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Menschenhandel in Europa

Mit seinem Streifenwagen fährt Oberinspektor Michael de Preetere über die von Flutlicht beleuchteten Piers des Hafens von Zeebrugge an der belgischen Nordseeküste. Wie fast jeden Abend seit 15 Jahren sucht der grauhaarige Polizist auch jetzt das Gelände nach illegalen Flüchtlingen und Menschenschmugglern ab. Der Hafen von Zeebrugge ist zwar im Vergleich zu Antwerpen, Rotterdam oder Hamburg ein kleiner Hafen. Dennoch erstreckt sich das Hafengelände über mehrere Quadratkilometer. Von Zeebrugge laufen alle paar Stunden Fähren nach England und Irland aus, legen riesige Containerschiffe und Autotransporter an. Tausende von Containern lagern auf dem Gelände, Zehntausende von Autos warten auf den Weitertransport nach Brüssel, Paris, Köln oder London.

Von Michael Fischer | 25.11.2004
    Der ideale Ort für Menschenschmuggler, um ihre 'Ware' unterzubringen, meint Michael de Preetere. Im Licht der Scheinwerfer wird ein lang gestrecktes Gebäude sichtbar, in das im Rhythmus weniger Minuten LKWs ein- und ausfahren. Drinnen schiebt ein uniformierter Mann einen langen Stab seitwärts auf die Ladefläche des Lastwagens, ein zweiter Kollege steht auf einem Gerüst über dem LKW und prüft den Zustand der Plane.

    Was die da machen, oben, guck, der eine der dort oben steht, was die Illegalen nämlich machen, um reinzukriechen. Sie kriechen oben rauf, schneiden das durch und gehen so drin. Und wenn man dann um den LKW läuft, kann man überhaupt nicht merken, dass da jemand reingekrochen ist. Und dafür wird das immer oben kontrolliert, ob es da keine Beschädigung gibt. Und der andere Mann, der da steht mit diesem Stock, das ist diesen CO2-Messgerät, nicht.

    Mit dem Messstab wird der Anteil von CO2 in der Luft des Laderaums gemessen. Ist er höher als gewöhnlich, deutet das auf die Anwesenheit von Menschen oder Tieren hin, die CO2 ausatmen. Ein dritter Beamter überprüft vor einem Computerbildschirm die Bilder, die das neu installierte Röntgengerät von der gesamten LKW Ladung macht. Plötzlich drückt er auf einen Knopf und die Türen schließen sich. Die Kontrolleure sind fündig geworden.

    Could you please come in, stand here, please. Just stand here and don't move. You look in the camera here okay, please open your eyes, right. So we take a picture of you ...

    Oberinspektor Michael De Preetere bittet ein völlig verängstigtes, schwarzhaariges Mädchen in den Aufnahmeraum der Hafenpolizei. Erst wird ein Erkennungsfoto von ihr gemacht. Dann nimmt eine Kollegin von Michael de Preetere die Fingerabdrücke der jungen Frau, die behauptet, Ina zu heißen und aus Albanien zu stammen. Die Erlebnisse der letzten Zeit sind ihr noch anzusehen.

    Ina ist sehr bleich. Ihre erschreckten Augen scheinen ständig nach Halt zu suchen. Die Hände hält sie vor ihrem schwarzen Pullover fest gefaltet. Drei Jahre lang musste die Albanerin sich in Italien prostituieren. Dann wurde es ihrem Freund und Zuhälter dort zu unsicher, weil er außerdem mit Drogen handelte. Sie flohen nach Brüssel, wo sie bei einem Freund Unterschlupf fanden, der Kontakte nach Frankreich hatte.

    Zuerst arbeitete ich in Paris, danach in Toulouse bei Freunden von ihm, dann in Nizza. Aber es gab dort zu viele Kontrollen. Also holte er mich zurück nach Belgien. Du wirst in einem Schaufenster in Brüssel arbeiten, sagte er mir. Eine seiner Freundinnen fand ein Schaufenster für mich. Im August verschwand er plötzlich. Ich kann nicht sagen wohin. Dennoch arbeitete ich weiter und schickte das Geld seinem Vater.

    Ihr Zuhälter hatte ihr gedroht, Rache an ihren Eltern zu nehmen, falls sie weglaufe, so dass sie auch dann noch für ihn auf den Strich ging, als er schon längst wegen einer anderen Sache im Gefängnis saß.

