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Meisterwerk der Fantastik

"Der Golem, wie er in die Welt kam": Der Schauspieler Paul Wegener hatte die alte jüdische Legende über einen künstlich erschaffenen Menschen verfilmt, was im antisemitisch aufgeheizten Klima nach dem Ersten Weltkrieg bemerkenswert war.

Von Christian Berndt | 29.10.2010
    Von einem Turm, hoch über den schiefen Giebeln der mittelalterlichen Stadt, späht ein alter Mann durch ein Fernrohr in den leuchtenden Himmel. In den Sternenkonstellationen entdeckt Rabbi Löw, dass Unheil droht. Und tatsächlich, der Kaiser ordnet kurz darauf an, die Juden aus dem Prager Ghetto zu vertreiben. Um sie zu schützen, will der Gelehrte ein künstliches, übermächtiges Wesen erschaffen:

    "Die Zeit ist da, wo die Beschwörung glücken muss. Astaroth, dem furchtbaren Geist, muss ich das Leben spendende Wort entreißen, das den Golem belebt, zur Rettung meines Volkes."

    "Der Golem, wie er in die Welt kam" erzählt eine Geschichte, die auf der alten jüdischen Legende des Golems - eines künstlich erschaffenen Menschen - beruht. Der Stummfilm eröffnet eine fremde Zauberwelt, für die der berühmte Architekt Hans Poelzig eine stilisierte, expressionistische Kulisse aus bedrohlich sich neigenden Häusern gebaut hat. Die Premiere im Berliner Ufa-Palast am Zoo am 29. Oktober 1920 wird ein Triumph. Der Künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek in Berlin, Rainer Rother:

    ""Es ist ja schon etwas Ungewöhnliches, was da passiert. Es ist eine faszinierende Welt, die da aufgebaut wird, eine fantastische Welt, es ist eine Welt, in der eine Gemeinschaft agiert, die fremd ist, vielleicht spielt das alles mit. Und dann darf man nicht vergessen, dass Wegener, der ja auch der Regisseur und Darsteller des Golem war, eine sehr, sehr populäre Figur in dieser Zeit war, sehr bekannt, hat schon Filme gemacht, und als Theaterschauspieler ohnehin bekannt."

    Wie ein früher Autorenfilmer ist Paul Wegener Regisseur, Autor und Darsteller der Titelrolle in einem. In seiner bereits dritten Verfilmung der Golem-Legende folgt er seiner Neigung zu fantastischen Stoffen. Diese Vorliebe hatte den berühmten Theaterschauspieler früh zum Kino gelockt. Schon 1913 drehte er seinen ersten Film "Der Student von Prag", in dem ein junger Mann seine Seele dem Teufel verkauft und dafür einen Doppelgänger bekommt. Wegener erzählte später:

    "Dieses Films halber bin ich zum Film gegangen, denn hier gab es Dinge, die sich von der Bühne unterschieden. Es ist richtig, dass ich mehr solche Stoffe anging, bei denen die Seltsamkeiten der Kamera und die Möglichkeiten des Tricks stärker in Anspruch genommen wurden. Und so war meine Linie unbedingt eine fantastische."

    Die Trickideen im "Golem" sind teilweise grandios, etwa als Rabbi Löw dem Kaiser spielfilmartig Szenen aus der jüdischen Überlieferung an die Wand zaubert, und der Zuschauer direkt in die Handlung einbezogen wird. Wegener und Filmarchitekt Poelzig verzichten bewusst auf eine realistische Schilderung der mittelalterlichen und jüdischen Lebenswelt. Später wird es auch Kritik, vor allem an der Darstellung der Ghettowelt, geben: Die Juden würden als fremdartige Gruppe gezeigt und mit antisemitischen Stereotypen ausgestattet:

    "An dem Film ist ja auffallend, dass die jüdische Gemeinschaft durch den Kaiser aus dem Ghetto vertrieben werden soll. Insofern kann man sagen, der Film bezieht sich indirekt auf eine gesellschaftliche Realität, ich denke er nimmt dort durchaus Stellung für die Juden und versucht, gegen eine antisemitische Stimmung zu argumentieren, in Anführungsstrichen."

    Und diametral entgegengesetzt zum NS-Propaganda-Film "Jud Süß" von 1941 sind etwa die Darstellungen religiöser Rituale respektvoll gehalten. Der Film wird auch im Ausland gefeiert, es locken Angebote aus den USA:

    "Ich hätte das Lubitsch-Schicksal, nach Hollywood zu kommen, wohl auch teilen können. Denn damals war Amerika, nach diesem Film, auf mich auch scharf. Und ich bekam Anfragen, ob ich wohl in Hollywood eine Regie übernehmen würde. Aber ich war zu sehr Schauspieler und zu sehr dem Theater verhaftet, um dieses an sich sehr verlockende Angebot anzunehmen."

    "Der Golem, wie er in die Welt kam" ist ein Unikum in der deutschen Kinogeschichte. Trotz der dafür typischen Kulissen ist der Film nicht dem zeittypischen Expressionismus zuzurechnen, sondern in seiner märchenhaften Erzählweise dem fantastischen Kino der Vorkriegszeit verbunden. Mit dem neusachlichen Stil ab Mitte der 20er-Jahre kommt das Fantastische im Film aus der Mode, Wegener spielt wieder Theater. Aber seine Golem-Darstellung wird stilbildend - für Filmmonster wie Frankenstein.