Dienstag, 19. März 2024

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Mentoring im klassischen Musikbetrieb
Mehr als nur einen Trainer

Die Sopranisten Anna Gabler, der Pianist Jan Jiracek von Arnim oder das Kuss Quartett: Sie alle vertrauen auf Coaching und Weiterbildung - wenn auch ganz unterschiedlich. Für alle ist klar, dass es eine Notwendigkeit gibt, sich immer wieder musikalische Impulse zu holen.

Von Franziska Stürz | 26.07.2021
Anna Gabler bei den Salzburger Festspielen 2013
"Ich war eigentlich über die Jahre immer regelmäßig unter Supervision", sagt die Sopranistin Anna Gabler. (picture alliance / Barbara Gindl )
Jan Jiracek von Arnim: "Schumann hat mal gesagt, ein rechter Meister erzieht keine Schüler, sondern eben wiederum Meister – Erfolg bedingt lebenslanges Lernen"
Anna Gabler: "Ich hab definitiv das Gefühl, dass ich nicht auslerne, und ich hoffe, das wird auch bleiben, bis ich auch nicht mehr lebe!"
Oliver Wille: "Mit Kollegen, mit Komponisten und alten Mentoren zu arbeiten, ist doch etwas, was man hin und wieder macht, um frisch und auf der Suche zu bleiben."
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Von der Notwendigkeit, niemals auszulernen

Sehr individuell beantworten meine drei Gesprächspartner die Frage nach dem Umgang mit Weiterbildung und Coaching für sich selbst nach vielen erfolgreichen Jahren im Konzert- und Opernbetrieb. Oliver Wille, Geiger im Kuss Quartett und der Pianist Jan Jiracek von Arnim haben neben der Konzerttätigkeit auch jeweils Professuren und unterrichten als Erfahrene die jungen Meister ihres Fachs. Die jugendlich-dramatische Sopranistin Anna Gabler schätzt sich glücklich, auf ihrem Karriereweg den richtigen Mentoren und Lehrerinnen begegnet zu sein. Alle drei bestätigen aber die Notwendigkeit, niemals auszulernen, sich immer wieder musikalische Impulse zu holen, oder die Erfahrungen anderer kreativ zu nutzen. Beim Pianisten Jan Jiracek von Arnim können das sehr unterschiedliche Quellen sein:
"Ich glaube, alle erfolgreichen Musikerinnen und Musiker haben grundsätzlich mal einen ganz kleinen Kreis von Vertrauten. Ob es jetzt Familie ist, enge Freunde, oder eben ein gewählter Coach, auf deren Rat man hört, und auf deren ehrliche Meinung man viel gibt. Aber wichtig ist sicherlich auch, sich selbst ein kritischer Zuhörer zu bleiben. Ich persönlich schätze auch sehr die Inspiration durch Konzerte, die ich dann besuche, oder auch Inspiration durch YouTube! Was man da so heute finden kann, das finde ich sensationell! Gerade neulich habe ich wieder eine Probenaufnahme von Carlos Kleiber entdeckt. Das finde ich unendlich inspirierend. Ich bin auch ein riesiger Fan der Podcasts des öffentlichen Rundfunks. Da habe ich zum Beispiel neulich Einführungen in Bach-Kantaten gefunden, die ich jetzt der Reihe nach höre."

Quellenstudium, Sekundärliteratur und Einblicke in die Arbeit anderer

Der Wiener Klavierprofessor Jan Jiracek von Arnim setzt also im Hinblick auf Weiterbildung für sich persönlich und auch für seine Studierenden auf Quellenstudium, Sekundärliteratur und Einblicke in die Arbeit anderer, gar nicht mal nur Pianisten: "Bei uns am Klavier ist es ja so, dass wir uns sehr auch leiten lassen von der menschlichen Stimme. Der Gesang ist das Ideal, die Stimmführung, die Atemführung. Frédéric Chopin hat mal gesagt: wer ein guter Pianist sein will, muss singen können, und das ist eines von vielen Beispielen, wo es einfach darum geht, immer wieder neu den Horizont zu erweitern."
Dann schauen wir uns doch mal die Welt des Gesangs an: Atemführung, Klangbildung, Kondition für große, kraftzehrende Partien, Schonung und Entwicklung des körpereigenen Instruments. Das sind wesentliche Aspekte der sängerischen Weiterbildung, und die dauert idealerweise ein Sängerleben lang, weil sich das Instrument Stimme im Laufe des Lebens mit dem Körper verändert. Die Sopranistin Anna Gabler war diese Spielzeit in Paris als 3. Norn in Wagners Ring zu hören, in St. Gallen hat sie die Esmeralda in Franz Schmidt´s selten gespielter Oper "Notre Dame" verkörpert. Sie gesteht, dass sie auch auf andere Ohren als die eigenen angewiesen ist.

