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Michael Chabon: "Moonglow"
Im Schafspelz eines Memoires

Michael Chabons neues Fabulierkunstwerk erzählt von Großeltern und ihren Obsessionen – dem gehäuteten Pferd und der Mondrakete. Geschichte und Familiengeschichte, Pathos und Slapstick verbinden sich in diesem komplexen Roman, der klug von den Fehlzündungen des Lebens handelt.

Von Wolfgang Schneider | 03.06.2018
    Buchcover: Michael Chabon: "Moonglow"
    "Moonglow" präsentiert sich als Buch der Erinnerung: Die Erzählerfigur heißt Michael Chabon und seine beiden Helden bekommen erst gar keine Namen (Buchcover: Kiepenheuer & Witsch Verlag, Foto: Bullit Marquez/dpa)
    Großvater ist sterbenskrank. Die Schmerzmittel weichen Widerstände auf, legen die Mauer seiner Schweigsamkeit nieder. Es ist das Jahr 1990, gerade hat sich eine andere Befestigung geöffnet – viele Deutsche seien damit beschäftigt, "Löcher in die Berliner Mauer zu schlagen". Die Mauerspechte symbolisieren das Ende der Kriegs- und Nachkriegszeit, die das Leben der Großeltern bestimmte, mehr noch, bis in die tiefsten traumatischen Seelenfalten prägte.
    Michael Chabon tut das, was ein Schriftsteller besonders gut können sollte: Zuhören. Neunzig Prozent von dem, was ihm der Großvater überhaupt über sein Leben mitgeteilt habe, habe er ihm in den letzten zehn Tagen seines Lebens erzählt. Wortkarger war keiner:
    "Ihm war nicht nach Reden zumute. Er hatte keine Lust sich zu erklären. Meine Großmutter hatte sich manchmal über sein Schweigen beschwert, (…) so als schämte sie sich für meinen Großvater, weil man sein Schweigen als Missbilligung oder Begriffsstutzigkeit missverstehen konnte. 'Kümmert euch nicht um ihn', sagte sie dann, 'so ist er eben – jedes Mal, wenn wir uns streiten, bin ich die Einzige, die redet.' Oder: 'Manche Männer halten sich eine Geliebte, meiner hält den Mund.'"
    "Moonglow" – der Titel zitiert einen Jazz-Song von Benny Goodman – erzählt von einer großen Liebe in Zeiten des Kalten Krieges. Erzählt von zwei Charakteren, die so echt und kompliziert wirken wie das Leben selbst. Überhaupt: alles sehr authentisch hier. "Moonglow" präsentiert sich als Buch der Erinnerung, die Erzählerfigur heißt Michael Chabon und seine beiden Helden bekommen erst gar keine Namen, sondern werden schlicht nur als "mein Großvater" und "meine Großmutter" bezeichnet, als könnten solche besitzanzeigenden Fürwörter, wenn man sie nur häufig genug verwendet, alle Zweifel über die Wirklichkeit dieser Großeltern ausräumen, erst recht, wenn in zahlreichen munteren Fußnoten viele zusätzliche Realien aufgeführt werden. So viel Beglaubigung war selten.
    Qualmend vor Wut
    Ja, den Großvater habe es wirklich gegeben, meinte Chabon in Interviews. Nur seine Abenteuer und Erlebnisse seien erfunden. Aber ist ein Mensch, dessen Charakter sich doch in den Erlebnissen und Erfahrungen manifestiert, ohne diese Erlebnisse und Erfahrungen überhaupt noch derselbe Mensch? "Moonglow" ist ein Buch, das augenzwinkernd so tut, als würde es auf dem Betonfundament des Faktischen ruhen; in Wahrheit ist es ein Fabulierkunstwerk zwischen Sein und Schein, solide gebaut im Treibsand der Fiktionen. Es ist das Werk eines genuinen Romanciers, der sich über die Mode des Memoirs und den höheren Echtheitsanspruch des autobiographischen Schreibens lustig macht und daraus die eigene Form eines Romans gewinnt. In der Vorbemerkung erlaubt sich Chabon die launige Feststellung:
    "Beim Schreiben dieser Memoiren habe ich mich an die Fakten gehalten, es sei denn, sie wollten sich einfach nicht der Erinnerung, dem dichterischen Willen oder der Wahrheit, wie ich sie gerne verstehe, beugen."
