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Mexiko vor der Wahl

80 Millionen Mexikaner gehen morgen zur Wahl um einen neuen Präsidenten zu wählen. Felipe Calderóns Amtszeit ist abgelaufen. Die Konservativen schicken eine Frau ins Rennen und die frühere Regierungspartei PRI kontert mit einem Strahlemann. Eins haben alle Präsidentschaftskandidaten gemein: Sie versprechen, den Drogenkrieg zu beenden.

Von Martin Polansky | 30.06.2012
    Peña – der Wahlkampf-Song dröhnt aus Dutzenden Mega-Lautsprechern. Die Strategen der PRI haben ein riesiges Zeltdach gespannt – zum Schutz vor der sengenden Mittagssonne. Und viele tausend Menschen drängen sich darunter, um ihn zu sehen: Enrique Peña Nieto. Für den Kandidaten ist der Auftritt in Chalco praktisch ein Heimspiel. In dem Armenvorort südlich von Mexiko-Stadt hat die PRI, die Partei der Institutionalisierten Revolution, schon immer alles geregelt und die Fäden in der Hand gehabt. Und jetzt soll der smarte Peña Präsident Mexikos werden, die PRI nach zwölf Jahren zurück an die Macht führen. In den Umfragen liegt er weit vorne.

    Perfekte Inszenierung. Eine Art Laufsteg durchs ganze Zelt wurde freihalten. Und als Peña erscheint, wirft er sich geradezu in die Leute, mit Siegerpose lässt er sich von beinah jedem abfotografieren. Zwanzig Minuten dauert sein Triumphzug bis zur Bühne:

    "Das ist der Moment, die Reihen zu schließen und voranzuschreiten. Mit uns werden alle gewinnen. Mit diesem Projekt des Wechsels, des klaren Kurses und der Stabilität."

    Enrique Peña Nieto. Das neue Gesicht einer alten Partei. Ein Strahlemann – so ganz anders ist als die vielen Apparatschiks in der PRI. 45, gutaussehend, in zweiter Ehe verheiratet mit der Gaviota, einem ehemaligen Telenovela-Sternchen, so glamourös, dass sie hier jeder kennt. Einige der Frauen aus dem Armenviertel Chalco halten selbstgemalte Schilder hoch: Auch ich bin eine Gaviota. Sieben Jahrzehnte lang hat die PRI Mexiko regiert. Das war auch ein bisschen Telenovela – allerdings eher die finsteren Episoden. Korruption, Intrigen, Vetternwirtschaft. Opposition fand viele Jahre praktisch nicht statt. Mancher Protest wurde niedergeschossen. Die PRI – eine sehr spezielle Partei, sagt der Politikwissenschaftler Günther Maihold, der zurzeit in Mexiko lehrt:

    "Als Partei ist die PRI mit europäischen Parteien nicht zu vergleichen. Sie ist kaum durch inhaltlich programmatische Positionen beschrieben, sondern sie lebt davon, dass eine Fülle von gesellschaftlichen Organisationen und Gruppen zusammengefasst werden unter einem Klientelsystem, das insbesondere davon lebt, dass seitens der Regierung entsprechende Ressourcen für die jeweiligen Interessen bereitgestellt werden. Das heißt, sie lebt von Leistung und Gegenleistung, von Loyalität und Verbindlichkeit dieser Loyalität – sowohl nach oben wie nach unten."

    Die PRI – früher eine Art Staatspartei - für scheinbar jeden fiel etwas ab: Unternehmerfamilien, die Gewerkschaften, mächtige Lokalfürsten. Die PRI gab, die PRI nahm. Eine perfekte Diktatur, nannte das einmal sarkastisch der Schriftsteller Mario Vargas Llosa.. Als es mit der Verschuldungskrise der 80- Jahre nichts mehr zu verteilen gab, musste die PRI Mexiko öffnen, der Opposition Zugeständnisse machen. Bei der Wahl im Jahr 2000 verlor die PRI dann das Präsidentenamt.

