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Merkel trifft die Parteibasis

Spätestens, seit ihr Gegenkandidat feststeht, hat auch für Kanzlerin Angela Merkel der Bundestagswahlkampf begonnen. Sechs Abende hat sich die CDU-Vorsitzende Zeit genommen, um mit der Parteibasis zu diskutieren - angefangen im so schwierigen wie wichtigen Bundesland NRW.

Von Barbara Roth | 11.10.2012
    "Liebe Frau Bundeskanzlerin, ich finde, Sie haben heute ein schönes Kostüm an." - Gelächter - "Schwarz-grün steht Ihnen gut."

    Der Mann am Mikrofon schmunzelt. Er hat erreicht, was er wollte. Angela Merkel blickt auf, ist ganz Ohr. Doch beim Kompliment für ihr Outfit - hellgrüner Blazer, schwarze Hose - bleibt es. Was Hennig Arets der Kanzlerin noch zu sagen hat, ist wenig schmeichelhaft.

    "2009 war der Bundestagswahlkampf der profilloseste, den ich je erlebt habe." - Applaus - "Wir haben einen Slogan gehabt, der hieß: Wir haben die Kraft. Genützt hat es auch nicht so viel: Wir haben mit 33,8 Prozent das schlechteste Ergebnis erzielt, das je eine Partei, die den Bundeskanzler stellte, bei einer Bundestagswahl erreicht hat."

    Merkels Mundwinkel neigen sich nach unten. Sie führte die Union auch damals in die Wahl.

    "Wir haben nun hier in Nordrhein-Westfalen leider ein schlimmes Ergebnis erzielt. Und das, was ich im Wahlkampf oft gehört habe, war die Frage: Ich weiß einfach nicht mehr, wofür die CDU verlässlich steht."

    Das Parteivolk fragt. Die Vorsitzende antwortet. Sechs Abende hat sich Angela Merkel Zeit genommen, um mit der Basis zu diskutieren. Erste Station Düsseldorf. Bei der Landtagswahl stürzte die CDU hier auf 26 Prozent ab. Falls die Partei im bevölkerungsreichsten Bundesland nicht schnell wieder auf die Beine kommt, ist Merkels Wiederwahl in Gefahr. Denn bereits Baden-Württemberg ging für die Christdemokraten verloren - trotz Atomausstieg.

    "Ich weiß, dass nicht alle in der Partei damit einverstanden waren. Aber wir haben es mehrheitlich so miteinander vereinbart. Ich bin ein Mensch, wenn so ein Beschluss gefallen ist, dann fange ich nicht jedes Jahr wieder an, das alles aufzurollen. Manches hat sich halt seit Konrad Adenauer auch in unserer Programmatik verändert. Und ich glaube, das ist auch nicht immer schlecht gewesen."

    Zu beliebig, zu wenig bodenständig, zu modern sei die CDU unter ihrer Führung geworden - Merkel schüttelt mit dem Kopf - sie kann diese Nörgeleien nicht mehr hören. Sie sucht nach Themen, um die eigenen Leute zu mobilisieren. Dazu muss sie wissen, was den Frauen und Männern an der Basis wirklich auf den Nägeln brennt. Sie lotet die Stimmung aus vor dem Bundesparteitag im Dezember, auf dem die Weichen gestellt werden für die Bundestagswahl im kommenden Jahr.

    "Wann kommt denn endlich der Startschuss, wann kommt denn endlich die Verteidigungslinie für die bürgerliche Koalition im Bund? Wann sagen Sie endlich, die Sozen sind nicht unser Wunschpartner? Oder gehen wir nächstes Jahr gar nicht in den Wahlkampf? Nehmen wir einfach die Große Koalition hin und machen einfach so weiter? Am besten alternativlos."

    Michael Nickel fragt vergebens. Oben auf dem Podium schreibt Angela Merkel zweieinhalb Stunden zwar eifrig mit, doch sie antwortet nicht auf jede Frage. Auf kritische schon gar nicht.

    "Ich sehe in dem neuen Kanzlerkandidaten der SPD einen pfiffigen Mann, der in dem Euro-Thema richtig fit ist. Ich würde bitten, irgendwo das Engagement, das die CDU, insbesondere Sie als Bundeskanzlerin es verstanden haben, diese Finanzkrise noch einigermaßen zu bewältigen, dass das rüberkommt, dass das ein Verdienst der CDU ist und von keinem anderen. Vielen Dank."

    Der Meinung ist die Kanzlerin auch. Peer Steinbrück erwähnt sie mit keinem Wort. Warum auch? Als Europas mächtigste Krisenmanagerin ist Merkel populär. Und ihre Beliebtheit wächst laut Umfragen noch immer. Die CDU soll sich im Wahlkampf allein auf ihre persönliche Strahlkraft verlassen.

    "Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Bitte: Ich möchte gerne, dass Sie sich dafür einsetzen, dass Sie sich dafür einsetzen, dass die Rente für Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben, auch aufgestockt wird. - Es muss völlig unabhängig für die CDU, wann die Mutter ein Kind bekommen hat, die Rente muss völlig gleich sein."

    Zustimmung im Saal. Bei den meist grauhaarigen Anwesenden sind Rente und Altersarmut die heißen Themen. Zumal die CDU bei Wählern über 60 besonders erfolgreich ist. Die Parteivorsitzende macht sich auch hier fleißig Notizen.

    "Sie sind gegen den Mindestlohn. Ich bin für eine gesetzliche Verankerung. Und zwar so, dass ein Arbeitnehmer, der 40 Stunden die Woche arbeitet, mit seinem Lohn mindestens über den Satz der Arge liegt."

    Merkel hört ganz genau hin. Am Applaus kann sie messen, womit sich die einfachen Parteimitglieder wirklich beschäftigen. Sie hat ein feines Gespür dafür, wann es sich lohnt, auf ein Thema zu springen. Über das Anliegen von Silvia Prandl wird sie auf dem Bundesparteitag sicher berichten.

    "Wir haben nach Duisburg eine Hygieneverordnung, die noch nicht mal zulässt einen Kuchen zu backen für Kindergarten-, Pfarrfest oder Schützenverein. Und die GEMA wird demnächst dafür sorgen, dass wir in keinem Kindergarten mehr Kinderlieder singen können und auf keinem Schützenfest mehr."

    Die Parteichefin reagiert sofort. Die Chance lässt sie sich nicht entgehen: Als volksnahe Kanzlerin dazustehen, die sich nicht nur um den Euro, sondern auch um ganz alltägliche Dinge kümmert. In Düsseldorf funktioniert es. Die Basis ist zufrieden.

    "Schreiben Sie mir das noch mal, dann werde ich Ihnen zurückschreiben. Wir sind da schon am Werke. Man kann ja wirklich kein kleines Fest mehr feiern, ohne dass man sich dumm und dämlich zahlt, da." - (Jubel) - "Sonst müssen wir noch ein Volk von Komponisten werden und führen nur noch Uraufführungen auf. Sie kriegen von mir eine Antwort. Aber es ist nicht so einfach, da ran zu kommen - danke." (Applaus)