Donnerstag, 25. April 2024

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Menschenrechte und Wirtschaft
"Der Mut hat gefehlt"

Die Bundesregierung hat einen Entwurf für den Nationalen Aktionsplan Menschenrechte und Wirtschaft vorgelegt. Er soll faire Bedingungen in Produktionsstätten deutscher Unternehmen im Ausland sichern. Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte findet den Plan nicht besonders mutig. Er sagte im DLF, Grund sei unter anderem die Frage der Wettbewerbsfähigkeit.

Michael Windfuhr im Gespräch mit Peter Kapern | 22.06.2016
    Ein Kind in der indischen Stadt Kalkutta nach Ende seiner Schicht in einer Stahlfabrik
    Viele deutsche Unternehmen profitieren von Kinderarbeit (picture alliance / dpa / Piyal Adhikary)
    Auch die anderen europäischen Länder hätten sehr schwache Pläne vorgelegt, sagte Winfuhr im Deutschlandfunk. Das sei problematisch, denn "wenn die Europäer sich selber schon wenig vornehmen ist nicht zu erwarten, dass andere Länder etwas verändern", kritisierte der Menschenrechtler weiter.
    Den aktuellen deutschen Plan bezeichnete Windfuhr als "zögerlichen Schritt". Die deutsche Regierung habe nicht "die Traute gehabt", gesetzliche Regelungen durchzusetzen. Letztlich hätten Gesetze immer den Vorteil, dass alle Unternehmen dann gleich behandelt würden. Auf die Frage, ob die Verbraucher selbst nicht etwas verändern könnten, sagte Windfuhr: "Alleine wird der Verbraucher nicht dazu beitragen, dass überall Menschenrechte durchgesetzt werden."

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Sind wir dafür mitverantwortlich, wenn wir Produkte kaufen, die irgendwo am anderen Ende der Welt von Kindersklaven hergestellt werden, oder von Erwachsenen, die unter katastrophalen Bedingungen schuften müssen? Natürlich sind wir das. Aber wenn das T-Shirt doch nun mal richtig billig ist und sich doch auch hierzulande nicht jeder die teure Kleidung mit Gütesiegel kaufen kann! Trotzdem: Die Bundesregierung hat 2014 einen Anlauf unternommen, die UN-Kriterien für eine globale Wirtschaft, die die Menschenrechte beachtet, umzusetzen. Nationaler Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, so heißt das Projekt. Debatten und Anhörungen hat es gegeben und nun gibt es einen Entwurf der Bundesregierung für diesen nationalen Aktionsplan, der uns hier im Deutschlandfunk vorliegt. Kann er die selbst gesteckten Ziele erreichen?
    Bei uns am Telefon ist Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Guten Morgen.
    Michael Windfuhr: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Windfuhr, halten Sie diesen Entwurf für ausreichend? Ist es das, was Sie erwartet haben, als die Arbeit daran vor zwei Jahren begonnen hat?
    Windfuhr: Ich glaube, fast alle Beteiligten hatten gehofft, einen ambitionierten Plan zu bekommen. Aber im Kontext, sagen wir mal, dessen, was in anderen europäischen Ländern in den Monaten davor veröffentlicht wurde als Aktionspläne, gibt es natürlich ein gewisses Vergleichsspektrum. Die sind alle nicht sehr mutig gewesen. Das hat es der Bundesregierung offensichtlich nicht leichter gemacht, selber einen weitergehenden oder mutigeren Schritt zu machen. Die anderen europäischen Länder hatten zum Teil sehr schwache nationale Aktionspläne vorgelegt und ich glaube, da war die Traute, der deutschen Wirtschaft jetzt mehr aufzuerlegen, nicht sehr hoch.
    Kapern: Warum muss man sich da an anderen orientieren, an anderen Ländern in Europa?
    Windfuhr: Es geht natürlich bei internationalen Aktivitäten von Unternehmen auch immer um die Wettbewerbsfähigkeit, um den Kontext, in dem Unternehmen tätig sind. Wenn jetzt in einem Land besonders hohe Auflagen gemacht werden, in anderen nicht, hat man die Sorge, dass es im Grunde zu Abschwächungen führt oder zu Kostennachteilen der Unternehmen kommt. Das ist natürlich im Menschenrechtsbereich besonders problematisch. Es wäre gerade jetzt - und das ist die Idee der UN-Leitprinzipien, auf denen dieser Aktionsplan aufbauen soll - besonders wichtig, dass gerade entscheidende europäische Länder sagen, wir gehen voran, weil ja der Aktionsplan auch ausstrahlen soll auf Unternehmen, die aus Malaysia, Indonesien, aus Mexiko, aus China kommen. Und wenn die Europäer sich selber schon wenig vornehmen ist die Hoffnung, dass sich die anderen Staaten dann besonders viel vornehmen, um ihre Wirtschaft an die Hand zu nehmen, nicht zu erwarten.
