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"Merkel hat die Familien jahrelang allein gelassen"

Der Familiengipfel in Berlin sei eine reine Show-Veranstaltung. Das sagt Manuela Schwesig, SPD-Vize-Chefin und Arbeits- und Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Sollte die SPD die Bundestagswahl gewinnen, werde jeder Euro in die Ganztagsbetreuung von Kindern gesteckt.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.03.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Wenn die Bundesregierung zu einem Gipfeltreffen einlädt, dann soll das Signal lauten: das Thema ist Chefsache. Das ist beim IT-Gipfel so, beim Energiegipfel sowieso, auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat man sich auf die Fahnen geschrieben. Heute nämlich findet in Berlin ein Treffen zum Thema statt, auf Einladung von Familienministerin Kristina Schröder, mit dabei die Spitzen der deutschen Wirtschaft und der Gewerkschaften.

    Telefonisch sind wir jetzt verbunden mit Manuela Schwesig, sie ist stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Ministerin für Arbeit und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern. Schönen guten Morgen, Frau Schwesig.

    Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Frau Schwesig, das Gipfeltreffen mit der Kanzlerin, ich ahne schon, wie Sie das beurteilen: als reine Show-Veranstaltung. Habe ich Recht?

    Schwesig: Ja, da haben Sie Recht, denn jahrelang hat die Kanzlerin die Familien allein gelassen und nichts getan, um ihre Situation zu verbessern. Im Gegenteil: es wurde ja zum Beispiel gekürzt beim Elterngeld. Und jetzt, ein paar Monate vor der Wahl, hält Frau Merkel plötzlich Grundsatzreden über Dinge, um die sie sich in den letzten Jahren nicht geschert hat. Das ist unglaubwürdig. Sie kann ja diese Vorbehalte aufklären, indem sie konkrete Ergebnisse heute bringt. Die erwarte ich aber nicht.

    Heckmann: Ich wollte gerade sagen: Das Recht der Opposition zu kritisieren, in allen Ehren. Aber sollte man nicht erst mal abwarten, was dabei herauskommt?

    Schwesig: Ja wissen Sie, wir warten seit drei Jahren ab und es ist ein bisschen seltsam, dass ausgerechnet die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie im Zentrum stehen soll. Die stand ja im Zentrum der Debatten der letzten Monate, zum Beispiel um das Betreuungsgeld, und da haben ja gerade Unternehmen, Gewerkschaften, Fachverbände gesagt, macht das Betreuungsgeld nicht, sondern investiert die zwei Milliarden Euro in mehr Ganztags-Kitas. Wir brauchen hier die Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Das hat doch die Bundesregierung total ignoriert. Und sie können dann schlecht Forderungen stellen, wenn sie auf der anderen Seite die Lebensrealität von Familien auch ignorieren.

    Heckmann: Im Jahr 2011, da wurde auf Betreiben der schwarz-gelben Bundesregierung eine Charta für familienbewusste Arbeitszeiten unterschrieben, auch von Seiten der Arbeitgeber und auch der Arbeitnehmervertreter. Ist das nicht möglicherweise mehr, als was die SPD in sieben Jahren Regierungsverantwortung zu Stande gebracht hat?

    Schwesig: Es geht um die Zukunft von Familien, und die SPD hat ein ganz klares Programm vorgelegt. Wir wollen zum Beispiel bis 2020 – und das wären auch noch sechs Jahre – schrittweise Ganztags-Kitas und Ganztagsschulen ausbauen …

    Heckmann: Ich fragte jetzt, Frau Schwesig, nach den Maßnahmen, die Sie in Ihrer Regierungszeit getroffen haben.

    Schwesig: Ja gut, wir können gerne noch mal zurückschauen. Die SPD hat durchgesetzt, in einer rot-grünen Regierung, dann später in einer Großen Koalition, dass es einmal vier Milliarden Euro gibt für den Ausbau von Ganztagsschulen. In der Großen Koalition war es das Programm vier Milliarden für den Ausbau von Kitas. Da sehen Sie: Immer wenn SPD mitregiert hat, dann ist wirklich in dem Angebot vor Ort für die Familien tatsächlich etwas rausgekommen.