    Sehr romanhaft ist bereits das erste Kapitel. Es spielt 1957. Der Großvater, ein Techniker und Raumfahrtspezialist, arbeitete damals weit unter seinen Möglichkeiten in einer Firma, die "extravagante Haarspangen" aus Klaviersaiten herstellt. Eines Morgens stürmt er ins Büro seines Chefs und stürzt sich auf ihn, geradezu qualmend vor Wut. Die Gründe dieser Wut werden erst viel später im Roman erkundet; sie haben allerdings wenig mit dem Chef zu tun, den der Großvater nun mit einem Telefonkabel zu erdrosseln versucht. Gerade noch rechtzeitig bringt eine Sekretärin den Rasenden zur Besinnung, indem sie ihm einen dolchartigen Brieföffner in die Schulter sticht. Wie das Büroleben eben so spielt, wenn es um einen effektvollen Romanbeginn geht. Der Beinahe-Mord bringt dem Großvater 20 Monate Haft ein. Dass er während dieser Zeit hinter Gittern einen sadistischen Mitgefangenen, einen veritablen Fies- und Finsterling, mit einer selbstgebastelten Bombe in die Luft sprengt, ist allerdings bloß ein Versehen; er wollte ihm lediglich eine Lektion erteilen.
    Die Figur des Technikers
    Wie Max Frisch seinerzeit mit dem "Homo Faber" geht es auch Michael Chabon bei der Darstellung des Großvaters um die repräsentative Figur des Technikers, dessen Rationalität zwar viele lebenspraktische Vorzüge hat, irgendwann aber an den Klippen des Irrationalen zu scheitern droht. Während seiner Haftzeit hat der Großvater bereits das Gefühl, dass die Wirrnis seines Lebens kaum noch aufzulösen ist. Das Reparieren von Radios in der Gefängniswerkstatt hat für ihn geradezu therapeutischen Effekt.
    "Wenn er nachts auf seiner Pritsche lag, kamen ihm seine eigenen Probleme so gestaltlos vor; in seinen Träumen waren sie endlos wie sich gegenseitig reflektierende Spiegel. Doch in der Radiowerkstatt, im Innenleben eines Magnavox, konnten Probleme lokalisiert, aufgespürt, eingekesselt werden. Man konnte sie mit einem Wattestäbchen, einem Kupferdraht oder einem Löttropfen eliminieren. Den zuckrigen Geruch von Lötrauch hatte er immer geliebt."
    Dieser Großvater erweist sich, je länger und je lieber man von ihm liest, als jüdischer Charakterkopf, so eigensinnig wie verlässlich, gelegentlich eben auch sehr impulsiv, um nicht zu sagen: gewalttätig. Sein Studium hat er sich als Klavierträger finanziert. Breite Schultern und "Bulldozer-Kiefer" bestimmen seine Erscheinung.
    Sein Kopf "sähe gut aus auf einem Zaun", meint die Großmutter in den ersten Sekunden ihrer Bekanntschaft; 1947 war das, bei einer Feier in einer Synagoge von Baltimore. Er erschrickt; denkt an die abgetrennten Köpfe, die er kürzlich im Weltkrieg gesehen hat. Aber sie hat sich bloß versprochen, hat als ausgewanderte Französin das falsche Wort erwischt, nicht "Zaun", sondern "Wand" wollte sie sagen: ein Kopf wie an der Wand einer Kathedrale. Kaum weniger merkwürdig. Er habe also ein Gesicht wie ein Wasserspeier, entgegnet der Großvater. Nein, nein, er verstehe sie falsch – und schon hat sie sich völlig verfahren in diesem ersten Gespräch, verwirrt von seiner gewissen maskulinen Hässlichkeit, die sie attraktiv findet.
