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Krebs im Alter

In fünf Jahren wird Krebs die Todesursache Nummer eins sein. Der Grund: die Menschen leben immer länger und gerade Ältere erkranken besonders häufig an Krebs. Ihre medizinische Versorgung jedoch lässt zu Wünschen übrig: zu wenig Prophylaxe, oft nicht die notwendigen Therapien. Und das, obwohl neue Behandlungsmethoden einen besseren Erfolg bei weniger Nebenwirkungen versprechen. Das Ganze sei kein medizinisches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Darauf wiesen Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie auf ihrer Jahrestagung letzte Woche in Berlin hin.

William Vorsatz | 29.10.2002
    Sind alte Patienten Unpersonen? Von der klinischen Forschung werden sie ignoriert, von den Ärzten falsch oder unzureichend behandelt. Dabei sind sie beileibe keine Minderheit. Bei Krebs wird das besonders deutlich: Schon heute sind die meisten Erkrankten über 65.- Tendenz steigend. Stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bisher noch an erster Stelle, so wird Krebs dank längerer Lebensspanne bereits in fünf Jahren die Todesursache Nummer eins sein. Aber gerade ältere Patienten können etwas dagegen tun. Dazu sollten sich selbst erst einmal wichtiger nehmen, ermuntert Dr. Klaus-Michael Köppen, Chefarzt am Marienkrankenhaus in Berlin:

    Wir sehen ja einen dramatischen Abfall sozusagen an den Vorsorgeuntersuchungen, dass ab 60 die Leute praktisch nicht mehr zur Vorsorgeuntersuchung gehen. Wir sehen, dass natürlich auch ein alter Mensch für sich selbst sagt, ich bin älter schon, und sagt, dass lohnt sich gar nicht mehr. Auf der anderen Seite ist diese Meinung auch bei den Angehörigen sehr häufig und heute auch noch bei den Ärzten, insbesondere bei den Älteren, die ja auch mit den neuen Perspektiven nicht groß geworden sind.

    Klinischen Forschungen haben sich bisher fast ausschließlich an Probanden unter 50 orientiert. Die Resultate lassen sich oft aber kaum auf Ältere übertragen. Beispiel Akute Myeloische Leukämie - eine Krebserkrankung, bei der es zur ungebremsten Vermehrung der weißen Blutkörperchen kommt. Prof. Gerhard Kolb vom St. Bonifatius-Hospital Lingen:

    Die ist, das wissen wir heute, obwohl es scheinbar die gleiche Erkrankung ist, beim alten Patienten eine auch genetisch völlig andere Erkrankung als beim jungen Patienten. Das heißt, wir haben einen gleichen Namen für völlig unterschiedliche Erkrankungen, mit auch unterschiedlicher Prognose. Dann muss man auch unterschiedlich behandeln.

    Die meisten Tumorarten können zwar bei jüngeren und älteren Patienten ähnlich therapiert werden. Aber im fortgeschrittenen Alter sind einige Besonderheiten zu beachten: Die Leber kann nicht mehr so gut entgiften, die Nieren filtern weniger. Entsprechend differenziert sind die Medikamente zu dosieren. Auch haben alte Menschen weniger Wasser und mehr Fett im Körper. Wasserlösliche Arzneien verteilen sich daher schlechter. Und das Knochenmark sowie die Schleimhäute erneuern sich langsamer, dadurch ist eine Chemotherapie belastender. Vier von fünf 60jährigen haben außerdem mindestens noch eine weitere Krankheit, achtzigjährigen sogar fünf bis neun, zumeist chronische. Daraus ziehen viele Mediziner allerdings fatale Schlüsse. Dr. Köppen will nicht sagen, Alte werden falsch behandelt: Aber

    Zum Teil unterbehandelt. Weil man denkt, man kann es ihnen nicht zumuten. Und wir müssen das lernen, ja, was wir auch einem 60,70, 80 und auch 90jährigem Patienten zumuten können. Da gibt es weltweit keinerlei Statistiken.

    Bei Brustkrebs etwa sind die Chancen einer Achtzigjährigen, dauerhaft geheilt zu werden, zwanzig mal größer als bei einer 40jährigen Patientin. Neuere sogenannte supportive Maßnahmen unterstützen die Blutbildung, Biphosphornate behindern das Wachstum von Metastasen. Allerdings, Alte gehen da oft leer aus, klagt Professor Kolb:

    Ein Problem dabei zu sein scheint, dass diese Medikamente , je weiter man in diesen Bereich der Supportion geht, hochpreisige Medikamente sind. Und das Problem wird sein, dass man hier einen Rationierung unter Umstanden vornimmt, die nicht sachlich begründet ist. Es gibt eben gerade in dem Bereich, und die Onkologie ist ein Hochpreissektor, eben ein begrenztes Budget, und hier gibt es Rationierungen, die sehr subtil ablaufen. Die aber genaugenommen nicht sachlich aufgrund der Heilungschancen begründet sind.


    Deshalb kann es über Leben oder Tod entscheiden, wie viel der älterer Krebspatient für sich selbst einfordert. Er sollte sich einen Onkologen aussuchen, der auch auf Alte spezialisiert ist. Sich außerdem beispielsweise bei der Deutschen Krebshilfe oder in Selbsthilfegruppen informieren. Dazu Ratgebern und Fachliteratur lesen und dann gezielt nach neuen Therapien fragen.

    Weitere Informationen:

    www.krebshilfe.de

    Beitrag als Real-Audio

    021029-Geriatrie.ram