    Wissen Sie, es reicht der alleinerziehenden Mutter, die arbeiten gehen will, ob sie als Verkäuferin gefragt ist, oder auch als Ärztin an der Klinik, nicht aus, dass es heute "Bitte, Bitte!" von Frau Merkel an Unternehmen gibt, sondern es muss doch klare Angebote geben, und hier ist auch der Staat in der Pflicht, gemeinsam mit den Unternehmen, und dazu gehören zum Beispiel gute Ganztags-Kitas, Ganztagsschulen. Das hat die SPD in ihrer Regierung immer getan und das wollen wir weiter tun in 2013.

    Wir brauchen alleine noch 20 Milliarden Euro, das ist eine Riesensumme, um diesen flächendeckenden Ausbau zu schaffen, und da ist unsere Priorität. Da wollen wir jeden Euro reinstecken. Das ist Punkt eins und Punkt zwei: Natürlich brauchen wir eine familienfreundliche Arbeitswelt. Das Gegenteil ist zurzeit der Fall. Die Familien geraten immer stärker unter Druck, von den Familien wird die Flexibilität gefordert, und deswegen ist es auch wichtig, hier mit den Unternehmen ins Gespräch zu kommen. Aber man kann auch als Politik …

    Heckmann: Das ist doch das, was die Bundesregierung macht.

    Schwesig: Na ja, das reicht eben nicht, denn wir müssen als Politik auch handeln. Und hier gibt es zum Beispiel konkrete Vorschläge. Viele Eltern wollen in der Zeit, wo die Kinder klein sind, ihren Job auf Teilzeit reduzieren, aber hinterher die Chance wieder haben, Vollzeit arbeiten zu gehen. Das gelingt vielen nicht, und deswegen sagen wir, wir brauchen einen Rechtsanspruch …

    Heckmann: Und deswegen möchten Sie einen gesetzlichen Anspruch dann auch etablieren?

    Schwesig: Genau!

    Heckmann: Aber glauben Sie nicht, dass Sie damit die Hürden und auch die Einstellungs- und die Karrierechancen für Frauen behindern könnten?

    Schwesig: Nein, das glauben wir nicht, denn hier spielt uns der Fachkräftemangel positiv in die Hände. Die Unternehmen haben ein Interesse, gerade auch Frauen einzustellen. Aber wissen Sie, Politik dieser Bundesregierung ist ja, dass gerade Familien, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, die arbeiten gehen wollen, auch müssen, um ihre Existenz zu sichern, deswegen Kita-Plätze nutzen, doch gerade bestraft werden mit dem Betreuungsgeld. Ich kriege eben keine finanzielle Unterstützung, wenn ich mein Kind in die Kita gebe. Das ist wirklich schräg, das hat mit Unterstützung von Familien, von Familie und Beruf überhaupt nichts zu tun.

    Und da ist einfach die Politik der Bundesregierung unglaubwürdig und ich kann nur noch mal sagen, es reichen nicht gute Reden, wir brauchen konkretes politisches Handeln, und dazu zählen für mich zum Beispiel Rechtsansprüche wie das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, wie zum Beispiel auch eine zehntägige Auszeit für den akuten Pflegefall, um sich kümmern zu können, aber unter Lohnersatzleistung. Schauen Sie sich den Vorschlag von Frau Schröder an: Sage und schreibe 187 Menschen nehmen die Pflegezeit in Anspruch. Da kann man nicht sagen, dass man mit seiner Politik die Menschen erreicht.

    Heckmann: Frau Schwesig, die SPD, Ihre Partei also, hat gestern ihr Regierungs- beziehungsweise ihr Wahlprogramm vorgelegt, darin enthalten Steuererhöhungen für Besserverdienende und eine Forderung nach einem Mindestlohn, einem gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohn, eine Entschärfung der Rente mit 67. Der Agenda-Mann Peer Steinbrück, Ihr Kanzlerkandidat, der hat früher ganz andere Positionen vertreten. Glauben Sie, dass er denn jetzt den neuen Kurs der SPD wirklich glaubhaft vertreten kann?

