Freitag, 19. April 2024

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Microsampling
Die Kunst des musikalischen Plünderns

Microsampling bezeichnet eine Kompositionstechnik, Musik auf Basis von sehr kurzen Samples herzustellen. Indem Musikproduzenten die Klangschnipsel bis zur Unkenntlichkeit verfremden, umgehen sie brisante Copyright-Fragen. Aus dieser Arbeitsweise ist ein eigenständiges Musikgenre entstanden.

Von Andi Hörmann | 18.10.2018
    "Letztendlich klingt es dann immer irgendwie, als ob jemand mit der Nadel über die Platte drüber skipt. Sobald es aber in eine Loop-Form gepresst wird, sobald es in einem Raster drin ist, funktioniert es als Musik."
    Rekonstruktion und Deformation
    Musik aus Musik: Verhackstückt, zerschreddert und wieder neu kombiniert. Musikschnipsel, kleine Sequenzen aus Popsongs, digital bearbeitet. Das Prinzip: Microsampling.
    "Mein Name ist Michael Fakesch, ich bin Teil von Funkstörung und mittlerweile Sounddesigner/Werbekomponist."
    Im Kellerstudio von Michael Fakesch im oberbayerischen Rosenheim. Alte Analog-Synthesizer und High-End-Audiosoftware. Hier wird Musik recycelt, oder besser: Komponiert durch Rekonstruktion und Deformation. Mit seinem Bandkollegen Christian de Luca hat Michael Fakesch als Funkstörung seit den späten 1990er Jahren zwei Dutzend Platten veröffentlicht.
    "Der Name Funkstörung kam auch daher, dass wir quasi gestörten Funk gemacht haben. Unsere Musik war immer irgendwie groovig oder funky, aber es war immer gestört, immer Glitches dazwischen, immer Breaks dazwischen. Das war irgendwie unser Sport: Eine Million Breaks und Sounds, in unsere Beats zu hauen. Ein Microsampling-Track, den ich neulich gemacht habe. Da siehst Du, die Arrangement-Fenster bestehen aus minimalst kleinen Schnipseln. Das ist alles sehr, sehr unübersichtlich. Da können wir mal rein hören:"
    "Okay, das ist jetzt so ein ganz typischer Microsampling-Track. Gucken wir mal, was der Sample zum Beispiel macht. Das ist jetzt einfach irgendein Random-File. Totales Chaos. Und dadurch, dass ich das in eine Form gebracht habe, wird ein Rhythmus kreiert. Und schon hat man das Gefühl, es entsteht Musik."
    John Oswalds "Plunderphonics"
    Popmusik durch musikalisches Plündern. Eine Art Cut-up-Technik, die sich der 1953 geborene kanadische Komponist John Oswald von dem Beat-Poeten William S. Burroughs abgeschaut hat. Text-Montage wird zur Ton-Montage. John Oswald nannte das "Plunderphonics".
    "Das finde ich natürlich megaspannend, megainteressant. Aber die Original-Composer haben dann alle Möglichkeiten, dich richtig dran zu kriegen. Ich weiß nicht, ob es das dann wert ist. Deswegen lieber das lassen und gut ist es."
    Oder bis zur Unkenntlichkeit durch den digitalen Fleischwolf drehen. Beim Microsampling ist die Kunst des musikalischen Plünderns eine Frage des Verfremdens.
    "Du erkennst die Samples dann kaum, wenn sie so kurz sind. Ob jetzt der "Uh" macht und der "Uh" ist von Britney Spears, das ist total… eigentlich ist es Wurst. Aber prinzipiell darf man auch nicht mal Null-Komma-Irgendwas samplen."
    Die musikalischen Quellen bleiben geheim
    Wo genau sich Michael Fakesch musikalisch bedient, behält er lieber für sich, aber nachvollziehen lässt sich das eh nicht mehr. Microsampling eben - im Gegensatz zum herkömmlichen Sampling mit ganzen Takten und Melodien.
    "Ich lade mir jetzt einen ganzen Track rein. Ich sage es lieber nicht, was es ist, weil sonst bekomme ich Ärger. Ab jetzt wird es so ein bisschen gefährlich. Nein, Quatsch. Das ist einfach eine alte Funk-Scheibe. Okay, das ist zum Beispiel ein netter Sample am Anfang. Und jetzt kann ich mir rausschneiden, was mir da so besonders gefällt."
    "Das sind so diese typischen Steps, aus dem Hip Hop kennt man die. Und jetzt könnte ich hier zum Beispiel auch die Melodie ändern, so dass ich hier den zweiten um eine Quint hoch setzte. Und jetzt kann ich schauen, was ich da noch für Samples in dem Track drinnen hab. Jetzt höre ich, der eine ist so ein bisschen daneben. Macht aber nichts, kann ich mir genau sauber einschneiden. So! Das ist letztendlich das Microsampling. Wenn man sich jetzt den Track von vorher noch mal in Erinnerung ruft. Also man erkennt da nicht viel. Der erste ist natürlich ziemlich gleich. Aber was wir jetzt daraus gemacht haben, ist so etwas:"
    Die Überwindung des Copyrights
    So wird aus den Originalen etwas Originelles - oder zumindest kunstvoll Verarbeitetes. Auf die Frage nach dem Copyright beim Microsampling ist die Antwort für Michael Fakesch ganz einfach:
    "Da braucht es überhaupt keine Copyright-Diskussionen, weil das ist so weit weg vom Original. Das ist einfach nur wie wenn man ein Geräusch auf der Straße aufnimmt. Da dürfte es auch kein Copyright geben."