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Die schroffen Harmonien des Fürsten von Venosa

Die italienische Vokalformation Compagnia del Madrigale erhebt mit der Veröffentlichung des Sechsten Madrigalbuches von Carlo Gesualdo da Venosa den Anspruch, sich unter die Elite der Madrigalinterpreten einzureihen.

Am Mikrofon: Rainer Baumgärtner | 06.01.2013
    Igor Stravinsky befasste sich in den 1950er-Jahren intensiv mit dem Schaffen des Fürsten von Venosa. Besonders hat es ihm die Musik von Gesualdos letzten beiden Madrigalbüchern angetan und er hat erklärt, das Goutieren des Sechsten Madrigalbuches erscheine ihm "wie ein Essen von 23 Kaviar-Canapés für einen Freund herzhafter Genüsse".

    Im Jahr 1960 hat Stravinsky für sein Werk "Monumentum" anlässlich des (vermuteten) 400. Geburtstages von Gesualdo drei seiner Madrigale für Orchester bearbeitet. Darunter aus dem Sesto Libro "Beltà, poi che t'assenti - Schöne, da du nun scheidest, nimm meine Qualen mit dir, wie auch mein Herz". Dieses Stück lässt bestens die Schwierigkeiten des 17. oder 18. Jahrhunderts mit Gesualdos Klangkosmos ermessen, und die Faszination des 20. Jahrhunderts daran - die Schmerzen des Herzens, von denen im Text die Rede ist, illustriert der Komponist mit beinahe körperlich spürbaren dissonanten Reibungen!

    1) Don Carlo Gesualdo da Venosa
    Beltà, poi che t'assenti (No.2)


    Im kommenden September jährt sich der Todestag des Carlo Gesualdo zum 400. Male. Dies wird Gelegenheit bieten, sein Leben wieder einmal als das eines der schillerndsten Komponisten der Geschichte zu beleuchten. Wobei die Musik des Fürsten von Venosa kaum halb soviel Aufmerksamkeit erheischen würde, gäbe es da nicht seine gruselige Lebensgeschichte: Mit Mitte 20 war er in Neapel am Doppelmord an seiner untreuen Ehefrau und deren adeligem Liebhaber beteiligt. Aufgrund seines hohen Standes ließ ihn die Justiz unbehelligt und er konnte sich auf sein Schloss Gesualdo zurückziehen.

    Mit Ausnahme weniger Jahre, die er nach seiner zweiten Eheschließung mit einer Tochter der Familie d'Este in Ferrara verbrachte, lebte er bis zum Ende seiner Tage in diesem Castello. Vor diesem Ende, das ihn bereits mit 47 Jahren ereilte, scheint er ein zunehmend exzentrisches Dasein geführt zu haben. Es gibt Berichte darüber, dass er seine Frau misshandelte und sie mit zwei Gespielinnen betrog, die wiederum von seiner Frau wegen Hexerei angeklagt wurden.

    Der Fürst sammelte aber auch Reliquien, stiftete ein großes Altarbild mit Höllenszene und hat sich womöglich gar täglich von Dienern geißeln lassen. Viel Stoff, um unsere Fantasie anzuregen, zumal im Lichte der Kompositionen, die er schuf - neben seinen Madrigalen, in denen die Chromatik eine zunehmende Rolle spielte, schrieb er auch geistliche Werke: Motetten und ergreifende Musik für die Gebetszeiten an den Kartagen.

    Wer war dieser Carlo Gesualdo also? Ein Psychopath, ein Mensch, der unter seinen Taten litt und deshalb zunehmend depressiv wurde oder jemand, der immer stärker um sein Seelenheil fürchtete und diese Angst in Töne umwandelte? Man ist geneigt, die eine oder andere Sichtweise mit einfließen zu lassen, wenn man sich seinen Kompositionen widmet, und zu versuchen, eine Beziehung zwischen Gesualdos Musik und seiner Person herzustellen.

    Die Compagnia del Madrigale plädiert mit ihrer neuen Aufnahme hingegen dafür, derlei Projektionen sein zu lassen und seine Werke für sich selbst sprechen zu lassen. Im sehr erhellenden Beihefttext wird darauf hingewiesen, dass die erste Druckausgabe des Sechsten Madrigalbuches im Jahr 1611 ganz nach den Gepflogenheiten der damaligen Zeit erfolgte, fern jeden Wahnsinns. Beispielsweise ist der Name des Urhebers der Sammlung nur indirekt angegeben, denn es schickte sich für einen Adeligen nicht, beruflich Musik zu machen oder zu dichten!

