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Methan aus tauendem Permafrost

Über 60 Billionen US-Dollar wird das Abtauen des Permafrostes unter der Ostsibirischen See kosten, hat ein interdisziplinäres Forscherteam für eine aktuelle "Nature"-Studie errechnet. Doch das sei nur ein Bruchteil der Kosten, die durch die Arktiserwärmung zu erwarten seien, warnen die Autorinnen und Autoren.

Von Monika Seynsche | 24.07.2013
    Als der britische Regierungsberater Nicholas Stern 2006 seinen Bericht zu den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels publizierte, da sorgte das weltweit für Schlagzeilen. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank kam nämlich zu dem Schluss, dass es die Menschheit extrem teuer kommen wird, wenn sie nicht schnell und entschlossen gegen die Erderwärmung vorgeht.

    Der Stern-Report war ein Weckruf an Politik und Wirtschaft. Und so ähnlich ist wohl auch eine neue Analyse gedacht, in der Forscher mit genau denselben Methoden berechnet haben, welche zusätzlichen Folgekosten der tauende Permafrost in der Arktis verursachen wird.

    Die Wissenschaftsjournalistin Monika Seynsche hat mit zwei Autoren der aktuellen Studie gesprochen: mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Gail Whiteman von der Erasmus-Universität in Rotterdam und mit dem Ozeanphysiker Peter Wadham von der Universität Cambridge in England.


    Monika Seynsche: Sie haben sich die Kosten des Klimawandels in der Arktis angeschaut. Wie teuer wird die Erwärmung der Arktis die Welt zu stehen kommen?

    Gail Whiteman: Wir haben uns die wirtschaftlichen Auswirkungen nur eines Rückkopplungsprozesses in der Arktis angeschaut. Im gefrorenen Boden unter der Ostsibirischen See lagern sehr große Mengen Methan. Bislang steckten sie dort fest, aber dieses Meeresgebiet ist relativ flach und erwärmt sich seit einigen Jahren durch den Klimawandel. Dadurch taut der Permafrostboden unter der See und entlässt das Methan zuerst ins Wasser und dann in die Atmosphäre. Nun ist Methan ein sehr potentes Treibhausgas, mehr als 20-mal so klimawirksam wie Kohlendioxid. Im Boden der Ostsibirischen See stecken Schätzungen zufolge etwa 50 Gigatonnen Methan und Untersuchungen russischer Kollegen zeigen, dass dieses Gas seit etwa drei Jahren zunehmend in die Atmosphäre gelangt. Unsere Studie hat nun mithilfe des sogenannten PAGE-Modells berechnet, welche ökonomischen und sozialen Kosten auf uns zukommen, wenn diese 50 Gigatonnen Methan in die Atmosphäre gelangen. Die Methanemissionen aus der Ostsibirischen See allein werden Kosten in Höhe von 60 Billionen US-Dollar verursachen. Das ist eine ökonomische Zeitbombe, wenn man bedenkt, dass das Volumen der gesamten Weltwirtschaft 2012 bei nur etwa 70 Billionen US-Dollar lag. Und wir reden nur über einen von ganz vielen Rückkopplungsprozessen. Die ostsibirischen Methanemissionen allein werden uns schon 60 Billionen US-Dollar kosten.

    Seynsche: Herr Wadhams, Sie sind Ozeanphysiker. In der Studie gehen Sie davon aus, dass die gesamten unter der Ostsibirischen See gespeicherten 50 Gigatonnen Methan innerhalb von nur einem Jahrzehnt in die Atmosphäre gelangen werden. Wie realistisch ist ein solches Szenario?

    Peter Wadhams: Nun, es beruht auf den besten Schätzungen von Natalia Shakhova von der Universität von Fairbanks in Alaska, die die Methanemissionen der Ostsibirischen See seit vielen Jahren untersucht. Ausgehend von ihren Daten haben wir unser Modell mit verschiedenen Annahmen laufen lassen. Und egal, ob das gesamte Methan jetzt innerhalb von zehn Jahren oder aber erst später und langsamer in die Atmosphäre gelangt, die ökonomischen Auswirkungen sind jedes Mal gravierend. Entscheidend ist nur, wie viel Methan insgesamt in die Atmosphäre kommt. Gehen wir davon aus, dass nur die Hälfte, also 25 Gigatonnen freigesetzt werden, sind auch die entstehenden Kosten nur halb so hoch. Es kommt also auf die Menge an, nicht darauf, über welchen Zeitraum es freigesetzt wird.

