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Merkel hat der CDU "das Inhaltsrückgrat herausoperiert"

Die Kanzlerin betreibe nur Machtpolitik und habe der CDU die Standfestigkeit genommen, sagt Martin Lohmann. Der Mitbegründer des CDU-Arbeitskreises engagierter Katholiken ist gestern aus der Partei ausgetreten, weil er das katholische Profil vermisse. Zudem müsse die Partei ihre Diskussionskultur wieder entdecken, sagt er.

Martin Lohmann im Gespräch mit Peter Kapern | 20.09.2013
    Peter Kapern: Goldene Regel Nummer eins im Wahlkampf: Die Partei muss geschlossen sein. Und diese Regel hat die CDU eingehalten, jedenfalls bis gestern. Da machte am späten Nachmittag die Meldung die Runde, dass Martin Lohmann nach über 40 Jahren Mitgliedschaft aus der CDU ausgetreten ist. Ohne ihm zu nahe treten zu wollen: Der Austritt wird die Partei vielleicht nicht so sehr erschüttern, wie das vielleicht der Fall gewesen wäre, wenn ein Fraktionsvorsitzender oder ein Minister der CDU den Rücken gekehrt und den Bettel hingeworfen hätte. Aber immerhin: Martin Lohmann ist der Gründer des Arbeitskreises engagierter Katholiken in der CDU, also eines Arbeitskreises, der sich um Themen kümmert, die gemeinhin zum programmatischen Kernbestand der Union gerechnet werden. Die Gruppe hatte sich 2009 zusammengefunden, um die Interessen der Katholiken in der CDU stärker zur Geltung zu bringen. – Guten Morgen, Herr Lohmann.

    Martin Lohmann: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Lohmann, warum haben Sie Ihren Austritt erklärt?

    Lohmann: Na ja, weil es redlich und konsequent und eigentlich anständig ist, wenn man ernsthaft in den Wochen und vor allem in den Tagen vor der Bundestagswahl als verantwortlicher Staatsbürger merkt, dass man eigentlich das Kreuz nicht wirklich bei der CDU machen kann. Und wenn man dann noch Mitglied bei der CDU ist und sich überlegt, dass man ernsthaft woanders das Kreuz macht, eine andere Partei eventuell wählt oder nicht wählt, oder die Wahl ungültig macht, was auch immer, dann ist es eigentlich nur redlich und anständig zu sagen, wenn ich diese Schwierigkeiten habe, meiner Partei die Stimme zu geben, dann gehöre ich eigentlich auch nicht in diese Partei hinein, und dann muss man aus Gründen des Anstands, der Redlichkeit vor seinem Gewissen die Frage stellen, trete ich da aus oder nicht, und das habe ich gestern getan.

    Kapern: Warum können Sie der CDU als CDU-Mitglied nicht mehr die Stimme geben?

    Lohmann: Ich bin 1972 aus Begeisterung als junger Mensch, als Schüler in die CDU eingetreten, weil ich fest davon überzeugt war und bin und bleibe, dass es eine Politik aus christlicher Verantwortung geben muss, eine Politik, bei der man erkennen kann, dass katholische und evangelische Christen sich einbringen mit ihren Überzeugungen, ihren wesentlichen Überzeugungen. Und ich habe in den letzten zwei Legislaturperioden den Eindruck gewonnen, dass es letztlich vor allen Dingen nur um Machtpolitik der CDU geht, was kein schlechtes Ansinnen ist, was aber zu Kosten oder zulasten der Inhalte der Partei geführt hat. Zum Beispiel in Fragen der Familienpolitik, der Unterstützung von Familien, oder auch des Lebensschutzes, wo ich besonders engagiert bin.

    Wissen Sie, die Vorsitzende der CDU ist eine brillante Machtpolitikerin, eine exzellente Machtpolitikerin, aber sie hat die Partei gewissermaßen sanft halbnarkotisiert und ihr das Inhaltsrückgrat herausoperiert. Das macht zwar unheimlich flexibel und elastisch, aber es verbietet die Standfestigkeit. Und ich habe einfach den Eindruck, dass meine Überzeugungen, die von vielen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland geteilt werden, dass diese Überzeugungen mich in dieser Partei verlassen haben. Die Partei hat mich verlassen, nicht ich sie. So müsste man es eigentlich formulieren.

    Kapern: Und dafür machen Sie Angela Merkel verantwortlich?

    Lohmann: Nicht alleine, aber sie ist diejenige, die natürlich diese Partei schon in gewisser Weise der Entgeisterung preisgegeben hat und die dazu geführt hat, dass wir eine CDU haben, von der man nicht mehr sagen kann, warum sie den Buchstaben C noch trägt. Wissen Sie, ich wohne in Nordrhein-Westfalen. Ich bedauere es sehr, dass ich nicht die CSU wählen kann in Nordrhein-Westfalen.