    Er hat nie gearbeitet, dieser Typ. Ich musste immer für ihn arbeiten. Dafür hat er mich geschlagen. Ich war minderjährig. Ich war jung. Er war meine erste Liebe. Dafür tut man doch alles. Außerdem hatten wir damals in Albanien ja keine Ahnung. Heute kennen wir alles. Wir wussten nichts von Prostitution, wir kannten keine Präservative, davon hatte ich in Albanien nie gehört. Wir waren verliebt und hauten ab, weil wir uns sagten: das ist unser Leben. Wir werden ein schönes Leben haben. Dann sagte er, diese Arbeit machen wir nicht lange. Aber schließlich wurden daraus doch fünf Jahre.

    Und zum Schluss verkaufte sein Vater sie an einen Zuhälter in England. Sie sollte gerade in einem Lastwagen versteckt dorthin gebracht werden, als die Hafenpolizei sie entdeckte.

    Die junge Frau wird in einen Raum mit zwei Betten gebracht, wo sie auf die Entscheidung des belgischen Ausländeramtes warten muss, ob sie in ihre Heimat abgeschoben wird oder in Belgien bleiben kann. Die Entscheidung hängt auch von ihr selbst ab: Wenn sie bereit ist, gegen ihre Peiniger auszusagen, wird sie Pag-asa übergeben, einer von drei Organisation in Belgien, die Opfern von Menschenhändlern helfen, nachdem sie von der Polizei aufgegriffen wurden. Doch zuvor wird sie in dem separaten Raum von einer Polizistin durchsucht.

    Was uns am meisten interessiert, sind Telefonnummern und Adressen. Dadurch manchmal einige Tage später, andere Gruppe, finden wir dieselbe Nummer. Und dann kommt drauf an, wenn dieser Menschenschmuggler ihnen hilft reinzukriechen in den Ferry-Terminal, wenn er dann gefunden wird, und er hat ein Handy bei sich, und es ist diese Nummer, die wir zurückfinden, dann ist es für die Staatsanwaltschaft natürlich ganz interessant, diese Sachen einander zu linken.

    Belgien ist dank seiner geographischen Lage und seiner Häfen Antwerpen, Zeebrugge und Oostende ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, und als solcher das ideale Zentrum für den internationalen Menschenhandel. Dabei muss man allerdings zwischen Menschenschmugglern und Menschenhändlern unterscheiden.

    Menschenschmuggler lotsen illegale Einwanderer gegen ein mehr oder weniger großes Entgelt in Länder der EU, zur Zeit hauptsächlich Afghanen, Iraner, Iraker und Somalier, aber auch Inder, Chinesen und neuerdings Latinos, nach Großbritannien, wo sie dann oft jahrelang ihre Reiseschulden abarbeiten müssen.

    Die Menschenhändler nutzen Belgien als mitten in Europa gelegene Drehscheibe, um meist mit Touristenvisa eingeschleuste Menschen als illegale Arbeitskräfte zu vermitteln oder zu verkaufen. Das lohnt sich: In fast allen Wirtschaftsbereichen werden illegale Einwanderer als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, sagt der Chef der Belgischen Anti-Menschenhändler-Brigade, Wim Bontick:

    Es gibt die Ausbeutung von Arbeitskräften unter sklavenähnlichen Bedingungen in der Landwirtschaft, im Restaurant- und Hotelgewerbe, in der Schifffahrt, im Speditionswesen, in der Holzindustrie. Leute aus den verschiedensten Ländern werden also praktisch in allen Bereichen eingesetzt. Denn sie sind ganz einfach billiger als legal Beschäftigte. Es kann sexuelle Ausbeutung von Leuten sein, Prostitution unter ausbeuterischen Umständen, Kinderpornographie, Sextourismus mit Kindern. Es können Peepshows sein, in denen junge Frauen gezwungen werden zu arbeiten. Eine weitere Form der Ausbeutung kann der Handel mit Organen sein. In England ist es zum Beispiel ziemlich einfach, illegale Operationen durchzuführen. Menschen werden also nach England gebracht, wo ihnen ihre Organe herausoperiert werden. Dann gibt es noch den Handel mit Menschen, die dazu gezwungen werden, in Häuser einzubrechen oder Drogen zu verkaufen. Dann werden Leute auch gezwungen, auf den Straßen zu betteln oder Flöten, Hüte oder Pullover aus Südamerika zu verkaufen. Auch diese Menschen werden ausgebeutet, sie werden nicht fair bezahlt. Davon profitieren Leute in Belgien und im Ausland, die Produktion und Verkauf organisieren und das Geld einsammeln. Sie überwachen die Leute und bezahlen ihnen gerade mal 20 Euro pro Woche.