    Und bei aller tiefgründigen Schwere, die infolge der harmonischen Kühnheit vieler Stücke dominiert, gibt es genauso lichte Momente, aus denen pures Glück spricht. In den fünf letzten Titeln der Sammlung ist fast ausschließlich von Freude, Glanz, schönen Strahlen, Lachen und heiterem Gesang die Rede.

    2) Don Carlo Gesualdo da Venosa
    Al mio gioir il ciel si fa sereno (No.19)


    Mit Madrigalen wie diesem knüpfte Carlo Gesualdo an das Schaffen zeitgenössischer Kollegen an; mit manchen von ihnen hat er sich auch ausgetauscht und in seinem Schloss beschäftigte er eine Gruppe von Sängern und Komponisten, die ausschließlich für ihn Musik machten.

    Doch sein Sechstes Madrigalbuch ist komplex und hat überwiegend eine andere, nonkonformistische Seite. Was auch immer den Fürsten von Venosa zum Schreiben schroffer Harmonien und wuchernder Chromatik bewogen hat, seien es innere Befindlichkeiten gewesen oder vielleicht der Drang, damit seine aristokratische Sonderstellung zu untermauern; es ist dieser exklusive Stil, der ihn von seinen Zeitgenossen unterscheidet und für das 20.Jahrhundert so interessant gemacht hat, dass es ihn zum Vorreiter beim Überwinden der Tonalität erkoren hat.

    In den vergangenen 20 Jahren haben besonders die italienischen Ensembles Concerto Italiano und La Venexiana wichtige Aspekte seiner Musik neben der Chromatik wiederentdeckt, und zwar die Leidenschaft, die sie ausstrahlt sowie die Verbindung von Text und Musik. Acht erfahrene Sänger, meist aus diesen beiden Ensembles, haben sich nun zusammen getan, um als Compagnia del Madrigale diese Arbeit fortzuführen - besonders wichtig ist für sie, ohne Ensemble-Leiter zu agieren, so dass sich jedes Mitglied stärker einbringen kann.

    In ihren Interpretationen hat La Compagnia del Madrigale Wert darauf gelegt, den Charakter jedes einzelnen Stückes bestmöglich herauszuarbeiten und eine besondere Expressivität zu erreichen. Zu diesem Ziel hat man sich entschlossen, die Stücke tiefer zu transponieren, was durch die vorgegebenen Notenschlüssel und die historische Praxis gerechtfertigt wird. Die Madrigale klingen in der Folge weniger schrill und sie sind einfacher zu singen. Es erlaubt der Gruppe zudem eine größere Variabilität in der Besetzung.

    Von den acht Ensemblemitgliedern sangen in den durchgehend fünfstimmigen Stücken jeweils diejenigen, deren Stimmen besonders gut harmonierten. Im Madrigal "O dolce mio tesoro - O meine süße Geliebte" kommt Gesualdos Vorliebe zum Tragen, die Worte Leben und Tod in drastischer Vertonung gegenüberzustellen.

    3) Don Carlo Gesualdo da Venosa
    O dolce mio tesoro (No.8)


    Der Compagnia del Madrigale gelingt es, ein sehr differenziertes Bild von Carlo Gesualdos eindrucksvollem Madrigalzyklus zu zeichnen. Hinter allen Klangeffekten und Herausforderungen bringt sie den großen Reichtum an Schönheit und Wärme in den 23 Stücken des Sesto Libro hervor - und ihre Vielfalt. Der oft beschworene Manierismus des Fürsten von Venosa erscheint hier nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel, um die im Text dargelegten Leidenschaften auszudrücken, die den Menschen erfassen können.

    An keiner Stelle klingt der Vortrag forciert, weder stimmlich noch im Tempo, und dennoch ist ein ans Äußerste grenzender Wille spürbar, alles aus Gesualdos Mini-Dramen herauszuholen. Diesem Ziel kam auch die wunderbare, eher intime Akustik der kleinen Kirche in der Nähe von Turin zugute, in der man aufnahm. Das neue Ensemble hat mit seiner ersten Platte eine Aufnahme vorgelegt, die Maßstäbe setzt.

    4) Don Carlo Gesualdo da Venosa
    Moro, lasso, al mio duolo (No.17)


    Mit dem Madrigal "Moro, lasso" ging die Sendung "Die Neue Platte" im Deutschlandfunk zu Ende, in der Sie heute die Debüt-CD der Compagnia del Madrigale kennenlernen konnten. Ihre Einspielung des Sechsten Madrigalbuches von Carlo Gesualdo da Venosa ist beim Label Glossa erschienen, das in Deutschland von NOTE 1 vertrieben wird.