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"Menschen fragen wieder weiter"

Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Wolfgang Huber, glaubt, dass Religion wieder gefragt ist. Gerade junge Menschen seien auf der Sinnsuche. Anlässlich des kommenden Papstbesuches, sagte Huber, die Evangelische Kirche sei zum Dialog bereit im Sinne der Ökumene. Man sehe Papst Benedikt XVI. als offenen Gesprächspartner.

Moderation: Christine Heuer | 16.08.2005
    Christine Heuer: In Köln geht dieser Tage fast nichts mehr. Die Stadt ist voller junger Gläubiger, denn heute wird der Weltjugendtag eröffnet. 400.000 Jugendliche werden zunächst erwartet. Wenn der Papst kommt Ende der Woche, sollen es mindestens 800.000 sein. Was ist, was bedeutet dieses Ereignis eigentlich? Ist es ein christlicher Aufbruch junger Menschen, ein Zeichen der Hoffnung vielleicht nicht allein für die katholische, sondern auch für die evangelische Kirche? Am Telefon jetzt der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland. Guten Morgen Bischof Huber.

    Wolfgang Huber: Guten Morgen Frau Heuer.

    Heuer: Erleben wir gerade eine Renaissance des Glaubens?

    Huber: Die Tage in Köln fügen sich ja tatsächlich ein in eine ganze Reihe von Ereignissen die zeigen, dass der Glaube wieder in der Mitte unserer Gesellschaft ankommt, dass Religion wieder gefragt ist, dass auch junge Leute neu nach einem Sinn des Lebens fragen, der über das hinaus reicht, was man selber herstellen und produzieren kann. Das ist ganz deutlich, denken Sie an die Papstereignisse am Beginn dieses Jahres, denken Sie an den evangelischen Kirchentag in Hannover vor wenigen Wochen und jetzt der Weltjugendtag. Es ist eine Kette von Ereignissen, mit denen das zum Ausdruck kommt. Menschen fragen wieder weiter!

    Heuer: Wie passt das aber, Bischof Huber, zu den anhaltenden Kirchenaustritten, oder erleben Sie da eine Trendwende?

    Huber: Die Kirchenaustritte gehen seit Jahren kontinuierlich zurück. Leider gibt es sie immer noch. Die Kircheneintritte steigen kontinuierlich an. Leider sind sie immer noch zu gering. Aber eine allmähliche Veränderung spüren wir. Ich habe immer damit gerechnet, dass das nicht auf einen Schlag passiert in einem Land, das so viele Säkularisierungsschübe erlebt hat, wie das in Deutschland der Fall ist, aber ich war und ich bleibe davon überzeugt, dass Religion ein großes Thema des 21. Jahrhunderts auch in Deutschland ist.

    Heuer: Wieso diese neue Gläubigkeit gerade bei jungen Menschen?

    Huber: Weil jeder Mensch eine Sehnsucht über sich selber hinaus hat. Kein Mensch richtet sich einfach nur im vorhandenen ein. Jeder Mensch fragt über den eigenen Tod hinaus. Jeder Mensch spürt irgendwo, dass er ein von Gott angesprochenes Wesen ist. An vielen Stellen beobachte ich, dass Menschen ein solches Grundgefühl haben, es nicht klar artikulieren können, nicht mehr eine unmittelbare Verbindung zu den Quellen des christlichen Glaubens haben. Deswegen hat diese neue Religiosität auch oft etwas Unbestimmtes und unsere Aufgabe in den Kirchen ist, dieser neuen Frage eine bestimmte Richtung zu geben, die Antworten aus der christlichen Tradition neu lebendig zu machen.

    Heuer: Aber es sind ja offensichtlich gerade junge Menschen – Sie haben über die Angst vorm Sterben gesprochen -, es sind ausgerechnet junge Menschen, die sich dem Glauben neu und entschieden öffnen?

    Huber: Ja, weil junge Menschen ganz besonders intensiv nach dem Sinn ihres Lebens, nach dem Halt für ihr Leben und nach der Richtung fragen, die sie in ihrem Leben nehmen wollen.

    Heuer: Halt im Leben hängt damit zusammen, dass ausgerechnet die sehr konservativen Päpste, der verstorbene und der jetzige, so eine hohe Popularität genießen?

    Huber: Das finde ich auch sehr faszinierend. Man beobachtet das ja im Augenblick auch in vielen Interviews mit jungen Leuten, dass sie in bestimmten inhaltlichen Fragen in großem Abstand stehen zu dem, was der verstorbene Papst gesagt hat oder Papst Benedikt XVI. in bestimmten Fragen sagt oder Kardinal Meisner sagt, dass sie aber sich reiben wollen auch in ihrer eigenen Suche an Gestalten, die sie dann doch für Vorbilder halten. Das finde ich einen Hinweis darauf, dass auch in der evangelischen Kirche die Bereitschaft wachsen muss, Vorbild zu sein, ansprechbar zu sein als Person, aber zugleich finde ich es gut, dass in der evangelischen Kirche sich das nicht so auf eine Person konzentriert, dass Frauen genauso ansprechbar sind als Personen in Leitungsverantwortung wie Männer und dass die Vielgestaltigkeit des christlichen Glaubens zum Ausdruck kommen kann.

