Freitag, 29. März 2024

Archiv

Michal Hvorecky: "Troll"
Im Schattenreich der Fake News

Der slowakische Autor Michal Hvorecky entwirft in seinem Roman "Troll" die Schreckensvision eines digitalen Überwachungsstaats, in dem Internet-Trolle gegen jede Form von Abweichung die Massen aufhetzen. Eigentlich eine Science-Fiction-Geschichte, die aber erschütternd real und aktuell wirkt.

Von Terry Albrecht | 29.10.2018
    Buchcover: Michal Hvorecky: „Troll“
    Diffamieren, zerstören, töten: Michal Hvorecky beschreibt, wie Worte Waffen werden (Buchcover: Tropen/Klett Cotta Verlag, Foto: Imago)
    In einer nicht so fernen Zukunft: Europa teilt sich in zwei Lager. Die EU ist zerschlagen, der Osten wird beherrscht von einer Diktatur, genannt das "Reich". Leicht dechiffrierbar als ein Nachfolgesystem der einstigen Sowjetunion. Ein kleines Land, ein Protektorat des "Reichs" (die Slowakei wird nicht genannt, könnte es aber sein), steht im Zentrum von Michal Hvoreckys Roman "Troll". Internet-Trolle bestimmen im Dienste des Staates das Verhalten der Internetgemeinde.
    Zeitungen, gar unabhängige, gibt es schon lange nicht mehr. Mit Hass-Mails wird agitiert, denunziert, die öffentliche Meinung gelenkt. Schnell können Menschen zu wahrhaften Opfern der Internet-Trolle werden. Einmal als sogenannter unwerter Mensch, Lesbe, Schwuler, Muslim oder Jude denunziert, reagieren die Internet-User mit Shitstorms auf die Denunzierten. Demagogisch mit Hassmails aufgehetzt, sind die User bereit, die virtuelle Welt zu verlassen und auch physisch, gewalttätig gegen die von Trollen Stigmatisierten zu agieren. Das widerfährt auch dem namenlosen Icherzähler des Romans.
    Wer ins Visier der Trolle gerät, gilt als "unwerter Mensch"
    "Sie hassen mich, so wie die Kreuzritter Ungläubige hassten. Zehntausende mit Anonymous-Masken und Sturmhauben unter freien Himmel. Zusammengerufen über Google und Facebook, mit Algorithmen, die auf vorausgegangenen Suchanfragen und Klicks beruhen. Der Informationskrieg hat sie aus ihrer Computereinsamkeit herausgerissen."
    Der Zwanzigjährige ist in einer totalitären Gesellschaft aufgewachsen. Sein Vater ist gemeinsam mit dem Bruder aus dem Land geflohen. Die Mutter ist mit ihm zurückgeblieben. Der Erzähler verbrachte fünf Jahre in einem Krankenhaus wegen einer mysteriösen Infektion. Das Land wird beherrscht vom Informationskrieg. Die Strukturen alter Überwachungsregime sind ins digitale Zeitalter übertragen worden. Die Gehirnwäsche, wie sie George Orwell in seiner Dystopie "1984" entworfen hat, funktioniert in "Troll" reibungslos.
    Doch der Icherzähler will dieses scheinbar perfekte Überwachungs-System zerstören - von innen heraus. Gemeinsam mit seiner Freundin Johanna, einem ehemaligen Junkie, die er im Krankenhaus kennengelernt hat und die eine genauso aus der Gesellschaft Ausgestoßene ist wie er, schleust er sich ins Internetforum ein. Hier wird er Netzredakteur und schafft es schließlich, ein Troll, ein Agitator zu werden.
    "Über die Trolle im Reich kursierten Legenden. Sie seien keine toten Seelen, sondern vollwertige Autoren mit authentischen Geschichten. Eine Internetarmee, die bereit war, jederzeit anzugreifen."
    Hass-Spiel ohne Grenzen
    Doch einmal im System der Trolle angekommen zu sein, heißt auch das Hass-Spiel, das keine Grenzen kennt, mitzuspielen, um nicht enttarnt zu werden. Zunächst noch in harmloseren Fällen.
    "Über Mittag machten wir einem Blogger das Leben schwer und ramponierten seine Karriere, weil er allzu oft mit Gymnasiasten diskutierte und Einfluss auf sie nahm."
    Schon bald aber werden Hvoreckys Icherzähler und Johanna Teil des Troll- Systems, das in zynischer Weise agitiert. Insbesondere gegen eine Minderheit, die in der Slowakei schon immer zu den Ausgegrenzten gehörte, die Roma. Der Leiter der Netzzeitung, Valys, legt die Aktionen fest.
    "Valys hatte am Morgen das Thema des Tages festgelegt: eine furchtbare Provokation gegen die Roma. Es wollte eine Mehrheit der Bürger für die komplette Abschaffung der Transferleistungen für Bedürftige gewinnen."
    Auch vor Mordtaten sollen die User der Netzzeitung nicht zurückschrecken.
    "Wir lernten konspirative Websites kennen und immer durchgeknalltere Blogger. Inzwischen bewältigten wir auf dem Monitor bis zu fünfzehn gleichzeitig geöffnete Fenster. So viel Hass auf einem Haufen hätten wir uns vor Kurzem nicht einmal vorstellen können."
    Eingeschleust in die Lügenfabrik
    Wie Johanna und den Icherzähler die Sucht packt, das Spiel der Hetze mit zu spielen, geschützt im anonymen, virtuellen Raum, und wie sie dabei vor lauter Hass ihr Vorhaben, das das digitale Aufhetzungs-System von innen heraus zu zersetzen aus dem Blick verlieren, das macht Hvoreckys Zukunftsroman zu einer spannenden und erschütternden Lektüre. Zerstören, töten, vernichten. In "Troll" führt Michal Hvorecky die perfidesten Auswüchse der Propagandafeldzüge der Trolle vor.
    Der aus Bratislava stammende Schriftsteller ist auch Journalist und schon selbst Opfer von Digitalattacken geworden. Als er diesen Roman 2015 zu schreiben begann, so Hvorecky, plante er eine Groteske in Form einer Science-Fiction-Parabel.
    In der Slowakei leben Journalisten gefährlich
    Doch spätestens seit dem Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Ján Kuciak und dessen Freundin im Februar dieses Jahres, hat die Wirklichkeit die erzählte Geschichte des Romans eingeholt. Kuciak, wie auch andere slowakische Journalisten wurden von dem damaligen Premierminister Robert Fico als "dreckige, antislowakische Prostituierte" bezeichnet. Daraufhin entwickelte sich ein Shitstorm gegen die Journalisten, dessen Folgen vermutlich Kuciak und seiner Freundin das Leben kostete.
    Dem namenlosen Icherzähler und Johanna wird es nicht gelingen, das System der Trolle zu zersetzen, soviel sei verraten. Aber sie erleben, wie tief ein Mensch in der Welt der Trolle sinken kann. In einem Posting unter der Bezeichnung "dontfeedthetroll" schreibt Johanna:
    "Eine Lüge ist keine andere Meinung. Eine Lüge ist eine Lüge, und man muss über sie die Wahrheit sagen."
    Michal Hvorecky hat ein aufklärerisches und kämpferisches Buch geschrieben. Es geht von Bratislava aus betrifft aber die ganze digital vernetzte Welt.
    Michal Hvorecky: "Troll".
    Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch
    Verlag Tropen bei Klett Cotta, Stuttgart. 216 Seiten, 18 Euro.