Dienstag, 16. April 2024

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Menschenrechte
Mutmaßliche Folterer aus Syrien in Deutschland vor Gericht

Vor neun Jahren gingen viele Menschen in Syrien für Freiheit und Gerechtigkeit auf die Straßen. Das Regime in Damaskus schlug mit voller Härte zurück. Hunderttausende verschwanden in den Gefängnissen der Geheimdienste. Jetzt stehen in Deutschland erstmals zwei Geheimdienstmitarbeiter vor Gericht.

Von Tina Fuchs und Tarek Khello | 18.04.2020
Ein Rebellenkämpfer der Freien Syrischen Armee inspiziert 2013 einen Hinrichtungsraum in Darkusch, Provinz Idlib
In Syrien genießen Geheimdienstler Immunität, in Assads Gefängnissen wurde gefoltert und gemordet. Ein Rebellenkämpfer inspiziert 2013 einen Hinrichtungsraum in Darkusch, Provinz Idlib. (imago / Gallo)
Eine Depesche des syrischen Nationalen Sicherheitsbüros von 2011. Vertraulich und dringend. Das Schreiben aus der Spitze des Geheimdienstapparats wirft den Überwachungsabteilungen einen zu laxen Umgang mit den Demonstranten vor. Der neue Befehl: Straßen und Viertel müssten von Oppositionellen gesäubert werden. Es sei dafür zu sorgen, dass Personen, die auf Fahndungslisten stünden, nirgendwo mehr einen Unterschlupf fänden.
Zwei syrische Geheimdienstleute, an die ein solcher Befehl gerichtet war, müssen sich jetzt vor einem deutschen Gericht verantworten. Die beiden waren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.
Vorwurf: Mittäterschaft bei und Beihilfe zur Folter
Patrick Kroker, Anwalt beim Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte in Berlin:
"Anwar R. wird vorgeworfen, dass er in der Zeit von April 2011 bis September 2012 das Gefängnis der Abteilung geleitet hat und damit als Mittäter verantwortlich ist, für 4.000 Fälle von Folter, für 58 Morde und eine Vergewaltigung und eine sexuelle Nötigung, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
"Dem Helfer Eyad A. wird vorgeworfen, dass er als Assistent in der Abteilung dabei gewesen sei, als ein Demonstrationszug festgenommen wurde und dann mitgeholfen hat sie in diese Abteilungen zu bringen, wo sie dann gefoltert wurden, also konkret: Beihilfe zu Folter in 30 Fällen."
"Wenn wir uns jetzt wegducken, haben wir versagt"
Bei einer solchen Demonstration war auch Nouran al-Ghamian gefangen genommen und in das Gefängnis der Geheimdienstabteilung 251 inhaftiert worden. Sie hatte gewusst, dass das einmal passieren konnte, aber wie alle anderen, die damals auf die Straße gingen: Sie musste es riskieren.
"Für uns Syrer war die Revolution das Größte, was uns im Leben passiert ist. Ich hatte das Gefühl. Wenn wir uns jetzt alle wegducken und zu Hause bleiben, dann haben wir versagt. Dann setzt sich die Ungerechtigkeit des Regimes einfach fort und die Diktatur bleibt noch für Generationen bestehen. Es gab keine andere Wahl als die Revolution."
Drei Monate war die damals 20-jährige Politikstudentin inhaftiert. Wenn sie heute über die Ereignisse spricht, kostet sie das viel Kraft. Wie zum Schutz hat sie ihr Make-up sorgfältig aufgetragen, lange Wimpern, starke Augenbrauen, asymmetrischer Haarschnitt. Doch die Traurigkeit in ihrem Gesicht kann sie nicht wegschminken. Als die Geheimdienstleute sie damals in den Bus schieben, bleibt ihr fast das Herz stehen.
