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Mich ergeben! Mit wem redet ihr!

Es gab eine Zeit, da stand Goethes Sturm und Drang Drama "Götz von Berlichingen" oft auf dem Spielplan der Theater. Doch in den letzten Jahrzehnten kaum noch. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg hat Regisseur Dusan David Parizek das Stück herausgebracht.

Von Michael Laages | 19.11.2010
    Zuweilen zeigt ja schon der erste Blick auf eine Theateraufführung, dass es für das Stück, das da gerade auf dem Spielplan steht, keinen wirklichen Grund gibt. Bestenfalls ein Motiv, vielleicht sogar einen Anlass - aber eben nichts, was die Bemühung auswiese als irgendwie zwingend und notwendig. Was zum Beispiel wäre aus Goethes "Götz von Berlichingen" heraus zu destillieren an Ansporn für eine Auseinandersetzung im Hier und Jetzt? Die Stühle, die da nebeneinander gestellt sind vor die haushohe, den Raum komplett verschließende Holzfliesenwand, lassen ahnen, dass wir gleich nicht etwa Zeuge irgendeiner Art von Spiel, sondern eher einer Leseprobe werden sollen - das Team ist wohl irgendwie selber noch auf der Suche nach Götz. Kein Wunder - Echos für den Kampf zwischen Kirche, Kaiser und Rittertum sind derzeit rar. Aber dieser Klassiker ist halt ein besonderer: vor allem, weil er von den Nazis so derbe missbraucht worden ist. Wer außer Einar Schleef, der so sehr dem deutschen Grauen auf der Spur war mit Marschtritt und Chor, hat den Ritter mit der eisernen Hand jemals ernstlich zum Leben wiedererwecken können...

    Dusan David Parizek fällt auch nicht viel mehr ein, als Spuren auszulegen. Diese zum Beispiel:

    Tja. Wie, wenn der Ritter Götz und der Widerpart Weislingen ehedem in gemeinsamer kurfürstlicher Erziehung tatsächlich echte "buddies” gewesen wären, Freunde fürs Leben, wie heute die Generation 50plus, mit den "Beatles" aufgewachsen und heute nicht mehr weit weg von deren Früh-Rente-Grenze mit 64? Wie, wenn der eine den "Marsch durch die Institutionen" angetreten hätte, wie ehedem bei Hofe heute nun im formaldemokratischen "Einigkeit und Recht und Freiheit"-Staat, und der andere ein rebellischer Staats- und Autoritäten-Verächter geblieben wäre, zwar äußerlich mit Krawatte und Zigarre, aber im Kopf mit dem alten Aufstand, der sich mittlerweile in aggressive Staatsverdrossenheit verwandelt hätte; so gründlich, dass er nun im Tross der Protestierer gegen "Stuttgart 21" oder die Castoren auf dem Weg nach Gorleben mitliefe, vielleicht sogar lautstark vorneweg - und nun den Staat von einer Seite kennen lernen müsste, die noch hässlicher ist, als er je dachte?

    Goethes Götz jedenfalls, ein Raubritter weit außerhalb der Legalität, ein alter Hippie, hat schon viel Verrat erlebt, vom alten Freund Weislingen, der Götzens Schwester gegen eine einflussreiche Hofdame eintauscht, wie vom Staatsoberhaupt, dass sich nicht an Abmachungen hält - nun lässt er sich zum Führer der Bauernaufstände machen ...

    Zugegeben - dass ist nur eine Gedankenspielerei; eine wohlwollende zumal, denn Parizeks "Götz"-Inszenierung hinterlässt nicht den Eindruck, als sei das ihr Ziel gewesen; dafür karriolt sie viel zu unentschieden hin und her zwischen den Phantasien, die beim gemeinsamen Lesen des Textes noch entstehen können - für die Übersetzung in szenische Vorgänge ist da kaum noch Zeit. Aber es wird viel geschrien, es herrscht auch sehr viel ironische Fallhöhe im auf Alltagston herab nivellierten Goethe-Sound; es wird auch eine Axt geschwungen und eine Vergewaltigung simuliert - am Ende aber, im Bauernkrieg (im 5. Akt bei Goethe) wird nur noch unordentlich durcheinander gestorben. Wie überhaupt alles, jedes Wort, jede Handlung, jede Geste wie vorgezeigt wirkt - schaut mal, das war früher mal Goethe; aber Ihr müsst das jetzt nicht etwa ernst nehmen...

    Vor allem diese fatale, irgendwie uninteressierte Beiläufigkeit ist es, die Anlass genug dafür gibt, dieses halbgare Bemühen um einen überlebten Stoff schnellstmöglich zu vergessen.