Donnerstag, 28. März 2024

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Eigentlich ein Heiratsantrag. Geschichten

"Worte grenzen ein, schweigen lässt alles möglich sein", schreibt Jagoda Marinic in ihrem Buch. Mag sein, dass ihre Geschichten auch darum fast alle so knapp geraten sind, ja überwiegend eigentlich viel eher Skizzen genannt werden müssten. Es ist ein verschwiegenes Debüt, das die junge Schriftstellerin Jagoda Marinic vorgelegt hat. Sie macht nicht gerne viele Worte, konzentriert sich lieber auf einige wenige, mit Bedacht gewählte:

Shirin Sojitrawalla | 08.08.2001
    Ja, wenn es gesagt ist, ist es gesagt. Also, ich denk' immer, wenn ich im Prinzip nur einen kurzen Moment schildern will, dann kann ich das über fünf Seiten machen, dann kann ich es aber auch sagen, und dann ist es fertig und, wenn ich das Gefühl habe, da steht ja alles drin, was ich sagen wollt', will ich da nicht noch mehr drumherum bauen. Ich könnte es auch nehmen und dann in eine große Geschichte bauen, aber alles, was ich sagen will, steht auch in dem Kleinen. Und dann war für mich in dem Moment das große Erzählen nicht so wichtig, wie einfach dieser Moment, den ich da beschreiben wollte.

    Herausgekommen ist eine Prosa des Augenblicks, die in der kleinen Form die ganz großen Gefühle ausloten möchte. Einige der Geschichten wirken wie hingehaucht. Wie man überhaupt beim Lesen das Gefühl hat, jemandem zuzuhören, der mit sehr leiser, ein wenig zittriger Stimme spricht. Manches wirkt auch so verträumt, dass man die Autorin am liebsten in die Wirklichkeit schütteln würde. Den meisten ihrer Geschichten gemeinsam ist dabei eine unbestimmte Traurigkeit, die nicht so recht weiß, wo sie sich ausweinen könnte, vielleicht auch deshalb, weil sie sich gar nicht ausweinen möchte:

    Ich finde Traurigkeit nichts Schlimmes, vielleicht war es das, also ich fand es eigentlich immer eher ein schönes Moment, wenn mich irgendwas zum Weinen bringt. Also für mich war Trauer nie irgendwas, das ich meiden sollte. Im Gegenteil ich hab das oft gesucht. Also, wenn ich irgendwie Abschiede zu bewältigen hatte, dann hab ich das exzessiv getan, ich hab' das ausgekostet bis es irgendwie vergangen war, und für mich ist es eigentlich ziemlich wichtig, also diese Traurigkeit, also Melancholie auch, irgendwie in Momenten, und ich hab' keine Angst davor oder scheu' das nicht. Ich mag das, also, es macht mir was wichtig. Also, ich schreib' gern über Dinge, die mich traurig machen.

    Beim Lesen ihrer Geschichten merkt man aber, dass es sich hierbei um eine quicklebendige Traurigkeit handelt, eine Traurigkeit, die sich noch wohlig im Schmerz suhlt, weil wenigstens das Traurigsein gefühlvolle Abwechslung in den trüben Alltag bringt. Jagoda Marinic' Geschichten scheinen überhaupt weniger durch den Inhalt bestimmt als vielmehr durch die Intensität der beschriebenen Gefühle. Jagoda Marinic Jahre alt, und nichts liegt näher, als das vorschnelle Urteil, bei dieser Traurigkeit könne es sich nur um spätpubertäre Befindlichkeitsstörungen handeln, die einen eben auf dem Weg ins vermeintliche Erwachsensein begleiten und - vor allem literarisch - nicht weiter ernst zu nehmen sind. Die Autorin:

    Ich denke einfach, dass ich mit meinen 23 arg schwer ernst genommen werde, und ich bin vielleicht ernster als ich ernst genommen werde. Also ich bin schon jung und verspielt, aber ich habe eine sehr ernste Seite, und ich hab oft das Gefühl, dass man 23jährigen einfach nicht zutraut, ernst zu sein. Und das sobald sie irgendwie, wenn ich über den Tod schreiben würde, hätte ich bestimmt einiges drüber gefühlt und gedacht und erlebt ja. Aber man wird einfach denken, was will die mit 23 über Tod schreiben, und dadurch denk ich hab ich ein Problem mit dem Alter also oder, dass jetzt vielleicht manche denken, ich hätte noch dreißig Jahre warten müssen oder, aber, ich weiß, also ich will gar nicht, ich will jetzt gar nicht mehr so viel darüber nachdenken, weil mich das irgendwie nirgends hin bringt. Ich werde immer missverstanden werden, so wie ich immer ein Stück verstanden werden. Das Schöne am Missverstandenwerden ist, dass man sich dann über das Verstanden werden wieder mehr freut, und insofern ist es eigentlich nicht schlimm. Die Unreife dieser Prosa erschließt sich aber nicht über den Inhalt der Geschichten, sondern viel mehr aus dem Stil des Erzählens. Man merkt, dass sich hier eine Schriftstellerin erst beginnt, warm zu schreiben. Manches wirkt noch unausgegoren, unsicher, und die wenigen Worte sind möglicherweise auch Resultat ängstlicher Zurückhaltung.

    Dabei gelingen Jagoda Marinic auch wunderbare Momente, aber eben nur Momente. Für sie seien Gefühle wichtiger als die Handlung des Erzählten, sagt sie, und darin mag auch die Schwäche des Buches liegen. Die Gefühle vermitteln sich dem Leser zwar unmittelbar, werden aber meistens nicht in lesenswerte Geschichten eingebettet, sondern erinnern eher an intime Bekenntnisse, mal anrührend, mal amüsant zu lesen. Sie selbst schätzt Bücher auch als Trostspender, und vielleicht eignen sich ja auch ihre eigenen Geschichten zum Mitfühlen und Mitleiden für all jene, die ähnlich fühlen wie die Figuren in dem Buch. Marinic:

    Ich glaube, es ist ganz komisch, sich zu überlegen, was Leser über das eigene Buch denken, und das versuch ich auch zu vermeiden, also ich nehme das dann auf, wenn jemand was sagt, aber ich gucke auch ziemlich schnell, dass ich es irgendwie wieder loswerde. Ich fände es einfach schön, wenn sie es zum Beispiel gern hören, wenn ich es lese und wenn sie darin irgendwas von dem Moment finden, der mich gerührt hat, also, der mich bewegt hat, es zu schreiben, wenn Leser diesen Moment wiederfinden, dann habe ich gewonnen, was ich wollte, glaube ich. Also, dass ich irgend so einen Moment hatte, von dem ich denke, er ist irgendwie aufhebenswert und wenn dann die Menschen beim Lesen diesen Moment auch entdecken, das ist wahrscheinlich, was ich mir wünsche, wenn ich mir was wünsch' von meinen Lesern.

    Einige der Geschichten erweisen sich als prägnante Alltagsglossen, und manchmal überrascht Jagoda Marinic mit wundersam poetischen Wendungen, dann aber wieder macht sich bloß schön Formuliertes breit.

    In einer der Geschichten schildert Jagoda Marinic die Treppen in einem Haus und sie schreibt: "Vielleicht hätten sie mal zum zweiten Stock fuhren sollen, aber einen zweiten Stock gab es nicht, und so waren sie einfach nur Treppen, Treppen, die da waren, als seien sie um ihrer selbst willen da und nicht, um irgendwohin zu führen."

    Und genau wie diese Treppen, die ins Nirgendwo zu führen scheinen, verhält es sich leider nicht selten auch mit den Worten und Sätzen von Jagoda Marinic:

    Zuweilen scheinen sie nirgendwo hinzuführen, und manchmal verlaufen sie sich auch im Gemäuer ihrer Geschichten.