    "Lieferketten auf menschenrechtliche Risiken überprüfen"
    Kapern: Das Ziel, es in der Kasse kräftig klingeln zu lassen, steht dem Ziel, die Menschenrechte im Wirtschaftsprozess zu beachten, eindeutig im Weg?
    Windfuhr: Sagen wir mal so: Was auf Unternehmen zukommt, ist ja nicht wenig. Diese Regel, 50 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, wird ja auch in Deutschland mehrere tausend Unternehmen betreffen aus einem Kontext von mehreren hunderttausend Unternehmen, die ja auch alle global tätig sind in Deutschland. Wir haben eine sehr intensiv vermaschte Wirtschaft. Diese Unternehmen begeben sich natürlich jetzt auf eine Aufgabe, wo sie tatsächlich ihre gesamte Lieferkette - das ist das, was die UN-Leitprinzipien auch wollen - auf menschenrechtliche Risiken durchprüfen.
    Kapern: Lassen Sie mich da noch mal nachhaken, Herr Windfuhr. Da heißt es ja zu diesen Unternehmen, deren Zahl Sie gerade genannt haben, sie sollen "Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt in die unternehmerischen Prozesse integrieren." Was will jemand erreichen, der so einen Satz drechselt?
    Windfuhr: In dem nationalen Aktionsplan wird schon beschrieben, was man unter menschenrechtlicher Sorgfalt versteht, und die Elemente, die in dem Text drinstehen, die sollen von Unternehmen überprüft werden. Die sollen wirklich sicherstellen, dass entlang der gesamten Lieferkette sie ihre Risiken identifiziert haben, auch sie adressieren. Das ist etwas, was die UN-Leitprinzipien vorsehen, und damit müssen die Unternehmen - in der Tat sollen ja immerhin die Hälfte aller großen deutschen Unternehmen das bis 2020 machen - substanziell etwas verändern. Die Bundesregierung hat davon gesprochen, sie nennt das "prozedurale Verbindlichkeit", dass man danach dann überprüft, wenn das nicht stattgefunden hat, die Prozentzahl nicht erreicht wird, dann doch noch andere Maßnahmen bis hin zu einem Gesetz - das ist in der Tat eine sehr zögerliche Formulierung - ergriffen werden können.
    "Mut hat für ein Gesetz gefehlt"
    Kapern: Aber diese Beschränkung auf 50 Prozent führt doch dazu und da kann man davon ausgehen, dass das eine Unternehmen auf das andere mit dem Finger zeigt und sagt, na ja, wir machen es nicht, dann sollen es doch die anderen machen.
    Windfuhr: Eine verbindliche gesetzliche Regelung hat immer den Vorteil, dass alle gleich belastet werden und die Vorreiter nicht besondere Kosten tragen. Das ist ja immer die Sorge auch vieler Unternehmen, die sich jetzt sehr viel Mühe geben, dass ihre Wettbewerber das nicht tun, aber sie die Kosten haben. Deswegen spricht vieles dafür, solche Vorgaben auch gesetzlich zu regeln. Der Mut hat aber gefehlt, weil es im Kontext im europäischen Ausland nicht vergleichbar stattgefunden hat. Trotzdem ist es natürlich ein Schritt, wo jetzt mehrere tausend Unternehmen in Deutschland beginnen müssen, das auch substanziell zu prüfen. Das wäre zumindest das Positive, was man aus diesem Aktionsplan ableiten kann. Ich glaube, die Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass sie ihre globale Lieferkette enorm ausgeweitet haben in den letzten 20, 30 Jahren. Man weiß ja oft gar nicht, wie stark inzwischen ein Auto zum Beispiel aus Komponenten zusammengesetzt wird, die aus anderen Teilen der Welt zugeliefert werden. Da sind Rohstoffe drin, da sind Textilien drin, da sind viele andere Produkte drin, wo man als Unternehmen oft gar nicht ganz genau weiß, woher kommen die, wo werden die hergestellt, und es ist diese Komplexität, die Unternehmen immer ein bisschen zurückschrecken lässt davor zu sagen, es ist so einfach, das zu machen. Ich glaube trotzdem, dass es machbar wäre und das gerade die Unternehmen auch belohnt, die ihre Lieferkette wirklich öffentlich und transparent darstellen wollen. Es gibt auch Unternehmen, die das ja auch weitgehend machen inzwischen. Und dieser Schritt, das sich wirklich zu trauen und auch das einzufordern von Unternehmen, da sind wir an dieser Stelle, und da ist dieser Entwurf ein zögerlicher, der zumindest einiges verlangt, aber der endgültige Mut oder der endgültige Wille, das weiterzumachen, hat erst mal noch gefehlt.
