Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Menschenrechte sind nicht mehr so wichtig"

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Deutschland vorgeworfen, das allgemeine Folterverbot auszuhöhlen. Durch die Abschiebung von Terrorverdächtigen in Länder, in denen Gefangene nachweislich misshandelt würden, leiste die Bundesregierung der Folter Vorschub, sagte der Direktor des EU-Büros der Organisation, Nicolas Beger.

Nicolas Beger im Gespräch mit Friedbert Meurer | 28.05.2009
    Friedbert Meurer: Die Hilfsorganisation Amnesty International warnt, dass unter der weltweiten Wirtschaftskrise auch die Menschenrechte verstärkt unter die Räder zu kommen drohen. Krise bedeute Armut, mehr Armut, das verschärfe soziale Spannungen und damit dann auch staatlichen Druck. Jeden Augenblick könne das Pulverfass explodieren. Das behauptet Amnesty in seinem Jahresbericht 2009, er wird heute veröffentlicht und in diesem Jahresbericht wird auch festgehalten, dass in der Europäischen Union die Menschenrechte verletzt würden - auch durch Deutschland bei der Bekämpfung des Terrorismus. Die entsprechenden Passagen dazu aus dem Amnesty-Jahresbericht lauten wie folgt:

    Wie in den Vorjahren gingen die deutschen Behörden auch 2008 nicht entschieden gegen Menschenrechtsverletzungen vor, die im Rahmen des von den USA angeführten Krieges gegen den Terror begangen wurden. Dies betraf auch die Rolle der Behörden bei geheimen rechtswidrigen Gefangenenüberstellungen in andere Länder. Zwei tunesische Staatsbürger waren weiterhin in Gefahr, abgeschoben zu werden, weil das Innenministerium die Zusicherungen der tunesischen Regierung für ausreichend hielt, um die Risiken für die Männer bei ihrer Rückkehr auszuschließen. Die gerichtliche Überprüfung der beiden Fälle war Ende 2008 noch anhängig.

    Meurer: Aus dem Jahresbericht von Amnesty. - Zwölf Länder der EU verletzen die Menschenrechte, behauptet die Organisation. Ich habe Nicolas Beger gefragt - er ist der Direktor des EU-Büros von Amnesty International -, wer denn diese zwölf Staaten sind.

    Nicolas Beger: Darunter haben wir Länder wie zum Beispiel Österreich, Belgien, Bulgarien, die Tschechische Republik, Dänemark, Italien und so weiter, und in dem Bericht berichten wir zu Zusammenhängen mit der Folter in diesen Ländern. Das kann reichen von aktiver Folter als ein Beispiel zum Beispiel in Österreich, wo eine Scheinhinrichtung durchgeführt worden ist mit einem Flüchtling, der zur Abschiebung gehen sollte. Das ist direkte Folter.

    Meurer: Ist das ein Einzelfall in Österreich, oder kam das öfter vor?

    Beger: Dieser spezifische Fall war ein Einzelfall. Das Problem hier war aber auch, dass die Beamten zunächst vom Dienst suspendiert wurden und dann nachher aber wieder sozusagen straffrei ausgegangen sind. In Österreich haben wir im Allgemeinen starke Probleme mit Polizeigewalt, exzessive Polizeigewalt, und einen ganz starken Zusammenhang mit Rassismus zur Polizeigewalt. Das bindet sich natürlich auch an dieses Thema mit an.

    Meurer: Zu den EU-Staaten, die die Menschenrechte verletzen, zählen Sie auch Deutschland. Warum?

    Beger: In Deutschland haben wir mehrere Themen in Punkto Menschenrechte, die wir im Bericht erwähnen. Einmal die diplomatischen Zusicherungen, wo Menschen in Länder abgeschoben werden, Terrorismusverdächtige vor allen Dingen auch. Das andere ist die Behandlung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in der Bundesrepublik, die wir problematisch sehen, zum Beispiel die Meldepflicht, die existiert, die dann sozusagen de facto in der Praxis dazu führt, dass Menschen keinen Zugang haben zur Basisgesundheitsvorsorge. Und dann natürlich Themen in der Terrorismusbekämpfung. Wir haben auch im letzten Jahr leider wieder zu berichten, dass deutsche Beamte in Usbekistan Menschen verhört haben, die dringend unter dem Verdacht stehen, gefoltert worden zu sein.

    Meurer: Aber sie haben sie "nur" verhört, oder gehen Sie sogar so weit zu sagen, dass deutsche Agenten im Ausland misshandeln?

    Beger: Nein, so weit gehen wir nicht. Es geht um die Einhaltung des absoluten Folterverbots. Auch das hat der Europäische Menschengerichtshof im letzten Jahr noch mal wieder eindeutig bestätigt: Das Folterverbot ist absolut und es geht darum zu sagen, dass natürlich die Bundesregierung eine Verantwortung hat, hier A solche Informationen nicht zu verwenden - weder in der Ermittlung, noch in einem Gerichtsfall -, und B ihre Verantwortung nach diesen Konventionen klar wahrzunehmen, mit Folterverdacht nicht zu verhören und auch da sozusagen der Folter keinen Vorschub zu leisten.

