Donnerstag, 28. März 2024

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R.E.M.

"Wir schreiben das Jahr 2017 und in Los Angeles überquert eine Herde Kühltruhen die Straße. Was fast zu einem Auffahrunfall der Faltautos führt. Rauchen ist in dieser Zukunft verboten - aber Nikotinbrezeln bieten Ersatz. Reiche Leute aus dem Filmbusiness, das auch im Jahr 2017 noch in LA beheimatet ist, beschäftigen auf ihren Parties Emissions-Manager, oder wie man in der Branche ganz allgemein sagt: Furzableiter. Die sind dazu da, peinliche Geruchsentwicklungen dem richtigen Gast anzuhängen. Wecker sprechen, Anrufbeantworter verlieben sich in Kaffeemaschinen. Haustürschlösser lassen sich bestechen.

Brigitte Neumann | 03.09.1999
    In Michael Marshall Smiths Roman R.E.M sind Haushaltsgeräte die heimlichen Stars. Nichts Menschliches ist ihnen fremd. Aber es gibt auch noch andere praktische Maschinchen in diesem Buch:

    "Vor einigen Jahren hatte man eine Methode entwickelt, um die Träume der Menschen in Echtzeit aus ihrem Kopf herauszulösen. Ein Gerät, das neben dem Kopf von (betuchten) Kunden aufgestellt wurde, war in der Lage, bestimmte elektromagnetische Felder zu erkennen und die dazugehörigen Geisteszustände aus dem Unterbewußtsein des Träumenden in ein Löschgerät abzuleiten."

    Aber die Albträume der Kunden müssen anschließend von einem Menschen, dem sogenannten R.E.M. Jobber, aufbewahrt werden. Der Job ist illegal und bringt gutes Geld. Mehr noch bringt allerdings das Aufbewahren von Erinnerungen. Harmlosen Erinnerungen, wie der verheiratet zu sein. Oder weniger harmlosen, wie der an einen Mord. Hap Thompsen arbeitet als Erinnerungsverwahrer und kommt in eine verzweifelte Lage, als eine Mörderin sich weigert, ihre Erinnerung an die Tat zurückzunehmen.

    Für den 34-jährigen Engländer Michael Marshall Smith ist die Zukunft ein Experiment. Und in R.E.M. präsentiert er uns seine aktuelle Versuchsanordnung. Michael Marshall Smith würde sich übrigens nie selber Science Fiction Autor nennen:

    "Ich gebs ja zu, ich habe drei Bücher geschrieben, die in der Zukunft spielen. Also hört es sich wohl ein bißchen pervers an, wenn ich sage, daß ich kein Science Fiction Schreiber bin. Ich glaube, ich bin keiner, weil ich vor allem darüber nachdenke, welchen Effekt Technik auf Menschen hat, und wie die Menschheit mit technischem Frotschritt umgeht. Das interessiert mich mehr als die Technik selbst."

    Michael Marshall Smith, der neue Komet am Science Fiction Himmel ist alles andere als ein spaciger Typ: kleines Bärtchen, Hippie-Armreif, gepflegtes graues Jacket. Wir sitzen im Londoner-Soho Club, in Yuppie Ambiente mit einem Schuß good old Britain. Der Autor Michael Marshall Smith, dessen letzter Science Fiction in 17 Sprachen übersetzt wurde, ist hier seit kurzem Mitglied.

    "Ein Grund, wieso ich mit dem Schreiben über die Zukunft anfing, war, daß es mir die Freiheit gab, etwas zu erfinden. Für eine Zukunfstwelt kann man sich einfach alles ausdenken. Wenn man über die Gegenwart schreibt, ist es ziemlich kompliziert. Man muß sehr darauf achten, daß alles zusammenpaßt."

    " In "Geklont", Marshall Smiths deutschem Erstling, geht's um ein biologisches Albtraum-Scenario der Zukunft. Da halten sich reiche Leute Klone ihrer Selbst in kleinen Käfigen. Eine Art lebendes Ersatzteillager, das bei Bedarf ausgeschlachtet wird. In "R.E.M." - benannt nach der REM Schlafphase des Menschen geht es um die Abhängigkeit Mensch von Maschine. Die Nahtstellen zwischen menschlichem Leben und Elektronik sind vielfältig geworden. Und manchmal treten Verwechslungen auf.

    "Ich glaube, es wird sehr spannend sein zu sehen, was mit Maschinen in den nächsten 10, 20 Jahren passieren wird. Im Moment scheint es, daß sie sehr fehleranfällig sind. Aber diese Fehleranfälligkeit ist eben sehr interessant. Es ist wie mit Freunden. Gerade ihre Fehler sind es ja, die sie für uns anziehend machen. Perfekte Freunde sind uninteressant. Also, je komplexer Maschinen werden und je unerklärlicher ihre Fehler, desto mehr werden sie uns wie echte Menschen vorkommen."

    Ein Gott, der nicht sehr viel mehr ist als ein gewöhnlicher Mensch, hat auch eine Rolle in diesem Buch. Seine Gefolgschaft: Die Herren im grauen Anzug, seine Engel. Der kleine Unterschied: statt Posaunen tragen diese Engel Schnellfeuergewehre. Michael Marshall Smith, der in Cambridge Philosophie studiert hat, hält Götterglaube für eine tröstliche Illusion:

    "Je älter ich werde, desto mehr glaube ich an Dinge, die ich einfach interessant finde. Es geht mir nicht um Waahrheit. Ich suche mir irgendwas woran ich eine Weile glauben kann, weil ich es interessant fände, wenn es wahr wäre. Viele der ganz großen Fragen über die Welt oder Gott sind sowieso nicht zu beantworten. Es ist sinnlos, zu sagen , ich glaube nur an das, was man beweisen kann. Und man kann auch keine Religion widerlegen. Deshalb suche ich mir einfach interessante Ideen, an die ich dann eine Weile glaube. Und irgendwann ändere ich meine Meinung. Wir sind frei, das zu tun."

    Hastig zieht er seinen Expresso durch die Schneidezähne. Um anschließend mit den Unterarmen wieder den Bistrotisch festzunageln. Interviews geben ist offenbar etwas, das Michael Marshall Smith in eine leichte Form der Panik versetzt. Der Autor, der sich gern mit seiner Katze abbilden läßt, ist verheiratet und hat dieses Jahr eine Menge Erfolge zu verdauen. Er hat Aufträge für mehrere Fernsehdrehbücher in der Tasche, seine Verleger warten auf das nächste Buch und weil Marshall Smith gerade so gut geht, kommt in England sein allererstes Buch, "Only Forward" ein Band mit Kurzgeschichten wieder auf den Markt.

    Ich bin jetzt 34, relativ jung. Ich hoffe", erzählt Marshal Michael Smith, "daß ich mit 40,45 wirklich gute Bücher schreibe. Nicht daß ich nicht mag , was ich im Moment mache - aber es kanne eigentlich nur noch besser werden."

    So viel Bescheidenheit ehrt den Künstler. Aber bis das wahre Genie des Michael Marshall Smith herausbricht, können wir uns getrost mit seiner jetzigen Arbeit zufriedengeben.