"Jeder Leistungssportler hat einen Trainer und zwar nicht nur einen"

"Ich war eigentlich über die Jahre immer regelmäßig unter Supervision, weil ich zu einem Stimmfach gehöre, was sich entwickeln muss. Das sind Rollen, die man nicht singt, wenn man Anfang-Mitte 20 ist. Im Gegensatz zu allen anderen Musikern sind wir unser Instrument, und das Ohr von außen bei einem Sängerinstrument ist -finde ich- essenziell wichtig. Es muss nicht unbedingt ein Gesangslehrer sein, es können auch sehr erfahrene Pianisten sein mit guten Ohren. Ein Lehrer kann ja sehr kritisch sein, und das ist dann auch manchmal überhaupt nicht angenehm, aber wenn einfach die Beziehung stimmt, dann ist es auch wichtig dass diese starke Kritik stattfindet. Lehrer, die immer nur sagen: es ist alles wunderbar Schätzchen, die gibt’s ja auch, da kommt man nicht weit."
Anna Gabler vertraut ihrer momentanen Lehrerin Kirsten Schötteldreier, die einige Profis betreut und zu ihren Aufführungen reist, um sie zu hören, und Anna Gabler findet es auch in keiner Weise ehrenrührig, dass man über Coaching bei Profimusikerinnen und –Musikern spricht. Schließlich sind im Fußball ja auch die Trainer die Stars.
"Jeder Leistungssportler hat einen Trainer und zwar nicht nur einen, also da ist ein ganzes Team von Trainern dran und so ist es im Grunde bei uns auch."
Die Ensemblemitglieder stehen auf einer Brücke. Der Cellist hält seinen weißen Cellokasten und einen Strauß von Luftballons, auf denen Komponistenporträts zu sehen sind, ein Geiger spielt, eine Frau liest in einem Notenbuch und ein weiterer scheint schnell zu laufen mit einem Rollkoffer in der Hand.
Das Kuss Quartett (Kuss Quartett / Rüdiger Schestag)

Wichtig: keine Abhängigkeit vom Mentor entwickeln

Als eingeschworene Mannschaft kann man auch ein Streichquartett bezeichnen, das seit gut zwanzig Jahren zusammen musiziert. Der Geiger Oliver Wille setzt sowohl für neue Projekte mit seinem Kuss- Quartett, als auch für die Arbeit mit seinen Studierenden auf die Zusammenarbeit mit dem altbewährten Trainer – dem auch als Streichquartett-Guru bezeichneten Eberhard Feltz. Nach wie vor ein Lehrer-Schüler Verhältnis, aber mittlerweile mit kollegialen Elementen. Es fühlt sich also anders an als früher, so Oliver Wille.
"Da knüpft man natürlich an an das, was vor 20 Jahren besprochen wurde und Thema war, aber die Sichtweisen haben sich auf beiden Seiten geändert. Diese Dinge wieder anzupacken, neu zu klären und anhand von neuen Werken sich den alten Aufgaben zu stellen, ist eigentlich eine wunderbar vertraute Beziehung, die jetzt aber mehr auf Augenhöhe natürlich stattfindet als früher in der klassischen Lehrer-Schüler Beziehung.
Alle drei Gesprächspartner haben aber betont, dass es wichtig ist, als arrivierte Künstlerpersönlichkeit auch selbständig zu arbeiten, keine Abhängigkeit vom Mentor zu entwickeln. Die Musik, die Kunst sind die größten Lehrmeister, denen es zuzuhören gilt, meint auch Oliver Wille: "Wenn wir über Musik sprechen, über komplizierte Partituren, hat man ja häufig ganz viele Fragen, und da fühlt man sich ja auch selbst ohne Lehrer in einer Schüler Rolle. Es gibt viele Dinge, wo ich denke das verstehe ich nicht, da muss ich selbst ein Weg finden und bin dann mein eigener Lehrer."