    Meurer: Wie häufig kommt das Ihrer Kenntnis nach vor, dass deutsche Agenten im Ausland Terrorverdächtige verhören, die vorher gefoltert worden sind?

    Beger: Wir haben in diesem Jahresbericht einen Fall beleuchtet, wo das vorgekommen ist, in Usbekistan, wie ich das gerade schon erwähnt habe. Es geht hier nicht darum zu sagen, dass das sehr, sehr häufig vorkommt, oder dass die Zahl sozusagen das Besorgniserregende ist, sondern es geht hier ganz klar ums Prinzip. Das heißt, das Folterverbot kann nicht auch nur einmal ausgehöhlt werden, weil da sozusagen so eine Art Dammbruch passiert. Bei dieser Debatte vor allen Dingen im Zusammenhang mit der Anti-Terror-Bekämpfung sehen wir, dass auf einmal Menschenrechte nicht mehr so wichtig sind, sie werden mit den Füßen getreten, und das ist das Prinzip, was gestoppt werden muss, weil das hat dann sozusagen kein Ende.

    Meurer: Die deutschen Behörden liefern ausländische Terrorverdächtige im Einzelfall auch ins Ausland aus, wenn ihnen diplomatisch zugesichert worden ist, dass die Ausgewiesenen nicht gefoltert werden. Sie haben das angesprochen, die diplomatischen Zusicherungen. Warum genügt Ihnen das nicht?

    Beger: Das kann nicht genügen, weil es dazu natürlich überhaupt keine wirkliche Verpflichtung dazu gibt. Das passiert oft mit Ländern, in denen nachweislich gefoltert wird. Eine diplomatische Zusicherung, da hat die Bundesrepublik ja nachher überhaupt keine Möglichkeit nachzuprüfen, ob das wirklich auch nicht passiert ist, und leistet damit der Folter sozusagen Vorschub.

    Meurer: Die deutsche Botschaft könnte den Gefangenen zum Beispiel besuchen und kontrollieren?

    Beger: Das könnte passieren, aber das ist nicht wirklich möglich in den meisten Fällen und wird auch nicht gemacht. Eine diplomatische Zusicherung ist kein internationales Instrument und diese Aktion höhlt das absolute Folterverbot aus. Das ist das Problem.

    Meurer: Das Problem dann für die deutschen Behörden ist, dass sie kaum Terrorverdächtige an Länder ausliefern können, denn die kommen ja meistens aus Ländern, in denen eben die Menschenrechte verletzt werden.

    Beger: Ja, aber auch hier ist es sehr wichtig, dass alle Menschen ein prinzipielles Recht darauf haben, dass sie einen fairen Prozess bekommen, dass ihnen Dinge nachgewiesen werden. Es gibt hier sehr viele, auch im Sinne der EU sehr viele Menschen, die auf diesen Terrorlisten enden, die da auch nicht hingehören und auch immer wieder und immer wieder Gerichtsfälle gewinnen, auch vor dem Europäischen Gerichtshof, und sie werden trotzdem nicht von den Listen genommen. Da ist einfach sehr wenig Rechtssicherheit vorhanden und es ist uns sehr wichtig, dass diese Prinzipien nicht ausgehöhlt werden, auch nicht in diesem Fall. Die Bundesrepublik muss dann eben selber einen Gerichtsfall anstrengen und entsprechend nachweisen und dann natürlich auch strafrechtlich tätig werden. Das können sie selbstverständlich tun. Diplomatische Zusicherungen sind nicht der Weg, denn oft fehlt der Nachweis.

    Meurer: Welches Gewicht, Herr Beger, hat für Amnesty International, dass US-Präsident Barack Obama der CIA untersagt zu foltern, zum Beispiel das Waterboarding anzuwenden?

    Beger: Wir haben uns zunächst mal natürlich sehr gefreut, dass Barack Obama sehr schnell -innerhalb von 48 Stunden - sehr klare Zeichen gesetzt hat nach seiner Amtsübernahme zum absoluten Folterverbot, dass er die USA zurückbringen will in den internationalen Menschenrechtskontext, den sie ja deutlich verlassen hatten unter der Bush-Regierung, dass er Guantanamo schließen möchte, dass er die Militärtribunale ausgesetzt hat. Leider sorgen wir uns jetzt ein bisschen darüber, dass er jetzt vieles davon wieder zurücknimmt. Einmal geht die Schließung von Guantanamo nicht so zügig voran, wie er das versprochen hat. Das liegt zum Teil an den USA, aber zum Teil auch daran, dass sich Länder wie die Bundesrepublik jetzt in eher peinlichen Debatten verfangen, als wirkliche Aktionen zu zeigen.

    Meurer: Enttäuscht Sie das Verhalten der Bundesregierung?

    Beger: Ja.

    Meurer: Nicolas Beger, Direktor des EU-Büros von Amnesty International. Heute wird der Jahresbericht 2009 veröffentlicht. Herr Beger, danke schön und auf Wiederhören.

    Beger: Vielen Dank, Herr Meurer.