    Heuer: Aber dass Sie in der evangelischen Kirche eine solche Führungsfigur nicht haben, macht Ihnen das Leben natürlich auch ein bisschen schwer, Bischof Huber. Sind Sie manchmal neidisch auf die Katholiken?

    Huber: Nein, ich bin nicht neidisch. Ich sage fröhlich: Sie haben einen Papst, wir haben keinen.

    Heuer: Der Weltjugendtag wird oft als Event bezeichnet, von manchen auch als Event kritisiert. Gibt es da eine Suche nach Erlebnis, die einfach ungestillt ist bei jungen Menschen?

    Huber: Die Suche nach Erlebnis ist das eine. Die Frage wie das, was man erlebt hat, dann im eigenen Leben Wurzel schlägt, ist das andere. Deswegen wünsche ich allen jungen Leuten, die jetzt nach Köln gehen, dass sie dann, wenn sie nach Hause kommen, auch eine Gruppe, eine Gemeinschaft finden, in der ihr Glaube weiter wachsen kann, denn das Ereignis als solches schafft noch nicht Glauben.

    Heuer: Es wird oft analysiert, dass junge Menschen heute glauben und dass das eine moderne Erscheinung ist. Eine Modeerscheinung? Fürchten Sie das manchmal?

    Huber: Nein, das ist meine Befürchtung nicht. Wir erleben im gegenwärtigen Augenblick eine Trendwende, eine Verschiebung der Aufmerksamkeit in eine Richtung, die ich begrüße, und es liegt ja nun daran, was wir alle miteinander aus dieser Wende machen, aus der Sehnsucht der Menschen nach religiösen Ereignissen, aus einer neuen Offenheit für das Heilige. Es hat keinen Sinn, sich daneben zu stellen und zu sagen, das ist ja nur ein Ausdruck der modernen Event-Kultur. Es geht vielmehr darum, dieses Suchen und Fragen junger Leute aufzugreifen und ihm eine gewisse Nachhaltigkeit zu verleihen.

    Heuer: Sie, Bischof Huber, treffen beim Weltjugendtag den Papst. Ist Ihr wichtigstes Thema dabei die Ökumene und mit welchen Gefühlen gehen Sie in diese Begegnung?

    Huber: Es wäre ja ein Ausdruck von mangelndem Respekt, wenn man nicht bei dieser Begegnung die Suche nach der Ökumene ins Zentrum rücken würde. Papst Benedikt XVI. hat selber die Einheit der Christenheit und damit die ökumenische Gemeinschaft als wichtigstes Thema seines eigenen Pontifikats benannt. Und selbst wenn im Augenblick bei den konkreten Schritten, die von Seiten des Vatikans gegangen werden, die orthodoxen Kirchen mehr im Vordergrund stehen, ist es doch klar, dass wir als evangelische Kirche unsere Bereitschaft zum Dialog dabei auch deutlich zu erkennen geben. Dialog bedeutet, dass jeder das Seine einbringt, dass die unterschiedlichen Profile deutlich werden und dass auf dieser Grundlage gegenseitiger Respekt wächst und man das, was man miteinander tun kann, auch tatsächlich miteinander tut.

    Heuer: Nun sind Worte ja immer das eine, Taten etwas anderes. Haben Sie denn den Eindruck, als Papst öffnet sich der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Ratzinger, der ja in dieser Zeit, was die Ökumene angeht, ganz besonders streng war?

    Huber: Dass er das Profil der römisch-katholischen Kirche erkennbar macht, ist das eine; dass er über die Grenzen dieser Kirche hinaus Kontakte halten und weiterentwickeln will, ist das andere. Und da er ein Papst ist, der sehr an der Anschärfung des Profils der römisch-katholischen Kirche gearbeitet hat, wird er auch der erste sein, der Verständnis dafür hat, dass wir nun als evangelische Kirche auch unser Profil ins ökumenische Miteinander einbringen. Insofern bin ich sicher, dass wir in ihm einen offenen Gesprächspartner haben, natürlich auch einen, der die evangelische Kirche, der den Protestantismus in Deutschland, der die evangelische Theologie besonders gut kennt. Diese Chance sollten wir miteinander nutzen.

    Heuer: Aber Sie werden langen Atem benötigen?

    Huber: Das ist klar, dass langer Atem benötigt wird, aber dieser lange Atem muss sich auch mit einem Schuss Ungeduld verbinden und es gibt ökumenische Themen, die auch besonders dringend nach Lösungen verlangen. Wer an die Situation von Familien denkt, die verschiedene Konfessionen miteinander verbinden, der weiß, dass es drängende Aufgaben gibt, bei denen man nicht die Lösung auf die lange Bank schieben darf.

    Heuer: Bischof Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Bischof Huber!

    Huber: Ich bedanke mich auch sehr herzlich.