Mephisto als selbstironisches Zitat

Von Stefan Keim · 25.06.2008
In der "Faust"-Premiere am Nationaltheater Mannheim spricht Mephisto Gott, Teufel und Engel als satirisches Solo. Gretchen ist ein junges Mädchen von heute, die mit dem fremden Mann aufs Ganze gehen will. Regisseur Georg Schmiedleitner setzt auf viel Popmusik. Seine Auslegung des Goethe-Klassikers bietet allerdings keine schlüssige Neudeutung.
Stimmengewirr rauscht aus den Kopfhörern. Faust beginnt seinen Monolog nicht von vorn. Was er alles mit heißem Bemühen studiert hat, saust ihm als Klangcollage durch den Kopf. Die Wissenschaft zu überblicken, zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist ihm längst nicht mehr möglich. Faust blickt nicht mehr durch.

Eine Gruppe stummer Wissenschaftler ist damit beschäftigt, Papierreste von der Wand zu kratzen. Die Statisten ähneln dem Faust-Darsteller Edgar M. Böhlke mit hoher Stirn und weißen Haaren. Die Forschung bringt ihm keine Befriedigung mehr. Da erscheint es folgerichtig, dass sich der ältere Herr mit den buschigen weißen Augenbrauen noch einmal den körperlichen Bedürfnissen zuwendet. Einer großen Teufelsshow bedarf es da nicht.

Ralf Dittrich spielt Mephisto als selbstironisches Zitat. Schon im Prolog hält er sich Papier mit aufgemalten Hörnern oder Rauschebart vors Haupt, spricht Gott, Teufel und Engel als satirisches Solo. Wenn er sein moralisches Lied unter Gretchens Fenster singt, röhrt dieser Mephisto als sei er Mitglied der Band "Rammstein". Doch was ist er, wenn er nicht mehr aus der Hölle kommt? Ein Prinzip, die Versuchung, die Provokation? Eine klare Antwort gibt die Aufführung nicht.

Georg Schmiedleitner hat viele Ideen entwickelt. Ein Konzept ist daraus nicht geworden. Sein "Faust" im Nationaltheater Mannheim ist keine schlüssige Neudeutung, sondern ein atmosphärisch oft stimmiges Sammelsurium mal interessanter, mal eher banaler Gedanken. In "Auerbachs Keller" zeigen Soldaten einer Gruppe aufgekratzter Teenie-Mädels einen Totenschädel und berichten von erotischen Handlungen in der öden Einsamkeit eines "Friedenseinsatzes".

Die Bühne von Florian Parbs könnte eine heruntergekommene Schulaula sein, hinter deren Türen sich die Heranwachsenden drängen, wenn es was zu sehen gibt. Gretchen ist – verkörpert von Nadine Schwitter – ein junges Mädchen von heute. Sie spricht zwar Goethes Texte, bedient aber kein Jungfernklischee, flirtet spielerisch, entscheidet sich bewusst dafür, mit dem fremden Mann aufs Ganze zu gehen und Sex zu haben.

In der – stark gekürzten – "Walpurgisnacht" singt sie einen traurigen Song, eine Verlorenheitsballade, die berührt. Georg Schmiedleitner setzt viel Popmusik ein und hat mit Philipp Stangl einen Partner, der einen stimmungsvollen Soundtrack komponiert hat. Er ist allerdings weit davon entfernt, die Musik so intensiv für Stimmungsbilder zu nutzen, wie es zum Beispiel Jürgen Kruse tut. Schmiedleitners "Faust" hat auch sehr konventionelle Seiten, wenn dem Regisseur gerade mal nichts eingefallen ist.

In diesem "Faust"-Jahr hat es kein Regisseur gewagt, sich dem Stoff in seiner Komplexität zu stellen. Alle nehmen Goethe eine Nummer kleiner, laden den Text mit ihren Assoziationen auf (Tilmann Köhler in Weimar, Sebastian Baumgarten in Hannover, Schmiedleitner) oder zeigen ihn als pralles Volkstheater mit aktuellen Anspielungen.

Das ist zum Beispiel Markus Kopf in Münster gut gelungen, wenn auch manche Musicalnummer zuviel war. Diese Faust-Reduktionen sind zwar oft unterhaltend, auch interessant, aber mit diesem großen Stück auch mal wieder einen großen Inszenierungswurf zu wagen, stünde dem deutschen Theater nicht schlecht zu Gesicht.