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Messe "Next Organic" Berlin
Gute Lebensmittel brauchen Zeit

Seit Bio-Produkte in jedem Discounter-Regal stehen, ist Bio fast schon Mainstream. Zugleich ist die Essenz der Bio-Idee lebendiger denn je: Regionale Produkte, hochwertige Zutaten und die Wiederentdeckung traditioneller Herstellungsprozesse boomen. Vom Prinzip der Urproduktion war auch auf der Messe "Next Organic" in Berlin viel die Rede.

Von Monika Hebbinghaus | 19.05.2014
    Frisch geerntete Cocktailtomaten und junge Möhren als Bio-Erzeugnis
    Frisch geerntete Cocktailtomaten und junge Möhren als Bio-Erzeugnis (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    "Was wir hier auf der Next Organic propagieren und was ein Teil unseres Messekonzepts ist, dass wir die Food-Handwerker, die Lebensmittel-Handwerker aus der Region einladen, um die Sachen zu präsentieren, die wirklich noch so gemacht werden wie - ja, Großmutters Zeiten klingt eigentlich super abgedroschen, aber eigentlich trifft es das doch - also mit der guten Butter oder dem schönen Apfel oder dem guten Fleisch. Und das ist der neue Trend bei Bio, ja."
    Sagt Cathrin Brandes, kulinarische Beraterin der "Next Organic". Für die Renaissance des guten alten Lebensmittel-Handwerks mag die Abfertigungshalle des stillgelegten Flughafens Tempelhof zunächst als merkwürdige Wahl erscheinen. Doch wenn die Aussteller ihre Probierhäppchen auf den einstigen Check-in Schaltern anrichten, dann signalisiert die hippe Location vor allem eins: Bio ist angesagt. Organic Food und bewusster Genuss sind die Zukunft - so könnte man den Messenamen deuten. Und diese Zukunft ist postindustriell. So wundert es nicht, dass der Gewinner des Start-up-Wettbewerbs der Messe ein klassischer Bauer ist - auch wenn er "Community Supported Agriculture" macht.
    "Unser Betrieb, der macht Gemüsebau auf drei Hektar Land, und es finden sich Verbraucher, die sich zusammen tun und dem Bauern ein Jahr die Ernte abnehmen und sich verpflichten. Und dafür eben monatlich einen Beitrag bezahlen."
    "Speisegut" nennt Christian Heymann seinen Bio-Landbau mit angeschlossener Gemüseverarbeitung und eigener Ölmühle in der Nähe von Berlin. Seinen "Anteilseignern" liefert er einmal die Woche ihren Ernteanteil, dafür müssen die Städter dreimal im Jahr zum Helfen auf den Acker:
    "Da stehen wir nicht dahinter und schwingen die Peitsche, dass sie jetzt so schnell wie möglich Möhren jäten, darum geht es gar nicht. Aber es geht letztendlich darum: Jeder, der einmal acht Stunden auf dem Acker war, der weiß danach, wie er eigentlich mit den Lebensmitteln umzugehen hat. Und eigentlich sollte das fast verpflichtend werden heutzutage."
    Rückbesinnung auf das Prinzip der Urproduktion
    Die "Next Organic" zeigt: Es macht Spaß, nachzuvollziehen, woher ein Produkt kommt und was dahinter steckt. Selbst beim Thema Fleisch, jahrelang verpönt bei bewussten Essern. Es geht um die Rückbesinnung auf das Prinzip der Urproduktion, erklärt Oliver Reimann vom Landwert-Hof bei Greifswald in Vorpommern:
    "Wir sind eine Erzeugergemeinschaft, wo Rind und Schwein in reiner Freilandhaltung gehalten wird, jahrein jahraus, und dann in der eigenen Metzgerei von der Schlachtung bis zur Wurst, also in der kompletten Kette verarbeitet wird. Und das unter Verwendung höchster artgerechter Tierhaltungsstandards."
    Stressfreies Schlachten ist nicht nur besser für das Tier - das Fleisch schmeckt auch ganz anders, sagt Metzgermeister Maik Boeck vom Landwert-Hof. Die Tiere legen nur ganz kurze Wege zurück, bleiben immer als Gruppe zusammen und übernachten erst mal auf dem Hof:
    "Der Wartestall für die Tiere ist relativ groß, sodass die Tiere da reichlich Stroh haben, wir schlachten pro Schlachttag auch nur 20 Schweine - bei konventioneller Haltung wären auf der Fläche locker 60 möglich. Die können sich hinlegen, können sich ausruhen in Vorbereitung auf die Schlachtung dann."
    Gute Lebensmittel brauchen Zeit - das gilt nicht nur für Wein. Auf dem Landwert-Hof hängt das Fleisch mindestens 30 Tage ab, um zu reifen. Wer das alles weiß, bekommt einen ganz anderen Bezug zu seinem Steak. Und wer dann ganz mutig wird, der traut sich vielleicht in einen von Maik Boecks Wurst-Kursen. Auch das ein Trend, der uns wahrscheinlich noch in Zukunft beschäftigen wird:
    "Vom Ablauf ist es so, dass wir eine ganze Rinderkeule mitnehmen, und eine Schweinehälfte, und wir schneiden dann halt diese ganzen Edelteile zu, und verwursten den Rest komplett dort an diesem Abend. Und dann dauert das auch ein bisschen, dann wird auch ein bisschen geräuchert vor der Tür, direkt an der Straße, und die Leute laufen vorbei und sagen: 'Oh, was ist das denn?' 'Ja, wir räuchern hier 'ne Leberwurst!'"
    Altes Fleisch entdecken
    Auch Cathrin Brandes, die als kulinarische Beraterin der "Next Organic" neuen Entwicklungen in der Food-Branche nachspürt, sieht Fleisch im Trend - vor allem das von alten Tieren:
    "Das sind Kühe, die sind mindestens acht bis zehn Jahre alt geworden, die haben die ganze Zeit auf der Weide gelebt, die haben gekalbt, die haben Milch gegeben. Das ist Fleisch, das bis Kurzem tatsächlich nur bei McDonald's im Burger verbraucht worden wäre - und jetzt entdeckt man halt auch, dass das einen eigenen geschmacklichen Wert hat. Weil wir uns jetzt auch trauen, mehr zu schmecken."
    Und wer bei "alten Kühen" an Fleisch zäh wie eine Schuhsohle denkt, der liegt völlig daneben: "Das ist ungelogen butterweich, das Fleisch, das muss nur kurz angegrillt werden und dann kann das innen drin fast roh genossen werden. Das ist wirklich ganz exquisit. Und nicht: alte Kuh - bäh, zäh! Sondern: alte Kuh - lecker zart!"