurch, dass es alles besser organisiert ist und ich jetzt nicht mehr so viele Fächer hab, dadurch, dass Sport noch dazugehört, ist das alles einfacher geworden."

    An der Eliteschule hat die Handballerin Sport als Leistungskurs, an ihrer alten Schule ging das nicht. Gerade muss sie allerdings eine Zwangspause machen: Ihr linkes Knie wird durch eine Spezialschiene gestützt, beim Training hat sie den Meniskus gerissen. Drei Monate muss sie das Knie noch schonen. - Auf das erhöhte Verletzungsrisiko ihrer Absolventen und damit auf den Ausfall ihres Abiturprüfungsfachs Sport ist die Schule vorbereitet, erklärt Schulleiterin Beate Bergemann:

    "Die müssen zwei Fächer auf erhöhtem Niveau haben. Um dann das Abitur auch in einem anderen Fach abnehmen zu können. Weil, wenn sie langfristig verletzt ist, könnte sie ja keine Sportnote bekommen."

    Vier Züge hat die Schule, jeweils eine Klasse pro Jahrgang ist eine Sportklasse, erklärt Bergemann. Die Schule Alter Teichweg ist die jüngste von 39 Sporteliteschulen in Deutschland. Sie wandelte sich von einer konventionellen Gesamtschule zunächst zu einer so genannten "Partnerschule des Leistungssports" und bekam erst 2006 – nach einem Zertifizierungsverfahren durch den Deutschen Olympischen Sportbund - den Status einer "Eliteschule des Sports". Vier Mal pro Woche trainieren die Schülerinnen und Schüler in ihrer Sportart, für Judo, Handball, Schwimmen oder Basketball. Die Kunst, die herkömmlichen Lernziele und den Sport zu kombinieren, erklärt Bergemann, besteht vor allem darin, die Stundenpläne auf die Bedürfnisse der Schülerschaft abzustimmen: morgens früh wird trainiert, danach erst folgt – der Kreislauf ist dann schon in Schwung –Geschichts-, Englisch- oder Deutschunterricht. Und wenn die Handballerin Sina Namat zu Turnieren ins Ausland reist, muss sie im Idealfall auf den anderen Lernstoff nicht verzichten:

    "Wir unterstützen die Situation der Schüler, die dann auf Wettkämpfe gehen, indem wir Material vorbereiten, die Schüler übers Internet die Daten einsehen können. Es gibt Fälle, wo Schüler dann im Ausland Klausuren schreiben und die Klausuren dann per Fax oder per Foto an die Schule zurückschickt. Dass sie dann auch gleich korrigiert werden können. Und der Verlauf im Unterricht fortgesetzt wird."

    Fernab ihrer Schule können sich die Schüler Materialien und Protokolle von verpassten Schulstunden in einem virtuellen Klassenzimmer abholen. Und wenn zu viele Wettkampftage den Blick in die Schulbücher erschweren, kümmern sich sogenannte Sportklassenkoordinatoren um das Nachholen des Stoffs.

    Sina Namat begrüßt ihren Mitschüler. Tim Lauenroth ist Judo-Kämpfer, trägt ein knallenges T-Shirt, der Stoff spannt sich über seinem trainierten Bizeps. Für ihn steht – anders als bei seiner Schulfreundin – ganz eindeutig der Sport im Mittelpunkt der Schule, nicht der klassische Lernstoff.

    "Ja, muss ich ehrlich sagen: Sport ist besser! Sport macht schon mehr Spaß!"

    Wie seine Klassenkameradin nimmt auch der junge Judoka einen weiten Weg auf sich, um seine Leidenschaft und einen Schulabschluss zu verbinden. Auch, wenn ihm dadurch unterm Strich weniger Zeit für sich bleibt:

    "Zuhause habe ich so ein, zwei Freunde. Und die haben schon mehr Freizeit. Und manchmal wünschte ich mir auch, dass ich mehr Freizeit hätte. Aber ich habe mir das so ausgesucht hier, so viel Sport zu machen. Und das macht auch Spaß!"


    Weitere Informationen:
    Eliteschulen des Sports