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Michel Houellebecq in Köln
"Man darf einen islamophoben Roman schreiben"

Sein Buch "Unterwerfung" erschien am Tag des blutigen Überfalls auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" und sorgte für kontroverse Debatten, nun trat er in Köln zum ersten Mal wieder öffentlich auf: Michel Houellebecq. Er wehrte sich gegen den Vorwurf, sein Roman sei islamophob - und erklärte, warum er auch jede andere Religion hätte wählen können.

Von Kersten Knipp | 20.01.2015
    Der französische Autor Michel Houellebecq (2.v.l.) stellt am 19.01.15 in Köln auf der Lit.Cologne seinen Roman "Unterwerfung" vor - neben Houellebecq sitzt der Moderator Nils Minkmar (3.v.r.)
    Der französische Autor Michel Houellebecq (2.v.l.) stellt am 19.01.15 in Köln auf der Lit.Cologne seinen Roman "Unterwerfung" vor - neben Houellebecq sitzt der Moderator Nils Minkmar (3.v.r.) (Imago / Horst Galuschka)
    Da saß er nun, der derzeit wohl meistgefragte Autor überhaupt. Nach den Anschlägen von Paris hatte er sich rar gemacht, sei "aufs Land" gefahren, wie es hieß, um sich von dem Schrecken und der Trauer zu erholen. Auch ein enger Freund Houellebecqs war bei den Attentaten auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo ermordet worden. Knapp zwei Wochen später, beim ersten öffentlichen Auftritt Houellebecqs auf der Kölner Literaturveranstaltung lit.Cologne, wirkte die Dramatik der vergangenen Tage wie weggeblasen. Um sich nicht ständig wiederholen zu müssen, erklärte Houellebecq, wolle er zwei grundsätzliche Dinge sagen:
    "Erstens: "Unterwerfung" ist kein islamophober Roman. Zweitens: Man hat das absolute Recht, einen islamophoben Roman zu schreiben, wenn man will."
    Die Versuchung, einen islamkritischen Roman zu schreiben, mag auf der Hand liegen angesichts des nicht erst seit den Terrorschlägen angespannten Debatten um die nationale Identität, die viele Franzosen durch die Migration bedroht sehen. Umso höher, deutete Houellebecq, seien die Ansprüche, die ein Schriftsteller in einer solchen Situation an sich selbst stellen müsse.
    "Gelegentlich hätte ich mir gewünscht, dass "Unterwerfung" ein islamophobes Buch wäre. Denn das würde seine Botschaft vereinfachen. Aber nein, eigentlich auch NICHT, denn man darf sich von keiner Seite beeinflussen lassen."
    "Das ist ein Politiker, der die islamische Karte spielt"
    Auf die Fragen von Moderator Nils Minkmar antwortete Houellebecq in oft kurzen, holzschnittartigen Sätzen. Gelegentlich ließ Minkmar zu, dass sich das Gespräch ästhetischen oder gar ästhetizistischen Fragen zuwandte, deren Relevanz sich angesichts der politischen Lage nicht unmittelbar erschloss. Leider teilte sich auch in der Übersetzung nicht alles mit.
    Grandios hingegen die vorgelesenen Passagen, in denen der Ich-Erzähler des Romans die Veränderungen unter der Herrschaft des islamischen Präsidenten Mohammed Ben Abbes registriert. Die Frauen tragen auf einmal keine Röcke mehr, sondern nur noch Hosen. Und die Pariser Universität hat ihr laizistisches Selbstverständnis aufgegeben.
    Doch was treibt diesen Wandel an? Auf die Frage, ob es dem neuen französischen Präsidenten in dem Roman tatsächlich um den Islam gehe, gab Houellebecq einen interessanten Hinweis:
    "Das ist ein Politiker, der die islamische Karte spielt. Er hätte auch eine andere spielen können. Aber die islamische Karte war die beste, die er in diesem Moment spielen konnte."
    Die Religion in den Händen von Demagogen - und sei es zurückhaltenden Demagogen wie Ben Abbes - gerinnt leicht zur Fratze. Aber liegt das an der Religion? Oder an der Art und Weise, in der Politiker sich dieser bedienen? Houellebecq ließ die Frage letztlich offen. Aber er deutete mit seiner Bemerkung doch an, dass Religion - jede Religion - machtlos gegenüber jenen ist, die sie für ihre Zwecke einspannen und als probates Mittel sehen, die eigenen Anhänger zu mobilisieren.
    Freilich ist mit dem Hinweis auf den Missbrauch der Religion noch nicht viel gewonnen. Denn die Einschränkungen werden Bürgern religiös ausgerichteter Staaten ja trotzdem aufgelegt.
    "Biologie stärker als Ideologie"
    Und auf noch etwas wies Houellebecq hin: Seiner Ansicht nach wird über die kulturellen Werte einer Gesellschaft nicht in Debatten und Auseinandersetzungen entschieden. Viel mächtiger, erklärte er, sei ein anderer Faktor:
    "Ich finde die Vorstellung, dass die Biologie stärker als die Ideologie ist, wirklich recht verführerisch. Denn bis auf die seltenen Fälle, in denen es umgekehrt ist, gibt nun einmal derjenige Teil der Bevölkerung, welcher die meisten Kinder hat, seine Werte weiter und diktiert schließlich die Werte der gesamten Gesellschaft. Das scheint mir zuzutreffen."
    Islamophob so der Eindruck, ist der Roman nicht. Houellebecq nutzt die Fiktion, um Spielräume des Möglichen zu deuten. Spielräume, die noch keine Wirklichkeit sind, es aber eines Tages werden könnten. Ob man diese Wirklichkeit dann begrüßen oder vielleicht lieber verhindern will - dies ist der Punkt, an der die Literatur politisch wird. Aber der Raum der Antworten liegt nicht im Buch, sondern außerhalb von ihm. Sie entwirft Szenarien. Wie auf diese zu reagieren ist, entscheidet die Politik. Dazu wird sie nun auch von der Literatur aufgefordert.