    Schwesig: Ja, da bin ich sicher, denn ich habe auch Peer Steinbrück in den letzten Wochen in den Diskussionen um das Regierungsprogramm erlebt, wie auch er, wie wir alle in der SPD sich damit auseinandergesetzt haben, welche Vorschläge sind gut gelaufen in der Vergangenheit, aber wo müssen wir korrigieren. Und wir sprechen ja gerade über Familien. Viele sind unter Druck in der Arbeitswelt. Wir haben viele Familien, wo Eltern fleißig arbeiten gehen, versuchen, ihre Kinder über die Runden zu bekommen, und es gelingt nicht, weil sie mit Billiglöhnen abgespeist werden. Hier braucht man einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro, wäre für mich auch familienfreundlich …

    Heckmann: Aber Peer Steinbrück hat sich immer dagegen ausgesprochen, auch gegen Steuererhöhungen und auch gegen Verbesserung oder eine Entschärfung der Rente mit 67.

    Schwesig: Aber ich habe doch eben erklärt, dass wir, auch um Beruf und Familie zu vereinbaren, um auch letztendlich der Wirtschaft zu helfen, Fachkräfte zu bekommen, zum Beispiel mehr Geld für Infrastruktur brauchen, und das Geld kommt ja nicht vom Himmel.

    Wir wollen realistische Vorschläge machen und dafür wollen wir den Spitzensteuersatz erhöhen, von 42 auf 49 Prozent für zu versteuernde Einkommen ab 100.000 Euro. Und diese Spitzensteuersatz-Erhöhung konkret in Bildung zu investieren, das ist wirklich sozial gerecht und auch ökonomisch vernünftige Politik, und genau dafür steht Peer Steinbrück. Er war es auch, der damals als Bundesfinanzminister zum Beispiel die vier Milliarden Euro für Kita-Ausbau zur Verfügung gestellt hat. Es ist doch auch legitim, dass Politik erkennt, an welchen Stellen man auch mehr tun muss und vielleicht auch umsteuern muss. Das haben wir in den letzten Jahren …

    Heckmann: Aber man hat doch den Eindruck, Frau Schwesig, dass die Beinfreiheit, die sich Peer Steinbrück eingefordert hat, ziemlich eingeschränkt ist nach den vielen Pannen.

    Schwesig: Nein, nein. Peer Steinbrück ist wirklich mit uns gemeinsam Satz für Satz im Regierungsprogramm durchgegangen, hat auch immer wieder Fragen gestellt, und ihm war wichtig, dass all das, was wir vorschlagen, auch wirklich umsetzbar, realistisch ist, denn er will keine Schaufensterpolitik machen, sondern die Leute können sich darauf verlassen, dass er Klartext redet und auch klar handelt. Und da ist es mir lieber, dass ein Kanzlerkandidat vielleicht erst einmal fragt, geht das auch, kriegen wir das hin, und wenn wir uns dann einig sind, ja, dass wir das dann auch durchziehen. Darauf werden die Menschen sich verlassen können, und das ist gut, dass Peer Steinbrück dafür steht, dass man natürlich dieses Land wirtschaftlich stark führen muss, aber dass es auch sozial gerecht zugehen muss, denn das spüren die Menschen, dass bei vielen der wirtschaftliche Aufschwung überhaupt nicht ankommt, dass wir vielleicht gut durch die Euro-Krise kommen, aber trotzdem viele Menschen in Armut leben, vor allem viele Kinder, und dass wir als Sozialdemokraten mit Peer Steinbrück an der Spitze sagen, dagegen wollen wir was tun, das ist die richtige Politik.

    Heckmann: Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Manuela Schwesig war das über den Familiengipfel, der heute in Berlin stattfindet, und den Kurs der SPD, die gestern ihr Regierungs- beziehungsweise ihr Wahlprogramm vorgelegt hat. Frau Schwesig, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Schwesig: Ich danke Ihnen – schönen Tag – tschüß!

    Heckmann: Schönen Tag auch Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.