    Ein Gesicht wie ein Wasserspeier
    Mit diesem skurrilen Dialog beginnt eine Beziehung, die bis zum Ende, bis zum Tod der Großmutter schwierig sein wird, geprägt von Missverständnissen, aber auch einem tiefen Zusammengehörigkeitsgefühl, einer Faszination und Freude aneinander, die sogar die Aufenthalte im Gefängnis und in der geschlossenen Psychiatrie übersteht. Denn mit Großmutters Seele stimmt etwas nicht.
    Großmutter ist eine jüdische Gerberstochter aus Lille. Ihre Kindheit war imprägniert von Blut, Verwesung und dem Gestank der Gerberbottiche, ihre Jugend überschattet von Verfolgung und Krieg. Auf dem linken Unterarm hat sei eine Auschwitz-Tätowierung. Die ist allerdings so falsch wie vieles, was sie der Familie später von ihrem Vorleben erzählt. Obdachlos, halb verhungert und erfroren, eine "Displaced Person" unter Millionen, ließ sie sich die Tätowierung in den Nachkriegsmonaten stechen, als sie erfuhr, dass ehemalige KZ-Häftlinge von einer Hilfsorganisation in die Vereinigten Staaten gebracht würden. Sie nahm die Identität einer im Lager gestorbenen Freundin an, die ihr ähnlich sah. So kam sie nach Baltimore.
    Die realen, aber kaum greifbaren Schreckenserfahrungen ihres Lebens haben sich in einer peinigenden Angst- und Albtraumvision verdichtet. Großmutter fühlte sich verfolgt von einem gehäuteten Pferd. Karussellpferde, Polizeipferde, Spielzeugpferde verursachen ihr Panik. Das unheimliche Gewieher des gehäuteten Pferds, das nur sie hört, versucht sie zu übertönen:
    "Wenn ihre Tochter oder ihr Mann in der Nähe waren, ertränkte sie sein leises Wiehern in einer Flut von Geschwätz und Geplauder. War sie allein im Haus, stellte sie eine Platte mit Highland-Reels und Märschen an und drehte sie sehr laut, denn der Klang von Dudelsäcken hielt das Tier aus unerfindlichen Gründen in Schach. Immer jedoch, ob allein oder in Gesellschaft, wandte sie den Blick von den Fenstern ab, die auf den Hickorybaum gingen. Wenn ihre Kraft nachließ, saß das gehäutete Pferd dort auf einem der unteren Äste, bleckte seine großen Zähne und strich über seinen riesigen blutroten Penis."
    Das gehäutete Pferd
    Was hat es mit dem mysteriösen Pferd auf sich? Der Psychiater, der die Großmutter Ende der fünfziger Jahre behandelte, als sie Monate in einer Klinik verbrachte, während Großvater im Gefängnis war, könnte Auskünfte über die Pferdephobie geben. Nur leider ist dieser Arzt inzwischen selbst verstorben. Zwar hat der gründliche Therapeut Protokolle seiner Patienten-Gespräche hinterlassen, aber die sind größtenteils einer Haushaltsauflösung beziehungsweise einer Kellerinspektion durch Hurrikan Sandy zum Opfer gefallen. Nur einige Notizen bekommt der Erzähler am Ende noch in die Hände. Sie werfen rückwirkend ein wenig Licht auf das verstörende Verhalten und die verschwiegenen Zonen im Leben der Großmutter. Wurde sie traumatisiert durch das sexuelle Verhältnis mit einem SS-Hauptmann, der zudem der biologische Vater ihrer Tochter war? Würde man dem Roman in diesem Punkt glauben, wäre der ominöse SS-Mann der wahre Großvater von Michael Chabon. Der Großvater des Romans erkannte das Mädchen als sein Kind an. Und gerade die Fragilität der Großmutter stimulierte seine Liebe.
    "Von Anfang an war das ein Grund, weshalb er sich zu ihr hingezogen fühlte: nicht ihre Gebrochenheit, sondern ihr Potenzial, geheilt zu werden, mehr noch, die Herausforderung, die ihre Heilung für ihn darstellte. Er dachte, wenn er die Aufgabe auf sich nähme, diese gebrochene Frau zu lieben, bekäme sein Leben einen gewissen Sinn oder Zweck."