    Jetzt, zwölf Jahre später bewegen die Mexikaner vor allem zwei Themen. Die Armut und soziale Ungleichheit, die auch die jetzige konservative Regierung nicht ernsthaft angegangen ist. Und: die Drogenkriminalität. Präsident Felipe Calderon führt Krieg gegen die Kartelle und die bekämpfen sich gegenseitig, um die lukrativsten Schmuggelrouten Richtung USA zu kontrollieren. Mehr als 50.000 Menschenleben hat das Gemetzel bisher gekostet. Die Leute wollen wieder Ruhe. Und viele Anhänger der PRI in Chalco glauben, dass die ehemalige Staatspartei die am besten wieder herstellen kann – auf ihre Weise:

    "Man muss mit den Drogenkartellen sprechen, sich mit ihnen an einen Tisch setzen. Die Mafia ist nun mal da. Wir brauchen eine Vereinbarung mit ihr. Damit die einfachen Leute in Ruhe gelassen werden. Denn wir sind am stärksten betroffen."

    Das offizielle Sicherheitskonzept der PRI ist eher vage. Kandidat Peña spricht von einer Verstärkung der Bundespolizei. Die Bildung einer nationalen Gendarmerie auch mit Militärkräften ist angedacht. Der Kampf gegen die Kartelle solle weitergehen – allerdings effektiver.

    Wahlkampfauftritt von Josefina Vazquez Mota, der Kandidatin der konservativen Regierungspartei PAN. Nach den Umfragen kann sie sich nur wenig Hoffnungen machen, erste Präsidentin Mexikos zu werden. Auch wenn sie unablässig vor der PRI und Peña Nieto warnt:

    "Ich bin anders als dieser Kandidat der PRI. Wir dürfen sie nicht zurückkommen lassen. Wir kennen seine Freunde. Auch wenn sie versuchen, mit ihm jung und modern auszusehen."

    Aber Josefina Vazquez Wahlkampf leidet unter dem erfolgslosen Drogenkrieg von Präsident Calderon. Dazu die Enttäuschung über zwölf Jahre PAN. Ein grundlegender Wandel, eine echte Abkehr vom PRI-System der Klientelwirtschaft sei ausgeblieben, sagt der mexikanische Historiker Jose Antonio Crespo:
    "Die Leute hatten erwartet, dass die anderen Parteien korrekter sind. Aber egal wer regiert, überall sehen wir Korruption und Straflosigkeit. Diese korrupte Vetternwirtschaft scheint einfach zum Land dazu zu gehören, als Teil des Systems. Und viele Leute sagen sich jetzt: Warum nicht die PRI, die hat wenigstens Erfahrung."

    Zehntausende Studenten ziehen protestierend durch Mexiko-Stadt. Wie aus dem Nichts hat sich diese Bewegung in den letzten Wochen gebildet. Enttäuschung und Wut über eine politische Klasse, die es nicht schafft, die zementierten sozialen Gegensätze im Land aufzubrechen, Chancen für die Jungen zu schaffen. Und der Protest richtet sich vor allem gegen einen: Enrique Peña Nieto und seine PRI. Eine Gegenöffentlichkeit wollen die jungen Mexikaner schaffen. Zumal Peña dem größten Fernsehsender Televisa nach Zeitungsberichten mehr als 30 Millionen Euro gezahlt hat. Nicht nur für Werbespots sondern auch für positive Berichterstattung. Demokratie auf mexikanisch. Die Studentin Rosana Horschneider:

    "Ich glaube diese Bewegung muss einen kulturellen Wandel erreichen. Wir dürfen uns nicht mehr anpassen, müssen unser eigenes Schicksal in die Hand nehmen. Die PRI hat immer gelogen und manipuliert und so die Leute gegeneinander ausgespielt."

    Enrique Peña Nieto feiert seinen Auftritt in Chalco. Ein Heimspiel auch deshalb, weil er im hiesigen Bundesstaat Estado de Mexico sechs Jahre Gouverneur war. Unternehmer loben seine wirtschaftsfreundliche Politik und dass er einiges für die Infrastruktur getan habe. Gleichzeitig war der Estado de Mexico laut Transparency International während Peñas Amtszeit einer der korruptesten Bundesstaaten des Landes überhaupt. Aber die armen Leute aus Chalco hoffen, dass unter Präsident Peña etwas für sie abfallen wird. Und konkrete Zusagen macht der Kandidat noch auf der Bühne. Demonstrativ unterschreibt er seine Versprechen. Eine ehemalige Staatspartei will zurück an die Macht:

    "Ich gebe Euch meine Unterschrift. Ihr bekommt einen besseren Nahverkehr, einen Abwassertunnel und eine sichere Versorgung mit Trinkwasser. Wir gehen voran für eine bessere Zukunft. Lasst sie uns erreichen – mit dem Sieg am ersten Juli."