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Menschenrechtspreis für Nadeem-Zentrum
Ein Zeichen gegen Folter in Ägypten

Im ägyptischen Nadeem-Zentrum werden Folteropfer von Ärzten und Fachkräften medizinisch und psychotherapeutisch betreut. Ein Teil des Zentrums wurde im letzten Jahr von den Behörden geschlossen. Die Verantwortlichen machen trotzdem weiter - und werden jetzt mit dem Amnesty-Menschenrechtspreis ausgezeichnet.

Von Jürgen Stryjak | 16.04.2018
    Regierungsgegner protestieren 2015 in Kairo
    Regierungsgegner protestieren 2015 in Kairo. In den vergangenen Jahr sollen in Ägypten Hunderte oder gar Tausende Menschen gefoltert worden sein. (dpa/ picture alliance/ Khaled Elfiqi)
    "Niemals zuvor waren Folter und staatliche Gewalt in Ägypten so brutal und gnadenlos wie seit 2013. Was wir seitdem gesehen haben, ist jenseits aller Vorstellungskraft. Es ist Gewalt der Gewalt wegen und Brutalität um der Brutalität willen."
    Aida Seif al-Dawla hat zusammen mit zwei weiteren Frauen 1993 in Kairo das Nadeem-Zentrum für die Rehabilitierung von Gewaltopfern gegründet. 2013 übernahm das Regime des jetzigen Präsidenten Abdel-Fattah al-Sisi die Macht im Land. Es herrscht noch repressiver als das seiner Vorgänger – auch auf Polizeistationen und in Gefängnissen.
    "Wer zu uns kommt, möchte vor allem seine Geschichte erzählen"
    "Mit Schlägen und Tritten fängt es an. Das ist inzwischen derart üblich, dass niemand mehr darüber spricht. Dann kommen Elektroschocks, Gefangene erhalten Stromstöße in die Zunge, die Zehen oder die Geschlechtsteile. Andere werden vergewaltigt."
    Die Repressalien von Sicherheitskräften würden sich gegen mutmaßliche Terroristen oder Muslimbrüder richten, betroffen seien aber auch andere Regimekritiker, Aktivisten und Andersdenkende.
    "Politischen Häftlingen werden tagelang die Augen verbunden, bis sie nicht mehr wissen, ob es Tag oder Nacht ist. Sie dürfen ihre eigenen Namen nicht verwenden, sie verlieren ihre Namen und werden zu Nummern. Dieser Verlust der Identität verursacht oft ein lang andauerndes Trauma."
    Im Nadeem-Zentrum betreuen Ärzte Folteropfer und ihre Angehörigen, unter anderem psychotherapeutisch.
    "Wer zu uns kommt, möchte vor allem seine Geschichte erzählen, und zwar einem Außenstehenden. Ihm kann er alles erzählen, ohne sich zu schämen, an einem Ort, an dem er – anders als in der Familie – seine Wut und seine Angstzustände rauslassen kann."
    Niemand weiß, ob es Hunderte waren, die in den vergangenen Jahren gefoltert wurden, oder gar Tausende. Menschenrechtler veröffentlichen Zahlen, bei denen es sich entweder nur um die dokumentierten Fälle handelt oder um Schätzungen. Die Regierung reagiert empfindlich auf die Folterwürfe.
    Regierung weist Kritik zurück
    Das seien alles Einzelfälle, erklärte jüngst Omar Marwan, der Minister für Parlamentsangelegenheiten. Gewalt sei keinesfalls Teil der Politik, in Ägypten werde nicht systematisch gefoltert.
    Aida Seif al Dawla, die 63-jährige frühere Universitätsprofessorin für Psychiatrie, widerspricht: "Wenn ich von Opfern, die einander nicht kennen und die aus verschiedenen Landesteilen stammen, immer wieder dieselben Foltermethoden höre, dann weiß ich, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt."
    Der Talaga, auf Deutsch Kühlschrank, ist jener Raum in den Polizeistationen, in dem sich die Folterwerkzeuge befinden, zum Beispiel die Elektroschock-Geräte. "Die Ausrüstung, die zum Foltern verwendet wird, haben sich die Offiziere doch nicht von ihrem Taschengeld gekauft. Sie wurde aus dem Staatshaushalt bezahlt. Die so genannten 'Kühlschränke' in den Polizeistationen wurden mit unseren Steuergeldern ausgerüstet."
    Wenn die Regierung, wie sie behauptet, Folter wirklich bekämpfen will, dann müsste sie die Arbeit des Nadeem-Zentrums eigentlich begrüßen – denn es dokumentiert auch Foltervorwürfe. Aber das Gegenteil ist der Fall. Im Februar 2017 wurde die Klinik des Zentrums von den Behörden geschlossen, angeblich weil es dem Zentrum gemäß seiner Lizenz nicht erlaubt sei, Folterberichte zu veröffentlichen. Gegen Aida Seif al-Dawla und ihre Kollegin Suzan Fayad wurden Ausreiseverbote verhängt. Sie dürfen Ägypten nicht verlassen. Das Nadeem-Zentrum arbeitet trotzdem weiter, obwohl es zunehmend improvisieren muss und obwohl die jüngsten Maßnahmen Betroffene abschrecken.
    "Viele Opfer kommen gar nicht mehr zu uns, weil sie Angst haben. Die Polizei hat sie davor gewarnt, zu Menschenrechtsorganisationen zu gehen. Andere sehen keinen Sinn mehr darin. Sie fragen sich: Was können Therapeuten schon tun, um den Horror ungeschehen zu machen?"