    Seynsche: 60 Billionen US-Dollar sind eine enorme Menge Geld. Wie kommen Sie auf diese Summe? Was richtet das Methan in der Atmosphäre an, um so hohe wirtschaftliche und soziale Kosten zu verursachen?

    Wadhams: Diese Zahl wurde auf Basis des PAGE-Modells berechnet, das auch dem Stern-Report von 2006 zugrunde lag. 60 Billionen, das klingt nach enorm viel und das ist es auch. Aber das ist die Summe der Kosten bis zum Ende des Jahrhunderts. Pro Jahr macht das also nur knapp eine Billion US-Dollar - was natürlich immer noch eine Menge ist. Der Stern-Report kam seinerzeit ja zu dem Ergebnis, dass die Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels bis 2100 weltweit insgesamt etwa 450 Billionen Dollar kosten werden. Damals wurden aber nur die Folgen durch die CO2-Emissionen berücksichtigt. Die 60 Billionen, die wir jetzt als zusätzliche Folge der Methanemissionen aus der Ostsibirischen See berechnet haben, entsprechen also einem Plus von rund 15 Prozent. Dass die Kosten des Klimawandels so hoch sind, liegt daran, dass das zugrunde gelegte Rechenmodell sehr viele Auswirkungen der Erderwärmung berücksichtigt: Der Einfluss auf die Landwirtschaft, der dramatisch sein wird, fließt ebenso ein, wie der Anstieg des Meeresspiegels, die Zunahme von Überflutungen, die Gefährdung von Infrastrukturen und so weiter. Es gibt sehr viele Effekte - und jeder davon ist mit Kosten verbunden.

    Seynsche: Und wie sicher sind Sie, dass diese Prognosen wirklich zutreffen? Wie groß sind die Unsicherheiten?

    Wadhams: Es gibt große Unsicherheiten. Wir haben unsere Modellrechnung 10.000-mal wiederholt, jeweils mit leicht unterschiedlichen Parametern. Und dementsprechend variierte das Ergebnis immer ein Bisschen. Zu dieser internen Variabilität kommt eine zweite Unsicherheit aufgrund der Annahmen und Gleichungen, die wir zugrunde legen. Wenn die nicht realistisch sind, liefert das Modell keine brauchbaren Ergebnisse. Deshalb ist es immer entscheidend, die theoretischen Grundlagen genau zu prüfen.

    Seynsche: Sie sagten, die Methanemissionen aus der Ostsibirischen See allein könnten Kosten in Höhe von 60 Billionen US-Dollar verursachen. Frau Whiteman, das ist ja nur eine von vielen Folgen der Klimaerwärmung in der Arktis. Haben Sie auch untersucht, welche finanziellen Konsequenzen der gesamte Klimawandel in der Arktis hätte?

    Whiteman: Nein, das möchten wir in einem nächsten Schritt erforschen. Die Veränderungen in der Arktis sind sehr komplex. Wir haben uns jetzt erst mal auf das Methan in diesem einen Meeresgebiet konzentriert, weil das ein relativ einfacher Prozess ist. Wir wissen, wie viel Methan da ist, wie viel also in die Atmosphäre gelangen kann und können dann berechnen, welche sozialen und ökonomischen Folgen durch diese zusätzlichen Methanmengen in der Atmosphäre zu erwarten sind. Wenn wir uns mit deutlich komplizierteren Vorgängen, wie klimabedingten Änderungen der Ozeanströmungen, der Albedo oder der zunehmenden Versauerung der Meere befassen, müssen auch unsere Modelle sehr viel komplexer werden, um die wirtschaftlichen Auswirkungen all dieser physikalischen Veränderungen berechnen zu können. Aber wir sehen eben an den Methanemissionen, dass schon diese eine Veränderung im System enorme Kosten verursachen wird. Je mehr Aspekte wir berücksichtigen, desto stärker werden diese Kosten noch ansteigen. Unsere Studie dient einfach als erster Hinweis darauf, dass der Klimawandel in der Arktis in der ganzen Welt spürbar sein wird. Die Veränderungen hier sind nicht einfach nur schlecht für den Eisbären, sie sind schlecht für die Wirtschaft und die Gesellschaft überall auf dem Globus. Dieser Tatsache müssen wir viel mehr Aufmerksamkeit schenken.