    Bei der CSU kann man noch merken, dass es dort Politiker gibt, die sich auch trauen, in der Öffentlichkeit und in der Partei entsprechend christliche Positionen der Belastbarkeit, der Freiheit und der Verantwortung zu markieren. Das ist in der CDU nicht mehr der Fall. Da gab es zwar Lippenbekenntnisse, man möge sich doch einbringen und die konservativen, die wertkonservativen, die aufgeschlossen konservativen Persönlichkeiten seien sehr willkommen, aber das waren Lippenbekenntnisse. Und wenn Sie sich vielleicht daran erinnern:

    Vor drei oder vier Jahren gab es eine Klausurtagung der CDU und dann hat man innerhalb der Partei und auch aus der Partei heraus signalisiert, na ja, das Stammklientel, die Kernwählerschaft, die müssen wir nicht so unbedingt ernst nehmen, die wählen uns ohnehin, da müssen wir auch gar nichts machen, das ist verschwindend wichtig. Das wurde alles damals gesagt. Ich bin ja der Ansicht, dass eine Partei breit aufgestellt sein muss, aber wenn das erkennbar katholische Profil, was zu einer ökumenischen Partei dazu gehört, wenn das nicht gewollt ist und wenn dieses nicht zur Breite einer demokratischen Volkspartei zählen soll, dann muss ich sagen, dann habe ich ein Problem mit dieser Partei.

    Glauben Sie mir: Mir ist der Austritt aus einer Partei, die ich seit vier Jahrzehnten unterstützt habe, nicht leicht gefallen, wahrlich nicht leicht gefallen, aber ich halte es für konsequent und ehrlich, das zu tun, wenn man feststellt, dass es nur einen diffusen und unberechenbaren Pragmatismus gibt und keinen ethischen Kompass mehr in dieser Partei. Das bedauere ich.

    Ich setze sehr auf junge Leute. Die Junge Union macht mir häufig Mut, da wachsen ganz andere Politikerprofile nach, die auch noch nach christlichen Inhalten fragen, und ich glaube, dass sich diese Partei in einigen Jahren auch entwickeln kann. Aber wissen Sie, wenn eine Partei – und Sie haben nach Angela Merkel gefragt -, wenn eine Partei nur noch gewissermaßen eine, ja wie soll man es sagen, inhaltsresistente Ich-AG an der Spitze hat, dann ist das zwar auf der einen Seite die Volksgarantin, aber auf der anderen Seite ist sie auch die Sterbegarantin für die Partei. Denn wenn diese einzige Aktie irgendwann mal wegfällt – und das wird irgendwann der Fall sein -, dann wird diese Partei ins Nichts fallen, in sich zusammenfallen, weil sie ohne diese Aktie nicht stehen kann, und das ist mir zu wenig.

    Es braucht Inhalte, die erkennbar sind, die transportierbar sind, die mit Köpfen verbunden werden können, und das fehlt mir. Es tut mir leid, aber ich glaube, dass es wirklich eine ganz konsequente und klare Entscheidung ist, dann auch dieses Kapitel zu beenden. Noch mal: Es ist mir nicht leicht gefallen. Ich habe das vor vier Jahren in einem Buch …

    Kapern: Herr Lohmann, gestatten Sie mir doch vielleicht noch eine Frage. Da ist mir etwas in Ihrer Austrittserklärung aufgefallen. Da findet sich der Satz: "Eine angstfreie Diskussionskultur in der Partei werde regelrecht unterdrückt." Was genau meinen Sie damit, was ist das Erlebnis, das auf Ihrer Seite dahinter steckt?

    Lohmann: Ich habe an dieser Stelle im Deutschlandfunk schon vor vier Jahren oder dreieinhalb Jahren gefordert, dass wir in dieser Partei hoffentlich wieder eine gute Streitkultur bekommen und dass wir wirklich miteinander um die besten Wege ringen können. Ich habe nicht den Eindruck, dass das gewollt ist von der Parteispitze. Man hat uns auch immer wieder als Arbeitskreis engagierter Katholiken den Eindruck vermittelt, na ja, es ist nett, was ihr da für ein kleines Gärtchen habt, aber wir brauchen das eigentlich nicht.

    Wenn Sie sich angucken: Es gibt einen Evangelischen Arbeitskreis, der von den Parteimitgliedern finanziert wird. Das finde ich gut, dass es den gibt, damit es da gar keine falschen Diskussionen gibt. Ich finde gut, dass es diesen Evangelischen Arbeitskreis gibt. Der ist gegründet worden, als die Partei gewissermaßen katholisch-lastig war im Rheinland. Inzwischen ist sie überhaupt nicht katholisch-lastig. Trotzdem: Die Mehrheit der Mitglieder der Partei sind immer noch katholisch. Aber es gibt nicht ein Äquivalent, einen genauso anerkannten Katholischen Arbeitskreis. Das wäre erst Ökumene.

    Und die Diskussion, die wir brauchen – wissen Sie, die CDU hat unter Heiner Geißler die besten Wahlergebnisse eingefahren und war sehr lebendig, weil dort diskutiert wurde. Diese Diskussionen sind nicht gewollt gewesen. Das haben wir immer wieder gespürt, das habe ich persönlich gespürt, und dann finde ich es schade. Ich bin sehr für eine Streit- und Diskussionskultur, gerade in einer politischen Partei. Die muss in der CDU komplett neu wiederentdeckt werden.

    Kapern: Martin Lohmann, der Mitbegründer des Arbeitskreises engagierter Katholiken in der CDU, der gestern nach über 40 Jahren seinen Austritt aus der Partei erklärt hat. Herr Lohmann, danke für das Gespräch, schönen Tag noch und auf Wiederhören!

    Lohmann: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.