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Ungarn
Fachkräfte gehen ins Ausland

Géza Dezsö lebt in Ungarn und arbeitet in Österreich. Mehr als 500.000 Ungarn pendeln jeden Tag Richtung Westen oder haben ihre Heimat verlassen, weil sie von den ungarischen Löhnen nicht leben können.

Von Stephan Ozsváth | 30.04.2019
Der 42-jährige Géza Dezsö, ein bärtiger Mann mit blauem Pullover, steht vor seinem neu gebauten Haus.
Der 42-jährige Géza Dezsö hat eines der neuen Häuser in dem Neubau-Gebiet in Harka, einem Dorf am Rande der west-ungarischen Stadt Sopron errichtet. (Deutschlandradio / Stephan Ozsváth)
Harka, ein kleines Dorf am Rande der west-ungarischen Stadt Sopron. Der 42-jährige Géza Dezsö zeigt die neuen Häuser, die dort entstehen. Auch er hat eines in dem Neubau-Gebiet errichtet.
"Ich habe auch überlegt, bevor wir hier gebaut haben, ob es nicht besser wäre, gleich nach Österreich umzuziehen. Aber solange die Bedingungen hier Ok sind, möchte ich gerne in Ungarn bleiben."
Géza stammt aus der früheren "Stalinstadt" Dunaújváros an der Donau, ist Zerspaner, jemand, der Werkstücke fertigt. Mehrere Jahre arbeitete er bei einem Mittelständler in Baden-Württemberg, noch vor dem EU-Beitritt Ungarns zog es ihn in den Westen. Heute fährt Géza täglich mit dem Auto bis Hornstein im Burgenland, morgens um 4 Uhr steht er auf, nachmittags um vier sind er und seine Frau wieder zu Hause in Ungarn.
"Ein Haus ist mit ungarischem Lohn unbezahlbar"
"Ich bin in dem Alter, wo ich noch etwas erreichen will, sagt Géza. Das meiste ist gelungen. Kein Luxus, aber deutlich über dem ungarischen Durchschnitt. Wegen der Bezahlung bin ich ins Ausland gegangen. Es ist kein Geheimnis, dass ein Haus mit ungarischem Lohn unbezahlbar ist, wenn man dann auch noch Eltern unterstützen muss – wir zahlen unseren Kredit ab, leben ganz gut, und können sogar noch etwas auf die Seite legen."
Mittlerweile leitet Géza die CNC-Automatendreherei bei Kludi, die Firma in Österreich lässt ihn Chef von zwei Dutzend Mitarbeitern sein, lobt er. Das sei Wertschätzung. Auch seine Frau Anikó arbeitet bei der Badarmaturenfirma, sie verdient viermal so viel wie vorher, er zwei bis dreimal so viel.
Fachkräfte fehlen
Was für Géza und seine Frau Anikó gut läuft – ist schlecht für die heimische Wirtschaft. Ungarische Medien berichten von mindestens 80.000 Fachleuten, die fehlen. Es werden Köche gesucht, Installateure, aber auch Ärzte und Krankenschwestern wandern in den Westen ab, sagt der Wirtschaftsexperte Zoltán Pogátsa.
"In Ungarn gibt es einen riesigen Fachkräftemangel. Das hat zwei Gründe. Zum einen gehen viele ins westliche Ausland zum Arbeiten. Der andere Grund ist: Die Regierung spart an der Bildung und Ausbildung. Wenn Sie heute in Budapest einen Installateur suchen, bekommen Sie einen Termin in anderthalb Monaten. Es gibt einfach keine Leute."
Deutsche Firmen zahlen in Ungarn höhere Löhne
Zwar sind die Löhne laut der jüngsten Konjunktur-Umfrage der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer auf rund 1000 Euro Brutto im Durchschnitt gestiegen. Aber: Deutsche Firmen wie Audi in Györ, Mercedes in Kecskemét oder bald BMW in Debrecen saugen die Fachkräfte ab. Die ungarischen Unternehmer sind benachteiligt, bestätigt Richard Grieveson, Vizedirektor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche.
"Firmen aus Deutschland, aus anderen EU-Ländern haben es leichter, höhere Löhne zu bezahlen als die lokalen Firmen."
In Ungarn brummt die Wirtschaft zwar: im letzten Jahr lag das Wachstum bei 5 Prozent, die Arbeitslosenquote ist niedrig. Aber: das Klima wird sich abkühlen, so die Prognose der Deutsch-Ungarischen Industrie und Handelskammer. Denn so der Soproner Wirtschaftsexperte Pogátsa – die EU-Gelder in dieser Periode sind bereits abgerufen – und etwa in den Straßenbau geflossen. Ilona Hölgye gehört zu den 3 Millionen Ungarn, die immer knapp bei Kasse sind. Die 65-jährige Köchin aus dem Süden Ungarns muss ihre Rente aufbessern.
"Ich arbeite von morgens bis abends in der Gastronomie, erzählt sie. Es gibt Leute, die als Saison-Arbeiter weggehen, ich war auch für zwei Jahre in Siófok am Plattensee, weil wir da mehr verdient haben. Jetzt bin ich Tagelöhnerin, bekomme zwei Euro Stundenlohn. Bei acht Stunden reicht das nicht mal für den Mindestlohn. Wenn ich jünger wäre, würde ich auch weggehen."