Freitag, 19. April 2024

Archiv


Metallschaum statt Bandscheibe

Medizintechnik. - Titanschaum kann eine lädierte Bandscheibe ersetzen. Davon sind verschiedene Forschergruppen überzeugt. Das biokompatible Metall ist in seiner aufgeschäumten Form stabil und gleichzeitig leicht, nur die Flexibilität ist geringer als bei einer natürlichen Bandscheibe.

Von Hellmuth Nordwig | 20.05.2011
    Wer an der Bandscheibe operiert wird, bekommt heute meist eine Prothese: einen kleinen Käfig aus Metall, der wie ein Kissen an Stelle der Bandscheibe zwischen zwei Wirbel platziert wird. Normalerweise werden in diesen Käfig Knochenspäne eingefüllt. Die stammen häufig aus dem Hüftknochen. Der dazu nötige Eingriff fesselt den Patienten jedoch viel länger ans Bett als der an der Wirbelsäule selbst. Deshalb suchen Forscher nach anderen Materialien für die Bandscheibenprothesen. Fündig wurden sie bei dem Leichtmetall Titan, das auch bei künstlichen Gelenken eingesetzt wird, berichtet Dr. Cyril Voisard von der Schweizer Firma Synthes, die Implantatmaterialien herstellt.

    "Titan und Titanlegierungen sind sehr biokompatibel und stabil. Es gibt nur wenige Menschen, die dagegen eine Allergie zeigen. Man kann im Prinzip ein Titan-Implantat lebenslang im Körper lassen. Das ist nicht der Fall bei Edelstahl: Der Nickel- und Chromgehalt erlaubt das nicht."

    Titan hat nicht nur den Vorteil, dass es biologisch gut verträglich ist. Als Schaum ist das Metall auch für Flugzeug- und Autohersteller interessant, denn Titanschaum ist besonders leicht und dabei fast genauso stabil wie massives Titan. Ärzten kommt es vor allem auf einen anderen Aspekt an: In eine künstliche Bandscheibe aus Titanschaum kann Flüssigkeit eindringen, und so gelangen auch Knochenzellen in die Bandscheibenprothese. Voisard:

    "Wenn der Chirurg einen Teil oder die komplette Bandscheibe entfernen muss, braucht man etwas, um die Höhe zurückzubringen. Das kann zum Beispiel mit Titan oder mit einem porösen Material gemacht werden. Der Vorteil bei porösem Material: Der Knochen wird hineinwachsen, und das wird natürlich gut integriert in den Körper."

    Aus diesem Grund untersuchen derzeit mehrere Forschergruppen weltweit, darunter in Deutschland, ob auch andere Knochen durch Titanschaum ersetzt werden können. Zum Beispiel der Oberschenkelknochen, wenn er durch einen Tumor oder Osteoporose geschädigt ist. Die schwammartige Struktur dieses Röhrenknochens wird durch Titanschaum gut nachgebildet, und in Tierversuchen wandern Knochenzellen in solche Implantate hinein. Bei den Bandscheibenprothesen aus Titanschaum sind die Ärzte schon weiter. Hier gibt es bereits erste klinische Erfahrungen: Auch sie zeigen, dass Knochenzellen in die künstliche Bandscheibe hineinwachsen. Voisard:

    "Die zwei Wirbel werden schlussendlich ein Stück Knochen bilden. Man sagt, bei zwei bis drei Segmenten wird der Patient davon nicht viel merken. Die Mobilität eines Segments ist sowieso beschränkt. Und der Patient wird keine Störungen haben."

    Doch auch wenn man es häufig nicht merkt: So nachgiebig wie Bandscheiben eigentlich sein sollten, können Prothesen nicht sein, wenn die Wirbel zusammenwachsen. Deshalb arbeiten die Forscher an einem neuen, noch flexibleren Ersatz für die Bandscheiben. Erste Entwicklungen gibt es bereits, berichtet Cyril Voisard.

    "Im Prinzip ein Stück Kunststoff zwischen zwei metallischen Endplatten. Das bringt komplette Freiheit, das heißt es ist ähnlich wie eine intakte Bandscheibe. Probleme sind bei der Materialstabilität und Biostabilität, das sind offene Fragen. Solche Produkte sind auch noch nicht kommerziell erhältlich, aber in der Testung."

    Bandscheibenprothesen werden also ihren natürlichen Vorbildern immer ähnlicher. Ganz werden sie deren Eigenschaften aber wohl nie erreichen.