Im ersten Satz heißt es: «An den Stränden von Mimizan lagen nach einigen Jahren mehr Deutsche als Franzosen auf ihren Handtüchern», und wir denken, das ist genau die feine Prise Übertreibung, cum grano salis sagt der Lateiner wohl, die die gehobene Literatur kennzeichnet. Wir erfahren im folgenden, dass der Vater, schon in jungen Jahren ein Schlitzohr, im philosophischen Seminar, kaum ohne auch nur ein paar Mal den Mund aufzumachen, die Mutter freite. Nur ab und zu stellte er eine schlaue Frage, und so ist der Vater, mehr oder weniger indem er geschwiegen hat, ein Philosoph geblieben.
Die sich anschließende Geschichte Schwimmbadsommer eröffnet der Erzähler mit einem ähnlich vornehm-zurückhaltenden Gestus wie schon die Tennisgeschichte, in der er oder sein Double bekanntlich Juniorenmeister wurde: "Eine bescheidene Veröffentlichung hatte mich lokal bekannt gemacht, hatte dafür gesorgt, dass mein Name (und mitunter auch ein Foto) in den Zeitungen der Gegend [ja: in den Zeitungen, so steht es da] erschien." Ein wirklicher Thomas-Mann-Eröffnungsgestus, wie wir finden; wir lesen begierig weiter und forschen in der immerhin fast 50 Seiten langen Erzählung nach dem thematischen Focus dieser letztlich doch schon eher unbescheidenen Veröffentlichung: Es geht um eine Episode aus der Schülerzeit unseres Gautinger Thomas Mann, genauer gesagt um deren Abschluss, das Abitur nämlich und die geplatzte Abiturfeier; es geht um zwei Schulfreunde des Ich-Erzählers: Die Sache war nämlich die, dass ... Nein, das ist es wohl nicht, aber was eigentlich ist es? Ein Mitschüler namens Sascha, ein sogenannter «Gruftie», bewundert und gemieden von der wohlerzogenen Mehrheit, verunglückt tödlich in seinem Automobil; eine Art hämmernder schicksalsmäßiger Abi-Streich, könnte man sagen, wenn für derart frivole Späße in Fridolin Schleys gesitteter Musterschüler-Prosa Platz und Raum wäre.
Thomas Mann, der echte, hätte – bei allem Wohlgefallen an der ordentlichen Manier und der sauberen Satzbaukunst seines Epigonen – nun doch ein wenig die Stirn gerunzelt, denn er hätte sich pflichtschuldig fragen müssen, welchen Symbolgehalt, welchen Aussagewert die schiere Tatsache des plötzlichen Todes dieses Sascha in der Erzählung denn nun habe, und eine befriedigende Antwort hätte er mutmaßlich so wenig gefunden wie wir. Wir spekulieren nun einmal ganz unernst: Sascha muss sterben, weil das Element von Anarchie und unschuldigem Revoluzzertum, das er verkörpert, in diese Welt der abgezogenen Tennisplätze, der blühenden Kastanienbäume, der aufgeräumten Kinderzimmer und der ebenso aufgeräumten Väter einfach nicht hineinpasst.
Bevor wir das Buch zuklappen, wollen wir noch wissen: Wer zum Teufel ist Frank Mill? Denn auch in dieser Rolle triumphiert, mitten zwischen James Dean und JFK, der sympathisch-aufgeweckte Vater des Erzählers. Wir kennen Frank Mill nicht, was ist uns da nun wieder entgangen, aber wir wollen sein Geheimnis lüften, und es wird uns auf den Seiten 167 folgende des «Schwimmbadsommers» mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gelingen.