Freitag, 19. April 2024

Archiv

Meyerbeers "Margherita d'Anjou"
Ein großartiges musikalisches Fest in Süditalien

Beim Festival della Valle d'Itria im apulischen Martina Franca wurde eine Oper aufgeführt, die es selten auf die Spielpläne schafft: Giacomo Meyerbeers "Margherita d'Anjou". 1820 uraufgeführt, bezieht sie sich auf ein historisches Ereignis: die "Rosenkriege" in England und Schottland. Eine lohnende Aufführung.

Von Elisabeth Richter | 31.07.2017
    Der Komponist Giacomo Meyerbeer (u.a. die Opern "Robert der Teufel", "Die Afrikanerin") in einer zeitgenössischen Darstellung.
    Giacomo Meyerbeer in einer zeitgenössischen Darstellung. (picture alliance / dpa / Grayscale)
    "Er schreibt hervorragend für die Stimme. Also das ist bei so einem jungen Komponisten richtig verblüffend, wie gut er für die Stimme schreibt, er schreibt großartige Kadenzen, er schreibt wunderbare Cabaletten, es ist wirklich sehr dankbar für Sänger", sagt Fabio Luisi, Dirigent von Meyerbeers "Margherita d'Anjou" in Martina Franca. Auch wenn Meyerbeers spätere französische Opern sicher seine reiferen Werke sind, so fühlte sich der Komponist zeitlebens Italien verbunden. Dort habe er gelernt für die Stimme zu schreiben. "Margherita d'Anjou", Meyerbeers vierte italienische Oper entpuppt sich geradezu als ein Koloraturen-Feuerwerk für die Sänger, sofort denkt man hier an Rossini. Aber es wäre nicht recht, diese brillant und souverän komponierte Musik als Rossini-Kopie abzutun, auch wenn dieses Frühwerk von Meyerbeer nicht die Klasse von Rossini hat. Ein Grund sicher, warum es selten zu hören ist.
    "Er ist auf der Suche nach einem eigenen Stil, aber man kann schon sehen Momente, in denen wir die spätere Grand opera hören werden, das ist seine italienische Periode. Also ein kurze, relativ fruchtbare Periode, er war ein großer Verfechter der italienischen Oper, er hat sie geliebt, gut gekannt, und das sieht man in dieser Oper, er komponiert mit sehr großer Liebe und Akribie."
    Zeit der "Rosenkriege"
    Meyerbeer kennt die Möglichkeiten des Orchesters gut, er weiß dramatische Situationen mit fantasievollen Instrumentationen, besonderen Farben zu gestalten.
    Es ist die Zeit der "Rosenkriege", 1462 in England: Margherita, die Witwe des ermordeten Heinrichs VI., ist nach Frankreich geflohen. Sie versucht mithilfe des Herzogs Lavarenne, ihres Geliebten, die Thronfolge für ihren Sohn zu sichern und kehrt nach England zurück. Dort muss sie sich mit dem feindlichen Herzog Glocester und der als Soldat auftauchenden Ehefrau ihres Geliebten, Isaura auseinandersetzen. Am Ende verzichtet sie und es siegt die eheliche Liebe. Dirigent Fabio Luisi:
    "Die Aussage ist das Öffentliche und das Private. Da ist Margherita, bewundert, geliebt und respektiert, die privat diese große Verzweiflung und Sorge und Probleme hat. Genauso die Isaura, die fürchtet, dass ihr Mann sie betrügt und eben versucht durch den Dienst für die Königin ihn wieder zu gewinnen."
    Diese Arie der Margherita mit einer virtuosen, obligaten Violine ist eine der Paradenummern der Oper. Man findet solche Bravourstücke aber auch in anderen Opern der Zeit. Ungewöhnlicher ist ein Terzett für drei Bässe. Meyerbeers Margherita d'Anjou ist ja eine sogenannte Semiseria, also halb ernste, halb komische Oper, es gibt die Rolle des Arztes Michele, ein Bass-Buffo. Am Ende kommt es zum gemeinsamen Auftritt mit Glocester und dem Feldherrn Carlo.
    Das Terzett der Bässe mündet in ein Sextett, das eigentliche dramaturgische Finale der Oper. Es endet jedoch mit einem furiosen Rondo der Isaura. Was sehr ungewöhnlich ist, denn üblicherweise hat die Titelpartie das letzte Wort. Dazu muss man wissen, dass Meyerbeer und sein Librettist Felice Romani 1820 von der Personalpolitik der Mailänder Scala abhängig waren. In dieser Saison gab man dort unter anderen auch Rossinis "Barbier von Sevilla". Die Sänger und Sängerinnen der anderen Produktionen mussten in der neuen Oper von Meyerbeer beschäftigt werden. Das Final-Rondo der Isaura, ihre Mezzosopran-Rolle überhaupt ist wohl am stärksten Rossini nachempfunden.
    Musikalisch sensibles, facettenreiches Dirigat
    Die Produktion des Festivals della Valle d'Itria in Martina Franca ist zu allererst ein großartiges musikalisches Fest. Das "Orchestra internazionale d’Italia" realisiert glänzend und präzise das ebenso frische wie musikalisch sensible, facettenreiche und inspirierte Dirigat von Fabio Luisi. Dazu konnten exzellente Sänger verpflichtet werden. Giulia De Blasis flexibler Sopran war ideal für die Rolle der Margherita, ihr Liebhaber Lavarenne lag bei dem virtuos und differenziert agierenden und singenden Tenor Anton Rositsky in besten Händen. Der Bass-Buffo Marco Filippo Romano wurde zu Recht als komischer Arzt Michele gefeiert. Das war ein außerordentlich gutes Sänger-Ensemble, dem jedoch die Mezzosopranistin Gaia Petrone als heimliche Königin Isaura vorstand.
    Die Regie des Südafrikaners Alessandro Talevi gab jedoch einige Rätsel auf. Wie man im Programmheft lesen, aber nur mit diesem Wissen auf der Bühne sehen konnte, sollte Margherita die Chefin eines Londoner Modehauses sein, das sich auf eine Modenschau vorbereitet und in dem durch alte und neue Liebschaften Verwirrung entsteht. Man sieht eigentlich ein "Theater auf dem Theater". Die Bühne hat zwei Ebenen, eine für die Kulissen, eine für die Modenschau. Wieso der zweite Teil in einer Sauna oder einem exquisiten Kurort spielt, bleibt ein Geheimnis. Über die punkigen Chorgruppen, die Knappen aus den schottischen Highlands mit bunten Irokesen-Haarschnitten, konnte man amüsiert schmunzeln, genauso wie über die in Schottenröcke aller Couleurs gesteckten "Royals" dieser Oper. Man muss ja nicht alles verstehen. Dafür machte Meyerbeers lohnende Musik in der exzellenten Ausführung rundum glücklich.