Messe IAA 2017

Fetisch Automobil

44:19 Minuten
Fetisch Automobil: Maserati Gran Turismo
Fetisch Automobil: Maserati Gran Turismo © Deutschlandradio / Marietta Schwarz
Von Marietta Schwarz · 10.11.2017
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Das Automobil steckt schon lange in der Sackgasse: Es verstopft die Städte, verpestet die Luft, fährt Menschen und Tiere tot. Als Statussymbol taugt es nur noch mäßig, doch bleibt es der Motor der deutschen Wirtschaft.
In der Automobilindustrie stehen die Zeichen auf Elektromobilität. Doch die neue Technologie hat unzählige Gegner. Neben harten Argumenten treibt sie die Leidenschaft für schnittige Karosserien, PS-Stärke und Motor-Packaging an. "Fetisch Automobil" - Beobachtungen auf der diesjährigen IAA von Marietta Schwarz.
Es ist das Krisenjahr des Automobils, in dem viel über den Dieselskandal und die Feinstaubbelastung in Großstädten diskutiert wird. Eine Stunde dauert der Rundgang der Bundeskanzlerin, die Konzern-Sprecher übertreffen sich beim kurzen Plausch mit Angela Merkel in der Bewerbung ihrer Elektromobile, Mobilitäts-Apps und Sharing-Konzepte. Die Botschaft ist klar: Wir fahren sauber in die Zukunft.
Inszeniert wie ein Kunstwerk: Der Verbrennungsmotor, von deutschen Ingenieuren wohlwollend begutachtet
Inszeniert wie ein Kunstwerk: Der Verbrennungsmotor, von deutschen Ingenieuren wohlwollend begutachtet© Deutschlandradio / Marietta Schwarz
Doch jenseits der Bühnen, auf denen sich die Autokanzlerin kurz zeigt, sieht die Realität anders aus: Maschinenbau-Ingenieure fachsimpeln vor 12-Zylinder-Motoren, junge Burschen schwärmen vom neuen BMW-Modell im mattroten Metallic-Lack. Und die Facharbeiter aus Wolfsburg bemängeln die Spaltmaße beim Konkurrenten. "Ich genieße die Dinosaurierzeit der Motortechnologie", gesteht ein Besucher, der seinen Wagen im Eigenbau auf 650 PS hochgerüstet hat.
Komm mir nicht zu nahe! Autos strahlen heutzutage oft die Aggression eines Raubtiers aus
Komm mir nicht zu nahe! Autos strahlen heutzutage oft die Aggression eines Raubtiers aus© Deutschlandradio / Marietta Schwarz
Gemäß dem diesjährigen Motto der Internationalen Automobilausstellung hätte Reporterin Marietta Schwarz die "Zukunft erleben" wollen, fühlt sich aber immer wieder in die Vergangenheit katapultiert. Hier gelten noch die alten Geschlechterrollen, hier vergisst man die Umweltprobleme, hier darf man noch Mann sein und Gas geben. Der Automobilclub von Deutschland (AvD) stellt getunte 70er-Jahre-Modelle aus und badet in Nostalgie. Sharing-Modelle? Ein Leben ohne Führerschein? Hat das Auto als Fetisch ausgedient? AvD-Generalsekretär Matthias Braun winkt ab. "Fragen Sie mal nach, jenseits der Großstädte, da hat das Auto nach wie vor einen großen Stellenwert."
Die IAA bietet vieles für große und kleine Jungs, zum Beispiel eine Carrera-Bahn
Die IAA bietet vieles für große und kleine Jungs, zum Beispiel eine Carrera-Bahn© Deutschlandradio / Marietta Schwarz
Auf der Leinwand rast ein Cabrio durch die einsame Landschaft, neben dem Maserati bringt sich eine langbeinige Hostess in Pose. "Die Inszenierung wird eigentlich von Jahr zu Jahr aufwendiger", sagt Regisseur Stefan Bolz, der auf eine langjährige IAA-Erfahrung zurückblickt. Keine Spur von Bescheidenheit. "Du musst ein Car-Guy sein, wenn du dich auf der Messe herumtreibst".
Männer beim Probesitzen: Fachmännischer Blick ins Cockpit und in den Rückspiegel: Dieses Auto steht mir doch ganz gut, oder?!
Männer beim Probesitzen: Fachmännischer Blick ins Cockpit und in den Rückspiegel: Dieses Auto steht mir doch ganz gut, oder?!© Deutschlandradio / Marietta Schwarz
Viele Unternehmen haben ihre Teilnahme abgesagt, vor allem der Konzern, der für die Zukunft des Automobils steht: Tesla. Doch man muss schon hartnäckig nachfragen oder hochsteigen, um über die Sorgen der Konzernmitarbeiter etwas zu erfahren. Zum Beispiel im Kirchencenter im vierten Obergeschoss des Torhauses. Ein halbes Dutzend Männer trifft sich hier zum täglichen Gebet. Es sind die Christen in der Automobilindustrie. "Vater, wir bitten um Gnade, auch wenn es die Branche vielleicht nicht verdient hat."
Reporterin Marietta Schwarz und Autor Matthias Penzel streicheln den C111: Dieser Mercedes war einmal zukunftsweisend
Reporterin Marietta Schwarz und Autor Matthias Penzel streicheln den C111: Dieser Mercedes war einmal zukunftsweisend© Deutschlandradio / Marietta Schwarz
Das Auto und das Göttliche - schon den Philosophen Roland Barthes beschäftigte seinerzeit diese Verbindung in einem Text über den neuen Citroën DS, erinnert der Buchautor und Journalist Matthias Penzel. "La Déesse" heißt nicht umsonst "Die Göttliche". Penzel hat sich in seinem Buch "Objekte im Rückspiegel sind oft näher als man denkt" mit unserem Verhältnis zum Automobil beschäftigt und sagt: "Das Auto trägt nach wie vor ein Freiheitsversprechen in sich und es ist eine Projektionsmaschine".
Kai Voeckler
Kai Voeckler© Tanja Schepp
Wie könnte vor diesem Hintergrund die automobile Zukunft aussehen? Kai Vöckler, Urbanist mit Professur an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, hat eine einfache Antwort: "Vor allem muss Mobilität Spaß machen". Vöckler entwickelt an seinem Designinstitut Gestaltungs-Konzepte für intermodale Mobilität - von der firmenübergreifenen Smartphone-App bis hin zum Haltestellen-Design. 11 Kilometer Luftlinie von der Frankfurter Messe entfernt lautet das Credo: Wer teilt, gewinnt.
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