Abmeldung von der Weltpolitik

Von Richard Herzinger · 06.06.2008
Nächste Woche kommt George W. Bush zum letzten Mal als US-Präsident nach Deutschland. Doch bis in die Hauptstadt wird er es nicht mehr schaffen. Dezent wird er ins abgelegene Schloss Meseberg umgeleitet, als fürchte die deutsche Regierung noch kurz vor Schluss von seiner zu auffälligen Präsenz befleckt zu werden.
Nichts sehnt sie mehr herbei, als dass seine Ära endlich endet. Unter Bushs Regentschaft seien die USA weltweit diskreditiert und ihre weltpolitische Führungsrolle beschädigt worden wie nie zuvor. Doch was hat die deutsche Außenpolitik unternommen, um die vermeintliche Schwächeperiode des amerikanischen Hegemons zur Stärkung des eigenen und des europäischen Einflusses in der Weltpolitik zu nutzen? Paradoxerweise droht sich ausgerechnet Deutschland, das unter Gerhard Schröder selbstbewusst ein größeres eigenständiges Gewicht im globalen Kräftespiel reklamiert hatte, von den entscheidenden weltpolitischen Entwicklungen abzukoppeln.

Sicherheitspolitisch ist Deutschland dabei, sich aus dem engeren Kreis der westlichen Führungsmächte zu verabschieden. Frankreich hat sein Truppenkontingent in Afghanistan um 700 Mann erhöht und damit den Anspruch von Präsident Sarkozy unterstrichen hat, neben Großbritannien wieder der wichtigste bündnispolitische Ansprechpartner der USA in Europa zu werden. Die Bundesregierung aber weigert sich konsequent, ihr Engagement über den Norden Afghanistans hinaus auszuweiten und verprellt damit nicht einmal so sehr die Amerikaner wie vielmehr enge europäische Nato-Verbündete und Kanada. Sie müssen weiterhin die Last im gefährlicheren Süden tragen. Stattdessen hat die deutsche Diplomatie beim Nato-Gipfel kürzlich in Bukarest ein Geheimpapier durchgeboxt, in dem erstmals von Rückzugsszenarien vom Hindukusch die Rede ist.

Es ist klar, wer da die deutsche Außenpolitik vor sich her treibt: Die Linkspartei und namentlich Oskar Lafontaine, der die Erfüllung deutscher Nato-Verpflichtungen als "Kriegseinsätze" denunziert. Die bringt er noch dazu mit dem imperialistischen Krieg von 1914 in Verbindung. Die deutsche politische Klasse aber wagt es nicht mehr, der isolationistischen Rückzugsstimmung in der Bevölkerung, auf der Lafontaine und seine Leute ihr Süppchen kochen, durch aktive Aufklärung über die internationale Verantwortung einer Mittelmacht von dem Gewicht Deutschlands entgegenzutreten. Ein Tabu bleibt so die Einsicht, dass mehr Einfluss in der Welt niemandem möglich ist, der nicht auch eine gewisse militärische Stärke aufbringen kann. Initiativen zum Aufbau einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft überlassen wir deshalb ebenfalls dem rührigen französischen Präsidenten

Das fehlende Bewusstsein für die Erwartungen, die weltpolitisch an Deutschland gestellt werden, zeigte sich kürzlich an der Reaktion der deutschen Öffentlichkeit auf einen Vorstoß der CDU/CSU. Die hatte angeregt, einen Nationalen Sicherheitsrat zu etablieren, in dem die Stränge der inneren Sicherheit und der internationalen Sicherheitspolitik koordiniert werden können. Über die konkrete Ausgestaltung eines solchen Gremiums lässt sich gewiss streiten. Doch die Empörung, mit der der bloße Gedanke daran von der Sozialdemokratie über die FDP bis zur Linkspartei zurückgewiesen wurde, ist bestürzend. Kann doch in einer globalisierten Welt des Terrorismus und der nuklearen Proliferation ein Land von der Geltungskraft Deutschlands nationale und internationale Sicherheit nicht mehr schematisch voneinander trennen.

Im Patt der Großen Koalition stagniert auch die deutsche Außenpolitik. Kanzlerin und Außenminister praktizieren eine Arbeitsteilung, die eher einer Selbstblockade gleicht. Während Angela Merkel das unter Gerhard Schröder vergiftete deutsch-amerikanische Klima wenigstens atmosphärisch repariert hat und gegenüber China und Russland auch einmal öffentliche Kritik wagt, sucht Frank-Walter Steinmeier stets die Wogen bei den Mächtigen in Peking und Moskau zu glätten, um so sein Projekt enger strategischer Partnerschaft namentlich mit Russland über die Ära Merkel zu retten. Von einer furchtsamen Beschwichtigung des zunehmend autoritär auftrumpfenden Russland Putins ist diese Politik freilich schwer zu unterscheiden. Was dabei herauskommt, hat man ebenfalls auf dem Bukarester Nato-Gipfel gesehen. Deutschland blockierte an vorderster Front den Beitritt der Ukraine und Georgiens in den Militärischen Aktionsplan der Nato, der diesen Ländern eine konkrete Eintrittsperspektive nicht nur in das Bündnis, sondern in die westliche Wertegemeinschaft überhaupt bietet. Die Enttäuschung und Entfremdung, die das in solchen jungen Demokratien auslöst, ist hierzulande kaum jemandem bewusst.

Ausgerechnet George W. Bush aber stellte mit seiner demonstrativen Unterstützung der Beitritts-Ambitionen dieser Länder sicher, dass sie sich in strategischen Zukunftsfragen noch enger nur an den Amerikanern orientieren werden.


Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "Die Zeit" gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
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