    Ein SS-Mann spielt auch im Leben des Großvaters eine entscheidende Rolle. Im Zweiten Weltkrieg gehörte er zu einer amerikanischen Spezialeinheit, die hinter den Fronten agierte und sich auf die Suche nach deutschen Raketenwissenschaftlern machte. Der Meistgesuchte war der schon damals legendäre Wernher von Braun. Der Raketen-Ingenieur und SS-Sturmbannführer, der in den Weltraum zielte und manchmal London traf, ist eine zentrale Bezugsfigur des Buches. Dass der Mann, der den Nazis die V2 baute und ihren Wunderwaffen-Wahn befeuerte, 1945 mit zahlreichen Mitarbeitern und einer Riesenladung technischer Unterlagen zu den Amerikanern überlief, für die er später das Wettrennen zum Mond gewann – das ist eine der großen Geschichten des zwanzigsten Jahrhunderts, die an faustischen Teufelspakt oder Verschwörungsparanoia à la Thomas Pynchon denken lässt. In einem Kapitel erweist Chabon Pynchons "Die Enden der Parabel" denn auch seine Reverenz.
    Im Bann der Rakete
    Der Großvater findet in einem Waldstück bei Soest zunächst eine gut erhaltene V2 – Gelegenheit für einige Seiten Raketenphilosophie. Die funktionale Ästhetik des Flugkörpers überwältigt ihn. Die Verwendung als Mordinstrument sei nur Missbrauch und Missverständnis.
    "Das alles konnte man nicht der Rakete selbst anlasten … Die Rakete war wunderschön. Ein Künstler hatte sie gestaltet, um die Ketten zu sprengen, die die Menschheit fesselten, seit sei sich erstmals der Schwerkraft der Erde und deren Entsprechungen in Leid, Versagen und Schmerz bewusst geworden war. Sie war ebenso ein in den Himmel hinaufgeschicktes Gebet wie die Antwort darauf: 'Bring mich fort von diesem furchtbaren Ort!'"
    Wernher von Braun wusste, dass die kostspielige Entwicklung der Raketentechnologie nur im Bündnis mit der Macht möglich war. So diente er sich erst der Wehrmacht an - auch wenn Hitler sich für Mondfahrt-Visionen nicht interessierte -, später profitierte er vom Kalten Krieg; die Aufrüstungsbereitschaft kam auch der NASA zugute. Raumfahrt-Vision und militärische Realität gehörten so von Anfang an zusammen. In "Moonglow" werden, der kritischen Von-Braun-Biographik folgend, die Rakete und ihr Erfinder zu Symbolen tiefster Ambivalenz. Die Deutung zum Guten, im Bann der Schönheit der Rakete, wird hinfällig im Angesicht des Grauens von Mittelbau Dora bei Nordhausen, wo 15.000 KZ-Häftlinge in den unterirdischen Raketenstollen zu Tode geschunden wurden – eines der dunkelsten Kapitel deutscher Technikgeschichte. Von Braun musste davon gewusst und es als technischer Leiter des V2-Programms stillschweigend gebilligt haben. In Huntsville, Alabama, wurde er zum "Altmeister in der Kunst des zielführenden Vergessens". Skrupellosigkeit mischt sich bei ihm mit Opportunismus, moralische Stumpfheit mit politischer Ignoranz.
    Für den Großvater wurde der Traum jedoch zum Albtraum; 1969 weigert er sich im Fernsehen mitanzusehen, worauf er ein Leben lang gewartet und gehofft hatte: die Mondlandung. Der Weg zum Mond war "eine Leiter aus Knochen", heißt es pointiert gegen Ende des Romans, als der Großvater dem Raketenbaumeister, den er 1945 nicht zu fassen bekam, noch einmal leibhaftig begegnet – ein frühalter, derangierter, von Krankheit gezeichneter Mann, der in einen Pflanzenkübel uriniert, aber dem Großvater noch nützlich wird. Beeindruckt von einem seiner detailgetreuen Raketenmodelle, verschafft er ihm einen Bastler-Job bei der NASA.
