Freitag, 19. April 2024

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Merz für Kürzung von Sozialleistungen

Spengler: Heute treffen sich in Gotha die Steuerschätzer der Nation, Experten aus Bund und Ländern, von Institutionen und Instituten zusammen. Sie werden ihre verschiedenen Zahlen und Prognosen miteinander abgleichen und sich bis übermorgen darauf einigen, mit welchen Steuereinnahmen denn in diesem und im nächsten Jahr aller Voraussicht nach zu rechnen sein dürfte. Klar ist schon jetzt, die Finanzminister werden mit etlichen Milliarden weniger auskommen müssen. Die Einnahmen brechen weg, es gibt neue Haushaltslöcher. Was tun? Ausgaben senken, also sparen? Oder Einnahmen erhöhen, zum Beispiel durch eine höhere Mehrwertsteuer? Oder aber noch mehr Schulden machen? Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit Friedrich Merz, dem streitbaren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union. Herr Merz, Sie haben vor einigen Monaten selbst einmal eine höhere Mehrwertsteuer ins Gespräch gebracht. Wäre das ein Ausweg aus der Haushaltskrise?

11.05.2004
    Merz: Nein, das ist kein Ausweg. Ich habe gesagt, dass wir bei der Mehrwertsteuer Spielraum haben. Wenn wir diesen Spielraum ausnutzen, dann aber nur, um die direkten Steuern, also Einkommen- und Körperschaftssteuern, zu senken und gleichzeitig den Sozialausgleich im Bereich der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung zu ermöglichen. Aber zum Stopfen von Haushaltslöchern darf die Mehrwertsteuer nicht zur Verfügung stehen. Das ist der völlig falsche Weg.

    Spengler: Sie wäre am Ende eines Weges vielleicht akzeptabel?

    Merz: Genau, nicht am Anfang. Wir reden jetzt mal wieder nur über den Anfang. Die rot-grüne Bundesregierung ist verzweifelt auf der Suche nach Geld, wie immer seit füneinhalb Jahren. Jedes Mal wenn ein Problem in Deutschland entsteht, denkt diese Bundesregierung über Abgaben und Steuererhöhungen nach. Das ist der falsche Weg.

    Spengler: Aber sie hat gesenkt, das muss man der Ehrlichkeit halber sagen. Eigentlich hatten wir Sie zur Einsparfraktion gezählt, dann haben Sie gestern Freund und Feind verwirrt. Die Berliner Zeitung erschien jedenfalls mit der Schlagzeile: Merz gibt Stabilitätspakt preis.

    Merz: Also trotz Ablauf einer Nacht, ist meine Verärgerung darüber noch nicht verraucht. Wenn Sie mal das Interview lesen, das ich in der Berliner Zeitung gegeben habe, dann können Sie dort lesen, dass das glatte Gegenteil von dem im Interview steht, was diese Zeitung in die Schlagzeile gesetzt hat.

    Spengler: Nicht so ganz. Ich habe es gelesen. Wenn ich mal zitieren darf. Sie haben gesagt: In Deutschland gingen werktäglich 2000 Arbeitsplätze durch Insolvenzen und Abwanderung verloren. Dann haben Sie wörtlich gesagt: "Solange wir das nicht in den Griff bekommen, können wir uns die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts ebenso abschminken, wie die Maastrichtkriterien". Das heißt aber doch, Priorität hat nicht Maastricht, Priorität hat etwas anders für Sie.

    Merz: Ich habe wenige Zeilen vorher gesagt, im Hinblick auf den Stabilitätspakt. Der Stabilitätspakt war, ist und bleibt die Geschäftsgrundlage für den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland in die Währungsunion. Und das gilt ohne jede Einschränkung.

    Spengler: Also er ist nicht zu starr?

    Merz: Ich halte den Stabilitätspakt für die Grundlage der dauerhaften Währungsstabilität in dieser Europäischen Union überhaupt. Es gehört ja zu den Treppenwitzen der letzten Jahre, dass das Land, das sich für diesen Stabilitätspakt am meisten eingesetzt hat, nämlich Deutschland, jetzt am Pranger der Europäischen Union und der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union steht, ihn endlich einzuhalten. Ich habe darauf hingewiesen, dass dieser Stabilitätspakt unter den gegenwärtigen wirtschafts- und finanzpolitischen Bedingungen objektiv gar nicht mehr einzuhalten ist. Weil nämlich die Finanzpolitik, die Fiskalpolitik, gar nicht in der Lage ist, das Problem zu lösen. Das eigentliche Problem ist die Wirtschaftspolitik. Und das Problem der Wirtschaftspolitik ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Und solange wir den Arbeitsmarkt nicht in den Griff bekommen, werden wir auch den Haushalt nicht in den Griff bekommen. Die Ursache des gesamten Problems ist unsere andauernde strukturelle Wachstums- und Beschäftigungspolitik.

    Spengler: Verstehe ich das richtig, dass es doch eine kleine Prioritätenverschiebung bei Ihnen gibt, dass Sie sagen, wir müssen den Arbeitsmarkt reformieren, wir müssen dies und das machen und dann können wir an Maastricht denken?

