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Mental States

Die Angst vor der Leere scheint George Condo schon sein ganzes Leben lang umgetrieben zu haben. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls die über achtzig Werke umfassende Retrospektive, die das New Museum dem 1957 in New Hampshire geborenen Künstler widmet.

Von Sacha Verna | 06.02.2011
    Es sind dies achtzig Werke aus einer dreißig Jahre und über 2500 Werke umfassenden Karriere, von denen fünfzig in salonartiger Hängung gleich zu Beginn der Ausstellung eine einzige Wand pflastern. Auch die Leinwände ihrerseits sind gesättigt mit Farben und Figuren, so dass kein Platz fürs Nichts bleibt. Fiktive Porträts bilden das Markenzeichen dieses Künstlers, Virtuosität und kuriose Krudheit seinen Stil. Dazu die Kuratorin Laura Hoptman:

    "Es ist wichtig zu wissen, dass George zwar zu einem bestimmten Milieu gehörte, als er anfangs der 1980er Jahre im East Village seine ersten Ausstellungen hatte. Besonders mit seinen Freunden Jean-Michel Basquiat und Keith Haring verband ihn viel. Aber auch mit Julian Schnabel und Francesco Clemente und diesen anderen Neuen Wilden, den Neo-Expressionisten. Doch, und das ist wichtig: In seiner ersten Ausstellung zeigte George, was er den Renaissance-Stil nannte, diesen tiefen und romantischen Realismus, der den Glanz und die Farbigkeit der Renaissance nutzte. Das war anders als alles andere. Und er sorgte damit für mächtige Aufregung in der Kunstwelt."

    George Condos großes Thema sei die menschliche Psychologie, so Laura Hoptman, seine eigene und die der Menschen überhaupt:

    "Diese Ausstellung erlaubt dem Besucher eine Tour durch Georges Hirn, von den quasi-religiösen Werken über die Pin-ups bis zur Madonna und Jesus Christus. Sie können also Georges Innenleben in einem autobiografischen Sinn verfolgen. Aber natürlich spielt "mental states” im Titel dieser Ausstellung auch auf den Geisteszustand der Menschheit im allgemeinen an, auf den Zustand in uns allen. Wenn Sie eine Figur anschauen, die aus dem All gefallen zu sein scheint, mit ihren hervorstehenden Augen und den abstehenden Haaren, dann empfinden Sie die Menschlichkeit in dieser Figur. Sie können Georges Figuren bemitleiden und über andere lachen. Sie können sich in den Geschäftsmann einfühlen, der aussieht, als sei ihm gerade ein Deal durch die Latten gegangen. Ebenso in die stolze Dame eines gewissen Alters in Netzstrümpfen, die weiß, dass sie noch sexy ist."

    Auf die sexy Lady in den Netzstrümpfen folgen in einem Raum zum Thema "Pathos” "Die Sekretärin”, grau und mit Monsterbacken, und in der Abteilung "Manisch” ein schreiender Priester sowie mehrere kopulierende Paare, die ihre Münder ebenfalls alle zum Ausdruck ihres Innern aufgerissen haben.

    Schade nur, dass George Condos Werk keinen Hauch von Originalität verrät. Statt einen wahren Charakter offenbart es seinen Warencharakter. Die vermeintliche psychologisch Tiefe hört schon bei der glänzenden Renaissance-Oberfläche dieser Bilder auf. Was bleibt ist eine Mischung aus John Currin und Robert Crumb, aus Referenz-Hysterie, Handwerk und sozio-pathetischem Comic. Da der museale Ritterschlag heute jeden treffen kann, lohnt es sich freilich nicht einmal, sich ordentlich darüber aufzuregen.

    George Condo: Mental States. New Museum, New York, bis 8. Mai. Zur Ausstellung ist unter demselben Titel ein Katalog erschienen. Er kostet 50 US-Dollar.