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Melodiöse Melancholie

"Lustig ist es während der Sommerzeit", ist das früheste überlieferte Beispiel eines weltlichen englischen Liedes. Doch trotz des Titels ist das Lied von einer allumfassenden Melancholie bestimmt. Diese Melancholie zieht sich durch die Aufnahmen von Kompositionen des mittelalterlichen England vom 13.-15.Jahrhundert, die das Ensemble belladonna aufgenommen hat.

Von Christiane Lehnigk | 01.10.2006
    Wir stellen Ihnen heute "Süße Klänge des mittelalterlichen England" vor, die CD des Ensembles belladonna, die unter dem Titel "Melodious Melancholye" bei der Edition Raumklang erschien.

    * Musikbeispiel: anonymous, Miri it is while sumer ilast

    "Lustig ist es während der Sommerzeit", dies war das früheste Beispiel eines weltlichen englischen Liedes, das, wenn auch nur noch mit einer Strophe, überliefert ist. Das Ensemble belladonna hat ihre CD Liedern des mittelalterlichen England vom 13.-15.Jahrhundert gewidmet. Und dass diese von einer allumfassenden Melancholie bestimmt sind, macht schon dieser kurze Text deutlich, der vom Titel her eigentlich eine fröhlichere Melodie erwarten ließe. Doch das ist ein Trugschluss, denn auch hier überwiegt die traurige Stimmung: "Lustig ist es während der Sommerzeit, wenn die Vögel singen./Ach, nun kommen Sturm und Unwetter! /Ach, diese Nacht ist lang und ich habe nur Sorge und Trauer."

    "Melodiöse Melancholie", so haben die drei Damen des Ensembles, die schwedische Sängerin und Harfenistin Miriam Andersén, die kanadische Sängerin und Instrumentalistin Rebecca Bain und die Spezialistin für mittelalterliche Streichinstrumente Susanne Ansorg ihre Auswahl überschrieben, die Lieder von verlorener Liebe und der Vergänglichkeit weltlicher Freuden enthält.

    Im Gegensatz zu der hochgradig ornamentierten Leidenschaft italienischer Ballate oder Madrigali oder den sorgfältig konstruierten Sätzen der idealisierenden französischen Chansons, so die Künstlerinnen, offenbaren die süßen "englischen" Klänge einen direkteren und oft innigeren Stil der Poesie.

    Diesen "innigen" Stil trägt das Ensemble in einer eindringlichen Weise vor, glasklar, lupenrein und schnörkellos. Die Künstlerinnen sind seit ihrer Studienzeit an der renommierten Basler Schola Cantorum intensiv mit den Quellen und der Aufführungspraxis der Zeit vertraut. Der Schwerpunkt im Repertoire des 1997 gegründeten Ensembles liegt auf der Musik des 12. bis 15.Jahrhunderts, von einstimmigen Trobadour-Chansons zu den ausgefeilten Ballaten Francesco Landinis, von meditativen Gesängen Hildegard von Bingens bis hin zu lebendiger Instrumentalmusik. Die Musikerinnen möchten dabei die Musik dieser Zeit nicht nur einfach aufführen, sondern dem Publikum einen möglicherweise weniger "romantischen", aber dafür vielleicht interessanteren Einblick in den Geist des Mittelalters geben, wie sie es formulieren. Das dies so gar nicht langweilig oder akademisch klingt und einen vielmehr sofort in seinen Bann zieht, davon kann man sich auf dieser CD mit englischer Musik überzeugen. Als Begleitinstrumente sind in dieser Aufnahme Harfe, Fidel und Rebec zu hören.

    Hier eines der wenigen erhaltenen mittel-englisch textierten Stücke aus der Zeit vor 1300. "Worldes blis ne last no throwe"

    "Mann, warum schenkst du deine Liebe und dein Herz der weltlichen Freude, die nicht von Dauer ist ?....... In Wahrheit leckst Du Honig von Dornen, wenn du dich weltlichen Freuden hingibst, weil sie voll von Bitterkeit sind."

    Der moralistische Text wurde von einem anonymen Autor auf eine meist syllabische Melodie gesetzt. Die improvisierte 2.Stimme entspricht dem Stil der zweistimmigen Stücke dieser Periode. Danach folgt die Instrumental-Version eines 2-stimmigen Preisliedes auf die Jungfrau Maria, der Königin des Himmels.

    * Musikbeispiele: anonymous, Worldes blis ne last no throwe/und: Hevene quene

    Dies waren zwei Stücke aus dem 13.Jahrhundert aus dem Programm mit "Süßen Klängen des mittelalterlichen England" des Ensembles belladonna . Der Name des Ensembles kann hier zugleich auch als Programm verstanden werden: so heißt Bella donna zugleich die "Schöne Dame" - ein fester Begriff in der italienischen Renaissance - ist aber zugleich auch die Bezeichnung für die Tollkirsche, Atropa belladonna, benannt nach der "Unabwendbaren, die den Lebensfaden durchschneidet", womit wieder der Bezug zur Melancholie und Todessehnsucht des Mittalters wie in diesen englischen Texten hergestellt ist.

    Das Aufnahmeverfahren dieser Produktion, die so genannte 1-Punkt-Aufnahme, die Räumlichkeit und Nähe zugleich herzustellen vermag, unterstützt die Durchsichtigkeit und Klarheit dieser Interpretation.

    Die Musikerinnen erinnern im Text des sorgfältig gestalteten Booklets noch einmal daran, dass ja die Ursprünge der abendländischen Musik in diesen frühesten Kompositionen liegen, die schriftlich überliefert sind. Die Musik, die diese ersten Notationen übermitteln, wird, so belladonna, "oft für simpel oder primitiv gehalten", aber das Ensemble zieht es vor, sie "als rein, innig, manchmal unverständlich geheim und fremd, aber immer faszinierend, wunderschön und: auch hin und wieder vertraut anzusehen".

    Hören Sie zum Abschluss noch ein Wiegenlied aus dem frühen 15.Jahrhundert, gesungen von Miriam Andersén und Rebecca Bain.

    Lullabays waren in England sehr beliebt, oft war es die Jungrau Maria, die für ihr neugeborenes Kind singt. So auch in diesem "gymel", einer zweistimmigen Komposition, in der sich die Stimmen in Terz- und Sextparallelen bewegen.

    "Ich habe etwas Wunderschönes gesehen, es war die Jungfrau Mutter, die ein kleines schlafendes Kind in einer Krippe hatte.

    * Musikbeispiel: anonymous, Lullay lullow

    Die süßen Klänge des mittelalterlichen England
    Ensemble belladonna
    Label: Raumklang, LC 05068
    Bestell-Nr.: RK2003
    Vertreib: jpc oder: www.raumklang.de