    Merz: Nein, ich habe Voraussetzungen beschrieben, die erfüllt werden müssen, damit man überhaupt die Haushalte wieder in den Griff bekommt. Ich habe dazu auch gesagt, dass wir auf dem Arbeitsmarkt genau hinsehen müssen, welche Anreizwirkungen wir eigentlich durch staatliche Transferleistungen setzten. Das ist übrigens etwas, was in der CDU seit Monaten diskutiert wird, was wir auf dem Leipziger Parteitag gesagt haben, was in meinen Steuervorschlägen in der Einleitung schon ausführlich geschrieben steht, was uns Professor Sinn, der Chef des Ifo-Institutes zu Beginn des Jahres in einer Klausurtagung des Bundesvorstandes der CDU ausführlich dargelegt hat: Die Anreizwirkungen von Transferleistungen sind völlig falsch gesetzt. Es lohnt sich für viele Menschen in Deutschland nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, weil die Transferleistungen durch Staatskonkurrenz für Nichtarbeit zu hoch sind.

    Spengler: Darf ich das Thema noch ein bisschen zurückstellen und noch einen Moment beim Stabilitätspakt bleiben. Ich verstehe Sie richtig, der Pakt ist nicht zu starr, Sie bekennen sich ohne wenn und aber zu ihm. Es ist nicht ein Pakt für gute Jahre und nicht aber für Krisenzeiten? Das würden Sie nicht sagen?

    Merz: Der Stabilitätspakt enthält ja sehr kluge Regeln für gute und für schlechte Zeiten. Er geht für gute Zeiten von Haushaltsüberschüssen aus und für schlechte Zeiten erlaubt er den Mitgliedstaaten die Überschreitung des jährlichen Defizits um drei Prozent. Dass heißt, hier gibt es eine ganz klare Regel für gute und für schlechte Zeiten. Man muss einen solchen Pakt in guten wie in schlechten Zeiten einhalten. Man muss aber auch die Bedingungen dafür schaffen, dass er eingehalten werden kann. Sonst ist es ein Fall der objektiven Unmöglichkeit.

    Spengler: Was heißt das für jetzige Situation? Vielleicht doch eine zeitweise Erhöhung der Neuverschuldung, um zum Beispiel Zukunftsinvestitionen vorzunehmen?

    Merz: Auch davon halte ich herzlich wenig.

    Spengler: Sie wissen, das fordert Herr Althaus, Ihr Parteifreund.

    Merz: Dass in die Zukunft investiert werden muss, ist ja so banal, wie richtig. Nur wir werden natürlich mit Investitionen, etwa in die Bildungsinstitutionen nicht im nächsten Jahr das Arbeitsmarktproblem lösen, sondern allenfalls Vorsorge treffen gegen Arbeitslosigkeit in zehn Jahren. Jetzt geht es ja darum, wie wir möglichst schnell die Wende im Bereich Wachstum und Beschäftigung schaffen. Wer sich mit dem Arbeitsmarkt beschäftigt, wer sich die Struktur der Arbeitslosigkeit ansieht, der wird sehr schnell feststellen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland ganz überwiegend ein Problem der Älteren und der schlecht Qualifizierten ist. Es wird allerdings zunehmend ein Problem auch der Jüngeren und der gut Qualifizierten. Wenn man also ansetzen will, die Beschäftigungskrise zu lösen, dann müssen die Anreize verstärkt werden, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Dass heißt im Klartext: Die gesamte Frühverrentungspolitik muss beendet werden. Die Beschäftigungsquote der Älteren in Deutschland muss schnell angehoben werden, denn überall dort, wo die Beschäftigungsquote der Älteren höher ist als in Deutschland - und sie ist fast überall höher als in Deutschland - dort ist die Arbeitslosigkeit niedriger, weil die Menschen in die sozialen Sicherungssysteme gehen, etwa in die Rente. Das zweite ist, wir müssen dafür sorgen, dass auch jüngere schlecht Qualifizierte - die gibt es leider in zunehmenden Maße - einen Anreiz haben, eben nicht in die Sozialhilfe zu gehen, sondern in den Arbeitsmarkt auch wenn es dort eine weniger gut bezahlte Beschäftigung ist. Eher soll der Staat was drauflegen, damit diese Menschen arbeiten, anstatt ihre Nichtarbeit zu bezahlen.

    Spengler: Das klang aber in dem Interview mit der Berliner Zeitung anders, da klang es nämlich so, als wollten Sie ausgerechnet an den schwächsten, den Sozialhilfeempfängern, sparen. Ich habe noch mal nachgeguckt, der Sozialhilferegelsatz liegt bei etwa 300 Euro. Da schreibt der "Mannheimer Morgen" heute, das würde etwa Ihrer Handyrechnung entsprechen. Wie viel wollen Sie denn bei 300 Euro noch streichen?

    Merz: Der Regelsatz ist doch nicht alles. Das ist der für Alleinstehende, dann kommen noch Wohnungsbeihilfen dazu, dann kommt die gesamte Familien- und Kinderhilfe dazu. Wenn Sie heute als Familienvater einer vierköpfigen Familien sozialhilfeberechtigt sind, dann haben sie deutlich über 1000 Euro im Monat an Sozialhilfeansprüchen, einschließlich aller Nachleistungen.