"Im Bus dann habe ich Mami gesehen. Sie haben Mami verhaftet! Es war für mich schrecklich sie da zu sehen. Mami hatte nichts damit zu tun. Sie - wollte nicht, dass ich demonstrieren gehe, sie hatte Angst um mich. Sie war an diesem Tag nur gekommen, um mich aus der Ferne zu beobachten. Als ich sie im Bus sah, war ich außer mir – ich fühlte mich verantwortlich, dass sie verhaftet worden war."
"Das war kein Gefängnis, das ist ein Sarg"
Nouran al-Ghamian wird nicht mit denen anderen Frauen in eine der überfüllten Zellen gesteckt. Sie bekommt Einzelhaft. Wenn sie verhört werden soll, führen Wachleute sie durch endlose Korridore.
"Auf den Gängen lagen Körper, mit Folterwunden übersät, aus denen es blutete. Jeden Tag wurden Leichen abtransportiert, die Menschen waren während der Folter umgekommen oder in den überfüllten Zellen erstickt. Das war kein Gefängnis. Das ist ein Sarg, in dem täglich Menschen gefoltert werden und sterben. In dem jede Sekunde am Tag Menschen physich und psychisch leiden."
Vor den Verhören wird Nouran al-Ghamian gefoltert, mit Schlägen, Elektroschocks, Demütigungen. Bei einer Vernehmung sieht sie, dass es eine Akte über sie gibt. Der Geheimdienst funktioniert. Ihr Name hatte auf einer Fahndungsliste gestanden, die junge Frau war vom Regime als Terroristin klassifiziert worden.
Anwalt: Es gibt Gründe, Gehorsam zu verweigern
Neun Jahre später. Vor Gericht in Koblenz wird Nouran al-Ghamian dem Mann gegenüber stehen, den sie damals angefleht hatte, ihr wenigstens die Einzelhaft zu ersparen. Und der das verwehrt hatte.
Anwar R., einer von tausenden Mitarbeiten des syrischen Geheimdiensts. Er wird sich vor Gericht nicht darauf berufen können, nur einem Befehl gefolgt zu sein. Menschenrechtsanwalt Patrick Kroker:
"Der Grund dafür, dass man sagt, dass allein aufgrund der Tatsache, dass man einen Befehl bekommen hat, man nicht dafür entschuldigt ist, diese Verbrechen zu begehen, ist, weil diese Verbrechen so grausam sind. Das sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die gelten universell, und sie gelten auch in einem Unrechtsstaat. Und jeder Mensch, so ist zumindest unsere Weltauffassung, kann erkennen: Wenn solches Unrecht von ihm verlangt wird, wo sein Gewissen einschreiten muss und wo er den Befehl verweigern muss, diese schlimmen Straftaten zu begehen."
In Syrien genießen Geheimdienstmitarbeiter Immunität. Den Geheimdienstgefängnissen kommt eine zentrale Rolle zu: Sie sind die wichtigsten Garanten um die Macht des Regimes Assad zu erhalten, jede Opposition im Keim zu ersticken.
Fortsetzung der Revolution im Gerichtssaal
Für Nouran al-Ghamian, die jetzt in Europa lebt, ist der Weg nach Koblenz nicht leicht. Bis heute leidet sie darunter, was ihr und anderen in Abteilung 251 angetan wurde. Aber die Zeugenaussage vor Gericht ist ihr so wichtig, wie damals an den Demonstrationen teilzunehmen. Eigentlich ist es die Fortsetzung der Revolution. Als sie für Freiheit und Gerechtigkeit auf die Straße ging.
Sie ist Deutschland dankbar, dass es diesen Prozess gibt:
"Endlich werden wir erleben, dass es doch ein kleines bisschen Gerechtigkeit in dieser Welt gibt. Es gibt jemanden, der versucht, Gerechtigkeit für die Unterdrückten zu erreichen. Ich wünsche mir, dass so etwas einmal auch in Syrien passiert, besonders gegen die Menschen, die dort immer noch Verbrechen begehen."
Die Geheimdienstabteilung 251 gibt es immer noch, bis heute werden dort täglich Menschen eingesperrt, gefoltert, getötet. So wie in allen Geheimdienstgefängnissen in Damaskus. In allen in Syrien.