    Von Belgien aus werden illegale Einwanderer aus Osteuropa als Arbeitskräfte für die Erdbeerernte in Spanien oder Weinernte in Frankreich, Lateinamerikaner als billige Hausangestellte nach England und die Schweiz, junge Frauen aus Nigeria und Südosteuropa als Prostituierte in die Bordelle Belgiens, Hollands und England vermittelt, weiß Wim Bontick. Das Verbrechen Menschenhandel ist aber über den Rummel um den Dutroux-Prozess in Vergessenheit geraten, beschwert sich der Chef der Anti-Menschenschmuggel-Brigade, obwohl es in seinen Ausmaßen viel gravierender ist, wie der belgisch-französische Fall Furnieret zeigt, der neun oder mehr Mädchen entführt und umgebracht haben soll.

    Das sind aber nur die "verrückten" Spitzen des Eisbergs. Denn beim sehr vielseitigen Handel mit Menschen geht es natürlich auch um Erniedrigung, Gewalt und Mord, aber letztendlich ums Geschäft. Deswegen kommen auch die Ermittlungen gegen die Hintermänner kaum voran, weil sowohl auf belgischer als auch auf EU-Ebene das Interesse an billigsten Arbeitskräften und Sexsklaven größer ist als das an der Bekämpfung der Verbrecher.

    Menschenhändler können einzelne Personen sein, zum Beispiel eine Madame aus Nigeria, die einige Mädchen ausnützt. Aber es kann auch eine kleine Gruppe von Leuten in verschiedenen Ländern sein, die zusammenarbeiten, in dem der eine die Leute anspricht, der andere ihre Reise organisiert und der dritte sie im Empfängerland zur Arbeit zwingt. Es gibt auch Kooperationen von unabhängigen Gruppen, die durch einzelne ihrer Mitglieder voneinander wissen. Sie arbeiten zwar zusammen, aber es gibt keinen Chef, keine Hierarchie, keine ständigen Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppen. Wenn jemand aufhören will, kann er aufhören. Schließlich gibt es straff organisierte Banden, die den Handel vom Ursprungsland bis zum Ankunftsland kontrollieren. Das beste Beispiel dafür ist die chinesische Schlangenkopf-Organisation.

    Die Menschenhändler versuchen kontinuierlich und durchaus mit Erfolg, offizielle Stellen zu unterwandern. Sie laden z.B. Beamte und Politiker in ihre Clubs ein und erpressen sie danach. Menschenhandel ist so das sicherste lukrative illegale Geschäft geworden. Weltweit sollen die Menschenhändler rund sieben Milliarden Euro verdienen, also ungefähr soviel wie die Drogenhändler. Oft sind sie auch identisch mit ihnen.

    Um ihr Geschäft am Laufen zu halten, zwingen sie jährlich etwa 500.000 Frauen und Mädchen aus Osteuropa, Asien und Afrika in die Prostitution und ungefähr noch einmal so viele Menschen in andere sklavenartige Arbeitsverhältnisse. Bislang hatten die Menschenhändler auch deshalb leichtes Spiel, sagt Wim Bontick, weil die verschiedenen nationalen Polizeibehörden schlecht kooperierten. Nicht nur die Fahndungstechniken und Abhörmöglichkeiten sind verschieden, sondern sogar die Definition, ab wann Menschenhandel illegal ist.

    Zum Beispiel wird in Belgien Menschenhandel selbst dann verfolgt, wenn die oder der Betroffene ihr Einverständnis gegeben haben. In Holland dagegen machen sich die Menschenhändler erst strafbar, wenn sie Zwang oder Gewalt anwenden. Doch die Zusammenarbeit der Behörden macht Fortschritte, sagt Wim Bontick:

    Es gibt tägliche Kontakte. Diesen Morgen habe ich mit einem deutschen Kollegen ungefähr eine Stunde lang gesprochen. Wir arbeiten mit unseren Kollegen in Großbritannien, Holland, und anderen Ländern zusammen, um Informationen über Händlerringe auszutauschen. Wir müssen noch viel lernen über die unterschiedlichen praktischen Erfahrungen, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Denn die Polizei- und Rechtssysteme sind unterschiedlich. Am Ende ist aber wichtig, zu wissen, was man selber und was der Kollege im anderen Land tun kann. Ich denke, die Situation verbessert sich. Vor einigen Jahren war es noch schlimmer. Jetzt wird es von Tag zu Tag besser.

