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Menschen Löwen Adler Rebhühner. Theaterregie

Ein Regisseur muss sich was einfallen lassen. Das ist sein Beruf. Peter Zadek lässt sich seit mehr als 50 Jahren etwas einfallen. Ein halbes Jahrhundert Theater: das ergibt einen Erfahrungsschatz, den Neulinge gern in Händen hielten.

Shirin Sojitrawalla | 20.06.2003
    In seinen Workshops versucht Zadek, sein Wissen weiterzugeben. Dabei lernen die Nachwuchsregisseure aber nicht, wie man Regie führt, sondern wie Peter Zadek Regie führt: auf die Schauspieler bezogen, perfektionistisch und fantasievoll verspielt. Aus zwei seiner Workshops an der Berliner Ernst-Busch-Schule ist nun ein Taschenbuch entstanden, das beredt Antwort auf die Frage gibt: "Was macht eigentlich ein Regisseur?". Gleich auf der ersten Seite rät Zadek. "Wer sich heute subjektiv ausdrücken will, geht am besten zum Theater. Wer dem Kommerz (und seinem Bankkonto) dienen will, macht Fernsehen." Damit sind die Fronten klar.

    Peter Zadek macht Theater und erzählt in diesem Buch, wie er das macht. Das fängt bei den Vorbereitungen an, der Besetzung und dem Vorsprechen also, geht über die Leseprobe, die Arbeit mit den Schauspielern bis hin zu den unterschiedlichen Stadien der Probenarbeit, die erst mit der Premiere endet. Peter Zadek referiert darüber im selben Plauderton, den er schon im ersten Teil seiner lesenswerten Autobiografie "My Way" anschlug.

    Naturgemäß hat man einige der Bemerkungen und Anekdoten, die Zadek zum Besten gibt, schon einmal gehört bzw. in seinen anderen Büchern gelesen. Das macht aber ganz und gar nichts, denn wenn sich Zadek wiederholt, ist es die Sache wert. Wie etwa bei der wunderbaren Geschichte vom Schauspieler Ulrich Wildgruber, den Zadek 1976 als Othello fürs Hamburger Schauspielhaus besetzte. In der Premiere rief ein Zuschauer: "Ich kann nichts verstehen, lauter!". Ulrich Wildgruber hörte auf zu sprechen, kam von der Bühne herunter, ging in die hinterste Reihe des Zuschauerraums, wo der Mann saß, und wiederholte die ganze Szene noch mal. Ganz ernsthaft, nur für diesen Mann, wie Zadek erzählt. Danach ging Wildgruber wider auf die Bühne und spielte weiter, als sei nichts geschehen. Die Geschichte ist einfach zu gut, um sie nicht mehrmals zu erzählen.

    Doch in seinen Workshops belässt es Zadek nicht bei Anekdoten-dropping, sondern erläutert auch sachlich und durchdacht, wie ein Theaterstück auf die Bühne kommt. Als Leser spielt man gewissermaßen Mäuschen, darf Zadek, der in seinen Proben keine Besucher duldet, bei der Arbeit zusehen. Den Unterrichtscharakter nimmt das Buch auf, indem es teilweise auch die Dialoge mit den Studenten wiedergibt. Ihre Zwischenrufe, Fragen und Bedenken sind Teil des Buches. Die Kluft zwischen ihnen und dem Altmeister der Theaterregie ist nicht wegzudiskutieren. Zadek sucht sich seine Schauspieler selbst aus, viele von ihnen gehören seit langem zu seiner Theaterfamilie. Die Nachwuchsregisseure indes müssen mit dem vorlieb nehmen, was an den Stadttheatern eben so engagiert wurde.

    Wenn Zadek während der Proben merkt, das stimmt noch nicht, verschiebt er die Premiere. Eine Möglichkeit, von der Jungregisseure an irgendwelchen Provinzbühnen nicht einmal träumen dürfen. Das weiß natürlich auch Zadek und versucht den Studenten in erster Linie, genaues Arbeiten zu vermitteln. Das macht er zuweilen recht apodiktisch. Sätze, wie in Stein gemeißelt, bekommen die Studenten zu hören. Etwa: "Ein Regisseur muss gut vorbereitet sein", "Der Regisseur ist für alles verantwortlich.", "Die Qualität der Proben ist identisch mit der Qualität des Resultats" oder auch "Regieführen ist eine komplizierte Angelegenheit...".

    Doch das schulmeisterliche Gehabe verzeiht man ihm gern, wartet Zadek doch im Gegenzug mit einer Menge hilfreicher, in einem langen Theaterleben erprobten, Tricks auf. Dass die wichtigen Dinge während der Proben oftmals in der Mittagspause geschehen, können die Studenten lernen und dass, um die Phantasie von Schauspielern freizusetzen, manchmal ein Kaffee bitter nötig ist. Im zweiten Teil des Buches geht es dann um die praktische Umsetzung. Die Studenten inszenieren Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig" und Wedekinds "Frühlingserwachen", die besprochenen Szenen sind am Ende des Buches abgedruckt. Davor aber sind die Gespräche über die Szenen festgehalten, was interessant ist, aber für die Leser, die die Aufführungen ja nicht gesehen haben, ein bisschen unbefriedigend bleibt.

    Zadek erweist sich dabei als scharfer Kritiker, der kategorisch dieses ablehnt und jenes befürwortet, immer aber begründen kann, warum er etwas sieht, wie er's sieht. Von seiner Meinung abbringen lässt er sich freilich nie. Die Gespräche zwischen Zadek und den Studenten geben einen guten Einblick in die Workshop-Arbeit. Aber an wen wendet sich dieses Buch? Sicher nicht an Theaterlaien. Man sollte schon wissen, was ein Inspizient macht und was eine Bauprobe ist, sonst ergeben sich beim Lesen mehr Fragen als Antworten gegeben werden. Für Schauspielschüler und Nachwuchsregisseure bietet das Buch eine Einführung ins Regiefach. Und all denjenigen, die schon sehnlich auf die Fortsetzung von Peter Zadeks Autobiografie hoffen, verkürzt es zumindest die Wartezeit.