    Kapern: Vermissen Sie eine Sanktionsbewährung der Aufforderung an einen Großteil der deutschen Unternehmen, diese Ziele umzusetzen? Was würden Sanktionen noch zusätzlich bewirken können, wenn sie denn in dieser Regelung drin stünden?
    Windfuhr: Na ja, die Sanktionen werden kommen. Wenn Unternehmen offenlegen müssen, berichten müssen darüber, wie sie diese menschenrechtliche Sorgfaltspflicht umsetzen, dann werden die Unternehmensinformationen ja auch im öffentlichen Raum zugänglich sein. Der Finanzmarkt wird darauf reagieren, sowohl wenn Unternehmen große Risiken berichten als auch, wenn sie sagen, wir haben keine und dann werden hinterher doch welche gefunden. Die Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht schon darin, das ordentlich darzustellen. Das wäre die Hoffnung, dass man über einen Prozess, der jetzt angestoßen wird in den nächsten drei, vier Jahren, doch sehr viel weiterkommt, als man das vorher war. Wir dürfen nicht vergessen, dass in der Debatte über Unternehmen und Menschenrechte vor drei, vier Jahren, bevor diese UN-Leitprinzipien angenommen wurden, man noch gar nicht so weit war, überhaupt über diese Verantwortlichkeit, die eigene Verantwortlichkeit von Unternehmen so offen zu sprechen. Wir haben schon Enormes erreicht an der Stelle. Allerdings die Traute, das jetzt mit einer einheitlichen gesetzlichen Regelung zu machen, hat die Bundesregierung nicht gefunden.
    "Regierungen vor Ort müssen für Schutz sorgen"
    Kapern: Ist es eigentlich richtig, ausschließlich mit dem Finger auf die Unternehmen zu zeigen und zu sagen, ihr müsst etwas machen? Müsste man nicht genauso die Verbraucher in die Pflicht nehmen?
    Windfuhr: Zunächst müsste man mal die Staaten in die Verantwortung nehmen. Die UN-Leitprinzipien beginnen, damit zu sagen, für den Schutz, den Brandschutz in Pakistan, für die Gebäudestabilität in Bangladesch sind natürlich Bangladesch und Pakistan zu allererst verantwortlich. Und das muss man als Menschenrechtler auch nur unterstützen, weil von außen wird man diese Arten von Arbeitnehmerschutz, von Kontrolle von Institutionen, von Anlagen nie komplett hinkriegen, hinbekommen. Die Regierungen selber vor Ort müssen das machen. Das Zweite ist natürlich, dass die Unternehmen - und das ist das Neue an den UN-Leitprinzipien - ganz dezidiert auch eine eigene Verantwortung dafür haben, ihre Lieferkette wirklich durchzuprüfen, gerade wenn sie meinetwegen wie in dem Fall des brennenden Unternehmens doch zu großen Teilen bei einem Unternehmen die gesamte Produktion aufkaufen. Der Verbraucher hat das Problem, dass er bislang das nicht immer sicherstellen kann. Sie können, auch wenn Sie viel Geld ausgeben für Textilien, nicht sicherstellen, ob die unter besseren Bedingungen hergestellt wurden, als wenn Sie ein preisgünstigeres Stück kaufen. Dazu gibt es keine ausreichenden Siegel und ich bin mir auch nicht sicher, ob wir das mit Siegeln überall hinbekommen, weil wir als Verbraucher ja jetzt schon mit sehr vielen dieser Kennzeichen konfrontiert sind und das ganz schön schwer ist. Trotzdem hat der Verbraucher eine Möglichkeit, sich zu informieren. Es gibt auch fair gehandelte Produkte in vielen Bereichen. Aber alleine wird der Verbraucher sicherlich nicht dazu beitragen, dass überall Menschenrechte durchgesetzt werden.
    Kapern: … sagt Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Windfuhr, vielen Dank für das Gespräch! Danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag!
    Windfuhr: Ja danke schön! Ebenfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.