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Menschen mit Mienen

Nach den starr wirkenden Darstellungen des Mittelalters brachte Andrea Mantegna Leben in die Bilder. Die Personen haben bei ihm spezifische Physiognomien, individuelle Gesichter, in denen sich menschliche Regungen widerspiegeln. Mantegna wurde zu den ganz großen Künstlern der Frührenaissance.

Von Renate Hellwig-Unruh | 13.09.2006
    Eine große, von einem Girlandenkranz eingefasste, kreisrunde Öffnung an der Decke gibt den Blick frei auf den blauen Himmel, einzelne Wolken ziehen vorbei. Drei Putten klettern durch die Öffnung in den Raum, weitere Putten- und Frauenköpfe beugen sich herab, blicken neugierig, ein Pfau wagt sich gefährlich weit vor, ein Blumentopf, nur von einem Holzstab gestützt, droht herabzufallen.

    Die optische Täuschung ist perfekt, die schier schwindelerregende Höhe der Kuppel nur gemalt. Man möchte sich in Sicherheit bringen vor dem Blumentopf, den Putten und dem Pfau. Obwohl das Ganze "nur" ein Deckenfresko ist - das Deckenfresko der Camera degli sposi gemalt von Andrea Mantegna. Mit diesem Meisterwerk, das das Schlafgemach des Markgrafen Ludovico Gonzaga in Mantua schmückt, schuf der Künstler um 1473 die erste illusionistische Decke der Frührenaissance.

    Andrea Mantegna stammte aus einfachen Verhältnissen. 1430 oder 1431 in Isola di Cartura geboren, soll er der Überlieferung nach in seinen ersten Lebensjahren Schafe gehütet haben. Bereits mit zehn wurde er in Padua in die Werkstatt des Malers Francesco Squarcione aufgenommen, wo er die folgenden sieben Jahre lebte und lernte.

    "Squarcione wusste, dass er nicht der allervorzüglichste Maler der Welt sei, und da er wünschte, Andrea möchte mehr lernen, als er selbst konnte, so übte er ihn fleißig an Gipsabgüssen, die nach Antiken gemacht waren, und nach Gemälden, die er von verschiedenen Orten, vornehmlich aus der Toskana und Rom kommen ließ ","

    berichtet Giorgio Vasari 1550 in seinen weltberühmten Viten, einer Sammlung biografischer Skizzen großer Renaissancekünstler. Doch ganz uneigennützig war der Wunsch Francesco Squarciones nicht, denn er wollte an seinem begabten Schüler verdienen: Mantegna musste später zweimal gegen seinen Meister klagen, um seinen Austritt aus der Werkstatt zu erzwingen. Danach fertigte er in eigener Regie Altartafeln, Marienbilder und Wandmalereien mit biblischen Szenen für Kirchen der Umgebung an. Dabei hauchte Mantegna seinen dargestellten Personen Leben ein, er verlieh ihren Gesichtern individuelle Züge, in denen sich Schmerz, Verzweiflung oder Freude spiegelten - keine Selbstverständlichkeit, nach den typisiert dargestellten Physiognomien des Mittelalters.

    Um 1454 heiratete der Künstler Nicolosia Bellini, die Schwester Giovanni Bellinis, und ließ sich zwei Jahre später als Hofmaler des Markgrafen Ludovico II. Gonzaga in Mantua nieder. Doch in den nachfolgenden Jahrzehnten schmückte Mantegna nicht nur die Schlösser und Landsitze der gräflichen Familie aus, sondern nahm weiterhin auch Aufträge von außen an. Dabei legte er in seinen Malereien größten Wert auf die perspektivische, also mehrdimensionale Darstellung. Für den Markgrafen schuf er eine Folge von Bildern, die sich heute in London, im Besitz der englischen Königin befinden. Giorgio Vasari 1550:

    ""'Der Triumphzug Cäsars' von Andrea dargestellt - das beste Werk, welches er je zur Ausführung brachte. Hier sieht man in schönster Ordnung den herrlich verzierten Wagen des Triumphators, Verwandte, Opfer, Priester und zum Opfer bekränzte Stiere, Gefangene, von den Soldaten erbeutete Schätze, den geordneten Heereszug, Elephanten, Kunstwerke, unzählige Trophäen auf Spießen und Stangen, Geräthe, Zierrathen und unendliche Gefäße."

    Der Triumphzug Cäsars, eine Serie von neun großformatigen Bildern, gilt als größtes Ensemble des 15. Jahrhunderts und zeigt Mantegnas große Liebe zur Antike.

    Der Künstler lebte bis zum Schluss in Mantua, in der Stadt, über die Papst Pius II. einmal geschrieben hatte, die Luft rieche sumpfig und "man höre dort nichts als quakende Frösche". Damals konnte sich Mantua tatsächlich nicht mit den großen Kunstzentren Venedig, Florenz und Rom messen. Doch dank Mantegna und der kunstliebenden Fürstin Isabella d’Este, die eine der bedeutendsten Sammlungen griechischer und römischer Kunst anlegte, entwickelte sich die Stadt zu einem Kunstzentrum. Und dazu trugen nicht zuletzt auch Mantegnas Kupfersticharbeiten bei. Der Chronist Vasari:

    "Dieser Künstler fand (...) Vergnügen daran, Kupferstiche zu arbeiten, und unter anderem stach er seine Triumphzüge, wovon damals Großes gehalten wurde, weil man Besseres nicht kannte."
    Von Mantegnas Kupferstichen ließ sich auch der junge Albrecht Dürer inspirieren. Während seiner zweiten Venedig-Reise wollte er sein Vorbild Mantegna persönlich kennen lernen, doch er kam zu spät: Am 13. September 1506 starb Andrea Mantegna in Mantua.

    Viele seiner Werke sind im Lauf der Jahrhunderte zerstört worden, doch die überlieferten Fresken, Bilder und Kupferstiche zeigen, dass er neben den Bellinis zu den wichtigsten italienischen Malern der Frührenaissance gehört.