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Menschen in Ausnahmesituationen

In Israel herrscht immer Notstand. Ständig müssen Menschen evakuiert, Verletzte und Tote abtransportiert, Neugierige ferngehalten werden. Ständig werden Bomben entschärft und Verdächtige verhaftet. Ständig sieht man Soldaten, die, die MP auf den Knien, Bus oder Eisenbahn fahren. Am Eingang der Restaurants, der Theater stehen Sicherheitsleute. Man gewöhnt sich daran, das ist eben so.

Von Christian Gampert | 24.07.2010
    Wie man sich in einem solchen Szenario von Bedrohung und Selbstverteidigung fühlt, das ist das Thema der Aktionstheater-Gruppe "Public Movement". Auch wenn wir uns momentan, von Europa aus betrachtet, in einer ruhigeren Phase des Nahost-Konflikts wähnen, so weiß man doch: Die nächste Krise kommt bestimmt. "Public Movement" zeigt nun das Ritualhafte der Katastrophe, die eingeübten Choreografien von Rettung und Leid, die mediale Ausbeutung des Schocks, das Tänzerische in all dem militärischen Drill, der eine zugleich freiheitsbewusste wie – aus Erfahrung – ängstliche Gesellschaft wie die israelische überformt.

    Als ich die Gruppe zum ersten Mal sah, 2007 auf einem Festival in Tel Aviv, marschierten weiß uniformierte Jungen und Mädchen durch ein leeres Parkhaus und wurden von einem Auto angegriffen. Ein Jahr später inszenierten sie einen surrealen Tanz der Rettungskräfte, der Feuerwehrleute und Sanitäter, die hingestreckte Anschlagsopfer bergen und reanimieren sollten.

    Ursprünglich war die Aufführung für das Festival von Akko geplant – aber damals flogen täglich Raketen von Gaza nach Israel; es kam in Akko zu schweren Konflikten zwischen Palästinensern und Israelis, und so wurde die Aufführung an den Strand von Tel Aviv verlegt, in die laue Luft der hedonistischen Metropole – die Realität hatte die Inszenierung überholt.

    Inzwischen hat "Public Movement" auch in Europa Karriere gemacht, vor dem Berliner Olympia-Stadion und im Warschauer Getto Aktionen kreiert, die mit der Geschichte des Ortes arbeiten. Aber das Wiedersehen in Heidelberg, in einem alten Universitätsgebäude, fällt nun seltsam ernüchternd aus, weil das indirekt Gewaltsame in der deutschen Gesellschaft doch ganz anders, viel abgefederter ist als in der israelischen. Die stets uniform gekleideten Movement-Akteure wollen uns demonstrieren, wie drastisch staatliche Aggression auch uns jederzeit treffen kann und wie klein wir uns ihr gegenüber fühlen. Berieselt von süßlicher Kaufhausmusik stehen wir in einer Schlange zur Ganzkörperkontrolle; dann wird in einem Hörsaal aus dem Hochschulgesetz vorgelesen, Movement-Schauspieler exerzieren mitten im Publikum, Polizei marschiert auf und räumt den Saal.

    Draußen dann Personenkontrollen und willkürliche brutale Verhaftungen, die – natürlich – nur vorbereitete Personen betreffen. Sollen wir mitspielen? Im Publikum zeigen sich nur zaghafte Ansätze zu Widerstand, Sitzstreik und Zivilcourage. Verunsicherte deutsche Polizisten, die nicht wirklich Theater spielen können, stehen etwas deplatziert herum, und manisch knipsen die Pressefotografen. Dann stellt uns Public Movement böse Fragen: Sind Sie für Freiheit oder für Sicherheit? Hatten Sie einen Nazi in ihrer Familie? Existiert Gott? Sind Sie für oder gegen die Aufnahme der Türkei in die EU? Sind Sie für Israel oder für Palästina? Ist Erziehung für den Einzelnen da oder für die Gesellschaft? Vor diesen – oft bewusst falschen – Alternativen muss das Publikum sich entscheiden und auf die eine oder andere Seite der Halle gehen. Das gibt oft interessante Abstimmungsergebnisse, aber insgesamt nur ein bisschen Partystimmung. Dann wabert Trockeneisnebel, Feuerwehrleute retten uns aus dem Inferno, und draußen im Regen werfen sich die "Movement"-Tänzerinnen vor Feuersbrünsten und Rettungsleitern brutal aufs Heidelberger Pflaster.

    Ach, mit der Performance ist es so eine Sache: Sie erfordert Präsenz und Publikumskontakt. "Public Movement" aber agiert absolut protestantisch und kühl, die personifizierte strukturelle Gewalt. Die eigentliche Leistung der Gruppe besteht in der Logistik, der Einbindung von Polizei und Feuerwehr. Aber das ist viel Aufwand mit wenig Effekt. In der israelischen Gesellschaft ist das normalerweise umgekehrt.