    Wie die nationalen Polizeien, scheint die EU im Großen dem Phänomen Menschenhandel recht hilflos gegenüberzustehen. Zwar organisierte das Europäische Parlament vorletztes Jahr eine Megakonferenz zu dem Thema, deren Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich nach langen Diskussionen auf die so genannte Brüsseler Erklärung gegen Menschenhandel einigten. 2003 beschloss die EU-Kommission dann die Einrichtung einer Sachverständigengruppe, die dieses Jahr in einem ausführlichen Bericht Vorschläge zur Bekämpfung des Menschenhandels machte. Außerdem hat der Ministerrat einige Rahmenrichtlinien zu dem Thema beschlossen - so zum Beispiel eine Mindeststrafe von acht Jahren Gefängnis und Berufsverbote für überführte Menschenhändler.

    Trotzdem ist Menschenhandel weiterhin ein profitabler Geschäftszweig, dem die EU wenig konkretes entgegenzusetzen hat, erklärt der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Schulz.

    Nein, es ist mir nicht bekannt, dass es was Konkretes gibt. Wir diskutieren es natürlich immer wieder, klar. Also gerade im Bereich der Debatten um die Entwicklung des europäischen Binnenmarkts, um die Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Niederlassungsfreiheit und eben des Themas der Zuwanderung werden diese Punkte gerade hier im EP häufig diskutiert. Aber es ist auch so, dass die Parlamente, die Regierung nicht alles regeln können. Es muss auch ein gesellschaftliches Bewusstsein geben in den breiten Schichten Bevölkerung. Ich denke, diese Debatte müsste eben durch Gewerkschaften, durch Kirchen, durch Parteien, auch durch die Medien viel stärker thematisiert werden, um einfach auch ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen.

    Alle EU-Institutionen scheinen sich einig, dass der ausufernden Schwarzarbeit in Europa ein Riegel vorgeschoben werden muss. Dass dies aber in der Realität trotz strenger Rhetorik nur halbherzig passiert, liegt auch daran, dass ganze Industriezweige gerade in der Land- oder Bauwirtschaft dicht machen müssten, gebe es nicht diese Reservearmee billigster Arbeitskräfte, die nur auf Grund ihres illegalen Status billig und flexibel bleiben.

    Unternehmen, die solche Schwarzarbeiter nutzen, sind im Vorteil gegenüber ihrer legal wirtschaftenden Konkurrenz. Und weil auch die internationalen Banden ihre Gewinne aus dem Menschenhandel in legale Geschäfte wie Restaurants, Waschsalons, Immobilien, Reisegesellschaften, Speditionen und Zeitarbeitsfirmen investieren, wird selbst dort die legale Konkurrenz verdrängt oder dazu gezwungen, ebenfalls krumme Geschäfte zu machen - ein gefährlicher Kreislauf, warnt Martin Schulz:

    Enorme Summen gehen dem Staat und den Sozialversicherungssystemen dadurch verloren, dass schwarz gearbeitet wird und Schwarzarbeit betrieben wird. Jetzt muss man sich mal überlegen, was das bedeutet: Der Kreislauf, der zum Beispiel in einem Land wie der BRD dadurch eingesetzt wird, ist ein einfacher: Durch die Schwarzarbeit entgehen den Sozialversicherungskassen enorme Summen. Die Leistungen, die diese Kassen erbringen müssen, steigen aber - aus unterschiedlichen Gründen, wegen der steigenden Arbeitslosigkeit, wegen der steigenden Alterung, wegen der steigenden Gesundheitskosten. Die werden, dadurch dass die Kassen auf Grund der Steigerungen defizitär sind, gebraucht. Wie werden sie gebraucht? Durch Zuschüsse aus der Steuerkasse und durch Lohnnebenkostenerhöhungen, Beitragserhöhungen. Dadurch wird die Arbeit wieder verteuert, das wiederum führt zu mehr Schwarzarbeit. Es ist also ein fataler Kreislauf. Insofern muss man den Leuten wirklich sagen, Schwarzarbeit ist nicht irgendeine Kavaliersnummer. Also wenn der Nachbar dem Nachbarn hilft, ne Garage mal anzustreichen. Da hat kein Mensch was gegen. Aber wenn ganze Bauunternehmungen Sklavenkolonnen aus Portugal oder Polen oder was weiß ich woher auf ihren Baustellen beschäftigen, dann ist das ein schwerwiegender Straftatbestand, der auch die wirtschaftliche Stabilität, auch die soziale Stabilität gefährdet. Und ich finde, da muss der Staat mit den vorhandenen Gesetzen, die es ja gibt - Schwarzarbeit ist strafbar, die illegale Beschäftigung von Menschen außerhalb der Versicherungssysteme ist strafbar. Da muss man dann auch gegen vorgehen.