    Spengler: Sie wollen nicht sagen, dass es diesen Menschen zu gut geht?

    Merz: Das habe ich ausdrücklich in diesem Interview gesagt: Auch wenn es ihnen als Arbeitslose häufig nicht besonders gut geht, aber ihnen geht es ja in der Beschäftigung nicht besser, vor allem wenn sie schlecht qualifiziert sind. Ich sage das fast jeden Tag.

    Spengler: Aber die Voraussetzung wäre doch, dass sie Beschäftigung finden. Und wie findet man Beschäftigung bei 4,4 Millionen registrierten Arbeitslosen?

    Merz: Wir haben in Deutschland ein geschätztes Volumen in der Schattenwirtschaft von etwa 380 bis 400 Milliarden Euro. Dass es in diesem Land Arbeit genug gibt, zeigt die rasant wachsende Schattenwirtschaft, die Schwarzarbeit. 400 Milliarden Euro ist ein Äquivalent von über sechs Millionen Vollzeitarbeitsplätzen. Viele derer, die heute in der Sozialhilfe sind und arbeitsfähig sind, haben ja Erwerbseinkommen auch zusätzlich in der Schattenwirtschaft. Wenn sie deren Einkommen addieren, dann haben Sie verfügbare Einkommen im Monat, die sie unter der gegenwärtigen Abgabenbelastung im regulären Arbeitsmarkt nicht erzielen können. Deswegen haben alle Länder, die das Beschäftigungsproblem gelöst haben, Tony Blair in England, die Amerikaner, die Holländer, die Nordeuropäer, alle dafür gesorgt, dass diese Transferleistungen einen Anreiz enthalten, arbeiten zu gehen. In Deutschland ist es umgekehrt. Ich werde trotz der Kritik, die Sie und andere daran üben, auch in den nächsten Tagen und Wochen nicht nachlassen darauf hinzuweisen, dass wir die falschen Anreize mit diesen Transferleistungen setzten. Die Menschen haben keinen Anreiz mehr, in den Arbeitsmarkt zu gehen, weil in der Arbeitslosigkeit die Summe aus diesen Einkommen höher ist, als nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen in der regulären Beschäftigung.

    Spengler: Nach den geplanten Reformen werden doch die Anreize schon reduziert. Als zumutbar gilt doch zum Beispiel heute schon fast jede Arbeit.

    Merz: Jetzt haben wir eine Debatte über das sogenannte Hartz-IV-Gesetz. Das ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die ja auch im Grundsatz richtig ist, die allerdings leider völlig falsch durchgeführt wird, in dem die Arbeitsverwaltung in Deutschland, die Institutionen die die Arbeitslosigkeit in Deutschland bewirtschaftet, statt sie zu beseitigen, zusätzlich 24.000 Stellen bekommen soll, damit dort zusätzlich 900.000 Arbeitslose verwaltet werden können. Das ist der falsche Weg. Die Kommunen müssten eine höhere Verantwortung bekommen. Sie müssten die Trägerschaft für diese Leistung bekommen, weil sie nämlich dem regionalen und lokalen Arbeitsmarkt viel näher stehen, als eine zentral, von Nürnberg aus geführte Behörde. Das ist im Prinzip der falsche Weg, es so zu tun. Aber die Zusammenlegung der beiden Leistungssysteme, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, ist eine alte Forderung der Union. Damit könnte man auch die Anreize verbessern, in die Beschäftigung zurückzukehren.

    Spengler: Schaden Sie dem Reformprozess? Das sagt jedenfalls ihr Parteifreund Hermann-Josef Arentz, wenn Sie immer nur von Geringverdienern Abstriche fordern? Müssten Sie nicht den Gerechtigkeitsaspekt mehr im Auge haben?

    Merz: Wenn Herr Arentz mein Interview in der Berliner Zeitung zu Ende gelesen hätte, dann hätte er dort gelesen, dass ich eine massive Kritik in diesem Interview, auch mit einer Reihe von Leistungsträgern und Vorstandsvorsitzenden in der deutschen Wirtschaft verbunden habe...

    Spengler: Ich habe das Interview zu Ende gelesen. Da ist ein kleiner Satz am Ende: Kritik an Herrn Schrempp.

    Merz: Da ist eine komplette Antwort am Ende, die ausführlich begründet, warum ich das Verhalten, insbesondere - aber nicht nur - von Herrn Schrempp, für völlig abwegig halte und für zerstörerisch halte. Wenn wir den Arbeitslosen und den gering Qualifizierten etwas zumuten müssen - und wir müssen ihnen etwas zumuten - dann kann man erwarten, dass diese Leistungsträger sich auch daran beteiligen und dass sie nicht völlig hemmungslos in die Kassen ihrer Unternehmen greifen. Diese Kritik gehört für mich genauso dazu, wie die Beschreibung eines Sachverhaltes der die Beschäftigung und auch die Staatseinnahmen betrifft.