    Ein Grundwort des Großvaters ist: "Schadensanalyse". Auch dieses Verfahren aus dem Ingenieurswesen bekommt im Roman eine existentielle Aufladung. An einer zentralen Stelle – im Gespräch mit dem Psychiater der Großmutter – beschreibt der Großvater die Grenzen dieser Methode in der Anwendung auf seine Frau und skizziert die Konsequenzen: Akzeptanz des anderen und Hinnahme des Unabänderlichen. Hier hat man, kompakt geschnürt, die Moral und Lebenskunst des Romans.
    "'Doc, ich bin Ingenieur, Elektroingenieur. Ingenieure verbringen viel Zeit mit sogenannter Schadensanalyse … Hier versagt was, da explodiert was, bricht zusammen oder brennt aus, aufgrund von Stress, Materialermüdung, Bruch. Man will herausfinden, warum es nicht funktioniert, das gehört zum Beruf. Man will herausbekommen, wo der Fehler liegt, damit man ihn reparieren kann. Vielleicht habe ich meine Frau immer unter diesen Aspekten betrachtet. Vielleicht wollte ich wissen, was falsch gelaufen ist. Weil ich dachte, ich könnte sie reparieren. Aber so will ich nicht mehr von ihr denken … Ich will nur noch … ich mein e… ich akzeptiere sie so, wie sie ist.'"
    Der Roman gibt vor, nicht den Winkelzügen einer erfundenen Handlung zu folgen, sondern den Spuren und Sprüngen der Erinnerung. Die szenische Vergegenwärtigung der großelterlichen Lebensgeschichten wird immer wieder unterbrochen von Passagen, in denen der Erzähler Recherchen für sein Buch-Projekt schildert und begleitende Gespräche rekapituliert, etwa mit der eigenen Mutter.
    In der Tradition Nabokovs und des Slapsticks
    In der amerikanischen Literatur gibt es eine Hemingway-Tradition und eine Nabokov-Tradition: Die eine spart aus, die andere reichert an. Die eine versucht durch knappe, lakonische Worte umso größere Imaginationsräume zu schaffen, die andere will die Leser mittels komplexen Stils und überraschender Metaphern aus den Zwängen der konventionellen Wahrnehmung befreien und einen subtileren Blick auf die Welt lehren. Michael Chabon gehört entschieden in die Nabokov-Traditionslinie. Auch deshalb wirkt "Moonglow" bei aller vermeintlichen Nichts-als-die-Wahrheit-Authentizität auf jeder Seite wie ein ausgetüfteltes Romankunstwerk, nicht zu verwechseln mit der simplen Memoirenprosa eines Knausgard. Für Leser, die für die Freuden des ungewöhnlichen Ausdrucks empfänglich sind, ist die reiche Prosa von "Moonglow" deshalb ein großes Lesevergnügen. Der Übersetzerin Andrea Fischer gelingt es, die Feinheiten von Chabons Prosa ins Deutsche zu transferieren; nur gelegentlich stolpert man über kleine Merkwürdigkeiten wie einen "unwiederbringlichen Fehler". Auch einem Michael Chabon glücken nicht alle Metaphern; es gibt einige Passagen, die sich eher artifiziell als artistisch lesen: Wenn etwa ein Nazi von einem Balkon geschossen wird und dann tot in Form eines Hakenkreuzes am Boden liegt.
    Die liebevolle und farbenfreudige Manier, mit der in "Moonglow" die Details ausgemalt werden, zeigt im Übrigen einen Autor, dessen Imagination sich am feinen Strich von Comicbildern geschult hat. Über weite Strecken liest sich dieser Roman wie eine Graphic Novel in Worten, ausgezeichnet durch Bildkraft und Anschaulichkeit, aber auch durch einen Zug ins Slapstickhafte, selbst dann, wenn es um sehr ernste Dinge geht. Das muss man mögen, aber wenn man es mag, ist "Moonglow" eine große Lektüre, die wunderbar von der Umwegigkeit und den Fehlzündungen des Lebens handelt.
    Michael Chabon:"Moonglow". Aus dem Englischen von Andrea Fischer. Kiepenheuer &Witsch, Köln 2018. 495 Seiten, 24 €