    Appelle alleine nützen jedoch wenig. Das weiß auch der Europapolitiker. Wichtiger wäre ein gemeinsames Vorgehen bei der Gestaltung einer EU-Einwanderungspolitik zum Beispiel nach dem Vorbild der USA.

    Wollen wir das auf gemeinschaftsrechtlicher Basis regeln, dann muss es ein europäisches Außensicherungsrecht, ein europäisches Asylrecht, ein europäisches Zuwanderungsrecht geben, das dann auch in die Kompetenz der EU übertragen wird. Nun handelt es sich dabei aber um hochsensible Bereiche der eigenstaatlichen Souveränität der einzelnen Mitgliedsländer. Also, es ist schon ein konstitutives Element eines Staates zu entscheiden, wer auf sein Territorium darf und wer nicht. Und alle mit diesen Fragen verbundenen Folgewirkungen: Integrationsproblematik, Beschulungsproblematik, Gesundheitsvorsorge, alles ja Probleme, die wir in Deutschland gerade in den Kommunen sehr brennend auf den Nägeln kennen. Seit Jahren hat insbesondere der Kommissar Vittorino im Rahmen des so genannten Tampere-Prozesses, also bei der Schaffung des Raums der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts, wie das so schön heißt, all diese Fragen schön säuberlich aufgelistet. Aber wir haben uns in der Kernfrage bis dato nicht verständigt: Ist das EU-Angelegenheit oder Angelegenheit der Mitgliedstaaten.

    Oberinspektor Michael de Peetere hat sein Auto auf einer Pier geparkt und beobachtet, wie die dort angedockte Fähre mit LKWs beladen wird. Da die Kontrollen zugenommen haben, setzen die Menschenschmuggler ihre Kunden immer größeren Risiken aus, um sie unentdeckt über den Kanal zu bringen, sagt der Polizist. Dabei gibt es hin und wieder auch Tote, wie vergangenen Winter.

    Aus diesem Terminal, wo jetzt alles Container stehen, da hatten sich die weggesteckt, die nach Irland. Denn die dachten, dass das ein Container war nach England, leider ist das eine Linie von Zeebrugge nach Irland, und wenn sie in Irland angekommen sind, da gab es acht Tote. Das, was uns am meisten beängstigt für die Illegalen, dass sie die Risiken, die sie nehmen, die sind ja viel zu groß. Und das sind ja auch nur die Toten, die gefunden werden, denn wir fürchten, dass es auch viele gibt, die nie wieder gefunden werden. Und die sind auch unangenehme Zeugen für die, die damit beschäftigt sind. Und wenn es schief läuft, man versucht, die wegzumachen.

    Wirklich schief gelaufen war es vor bald fünf Jahren, als 58 Chinesen in England in einem Container erstickt aufgefunden wurden, der aus Zeebrugge kam. Seine damals Dienst schiebende Kollegin habe den Schock bis heute nicht überwunden, sagt Michael De Preetere. Aber wie hätte sie die Chinesen auch entdecken können.

    Es ist ja unmöglich. In Zeebrugge allein, kann man sagen, dass jede Minute ungefähr drei bis vier Container passieren. Das heißt jede 15 Sekunden. Und das zu kontrollieren, ist ja einfach nicht möglich. Was wir manchmal machen, ist Sonderaktionen, dass wir an manchen Stellen mit einigen Polizisten dastehen, um Spezialkontrolle zu machen, auf Laster und so. Aber man kann ja immer nur einen Teil kontrollieren.